Die Killers sind ein merkwürdiges Ensemble. Der Ehrgeiz trieft ihnen aus allen Poren und dennoch haben sie es geschafft, ein Vakuum der Unnahbarkeit um sich herum zu errichten. Die schüchternen Jungs, die wir zum Interview treffen, wirken wie ein um 180 Grad gedrehtes Abbild von dem, was wir von den selbstbewussten Bühnenshows der Herren gewohnt sind. Sänger Brandon Flowers und Gitarrist Dave Keuning – ihres Zeichens auch kreatives Traumduo hinter dem ersten Indie-Paukenschlag “Mr. Brightsight” – berichten über die dritte Platte “Day And Age”, ihre Heimatstadt Las Vegas, das Vatersein und ihre vermeintliche Widerstandskraft dagegen, die Bodenhaftung zu verlieren.
Mit “Day And Age” scheint ihr mal wieder einen Schritt in eine andere Richtung gegangen zu sein…
Brandon: Das Album ist sehr abenteuerlustig. Wir haben die Songs während der Tour zu “Sam’s Town” auf der ganzen Welt zusammengeschrieben.
Dave: Vieles auf “Day And Age” ist total neu für uns. Wir entwickeln uns ständig ein bisschen weiter, werden älter. Keine Ahnung, aber jeder einzelne von uns wird von unterschiedlichen Dingen und Musikstilen beeinflusst und scheint das dann jeweils abzustrahlen. Viele Leute meinten, konkrete Bruce Springsteen-Referenzen auf “Sam’s Town” gefunden zu haben, womit sie natürlich total daneben lagen. Die Platte war längst fertig, als Brandon erstmals darüber sprach, kürzlich Springsteen für sich entdeckt zu haben. Im Studio hat jedoch niemand von uns wirklich an ihn gedacht. Wir lieben Bruce Springsteen genauso wie neun Millionen andere Bands und Künstler: Pet Shop Boys, The Cure, U2, John Lennon, David Bowie, Morrissey, um nur einige zu nennen. Diese Vielseitigkeit sollte man wohl auch auf der neuen Platte hören können.
Human – Video
Ihr seid also alle vier direkt in die Entstehung der Songs involviert?
Dave: Absolut. Ich müsste alle Tracks einzeln auseinandernehmen, um zu erklären, wer was genau gemacht hat – dann würden wir wohl noch die ganze Nacht hier sitzen. Manche Songs sind von einer Person allein geschrieben worden, andere zu gleichen Anteilen im Team.
Allein bei der Single “Human” habt ihr ganz schön dick aufgetragen und eine Menge elektronischer Spielereien und Tanzbeats aufgefahren.
Dave: “Human” ist mein Lieblingssong auf “Day And Age”, er hat einen guten Tanzbeat – ich mag so was. Wir konnten uns richtig austoben. “Spaceman” dagegen ist sicher der typischste Killers-Track auf dem Album.
Hat eure Heimatstadt Las Vegas auch als Inspirationsquelle hergehalten?
Brandon: Vegas ist immer Teil des Ganzen. Der Song “Neon Tiger” weckt Vegas-Assoziationen, ebenso wie “A Dustland Fairytale” ein bisschen. Ich lasse mich gern von der Wüste inspirieren, denn ich liebe die Wüste und versuche dieses Bild so oft ich kann aufzugreifen.
Wie hat sich Vegas in euren Augen über die Jahre verändert?
Brandon: Ich neige dazu, Vegas auch heute noch durch die rosarote Brille betrachten zu wollen, mit Cadillacs, schicken Anzügen und Country Clubs. Vegas hat seine guten und schlechten Zeiten. Einst war es ein Ort für Groß und Klein, fast wie Disneyland. Jetzt dreht sich alles um Sex – was natürlich irgendwann mit der Disney-Idee kollidieren musste. Es hat sich total gewandelt: überall locken riesige Stripclubs. Es ist wie ein monströses Rotlichtviertel, wirklich krass.
Für die neue Platte habt ihr mit Stuart Price (Madonna u.a.) auch einen Besetzungswechsel auf dem Produzentenposten vorgenommen, warum?
Dave: Nachdem wir mit Flood und Moulder am ersten und zweiten Album gearbeitet hatten, war es einfach Zeit, mal was Neues auszutesten. Stuart hat drei oder vier Songs auf “Sawdust” produziert, wie zum Beispiel “Sweet Talk” und das hat uns gefallen. Er ist in unserem Alter und auf musikalischer Ebene ticken wir einfach ähnlich.
Ihr seid extrem ehrgeizig, oder?
Dave: Auf jeden Fall. Wir wollen eine große Kapelle sein und sehen, wie weit uns das hier bringen kann. Wir hoffen, wir können irgendwann mal in die Fußstapfen von großartigen Bands wie U2 treten, dafür müssten wir allerdings auch noch um die zwanzig Jahre durchhalten.
Inwiefern verkörpert die neue Platte den “Amerikanischen Traum”?
Brandon: Wir kommen alle aus Arbeiterklasse-Elternhäusern. In diesem Sinne stecken wir all die harte Arbeit, die unsere Väter und Mütter in ihren Jobs leisten mussten, in die Musik. Ich schätze, in diesem Sinne sowie in der Art, wie wir mit all dem umgehen, verkörpern wir es. Wir nehmen nichts für selbstverständlich hin und sind nach wie vor sehr stolz darauf, wo wir herkommen.
Ist es denn schwierig, die Bodenhaftung zu halten?
Brandon: Definitiv. Natürlich ist es aufregend, sich einen Lamborghini oder sonst was anschaffen zu können. Von uns ist allerdings noch niemand wirklich abgedreht. Ich wohne nach wie vor eine Meile von dem Krankenhaus entfernt, in dem ich geboren wurde – keine Ahnung warum, aber ich kann mich von dieser Gegend einfach nicht lossagen. Ich habe Leute gesehen, die sich zu sehr vom Erfolg vereinnahmen lassen und den Absprung nicht mehr geschafft haben, Bands und Sänger, die sich stark verändert haben. Vielleicht würden die wiederum sagen, dass ich anders geworden bin. Ich weiß es nicht, selbst glaube ich es allerdings nicht.
Es steht also noch kein Lamborghini in deiner Garage?
Brandon: Nein – noch nicht… (lacht)
Was hält euch am Boden?
Dave: Meine Familie und der Gedanke daran, wie meine Mutter und mein Vater es empfinden würden, wenn ich mich plötzlich stark verändern würde – das und das Fernsehschauen. Ich nehme immer Serien wie “Lost” oder “24” mit auf Tour, das ist meine Art dem Wahnsinn für eine Weile zu entfliehen.
Wie hat euch die Vaterschaft verändert?
Brandon: Ich respektiere die Dinge jetzt mehr und bin weniger selbstsüchtig als damals. Ich wäre natürlich lieber mehr zu Hause bei meiner Frau und meinem Sohn, aber mittlerweile versuche ich auch, sie mehr und mehr mit auf Tour zu nehmen. Es ist ein wenig umständlich: Kinderwagen, Kinderbetten, Windeln… Aber das passt schon. Ich will auch noch mehr Kinder, schließlich komme ich aus einer großen Familie mit fünf Geschwistern und mittlerweile 19 Nichten und Neffen.
Dave: In der Sekunde, als mein Sohn geboren wurde, überkam mich ein ganz neues Gefühl – das ist sicher biologisch bedingt und passiert den meisten Menschen, aber es hat meine Sicht auf das Leben komplett verändert. Es ist schon irre, wenn man darüber nachdenkt, dass man ein neues Lebewesen erschaffen kann. Ich liebe meinen Sohn sehr.
Was ist das Tollste daran, ein Rockstar zu sein?
Brandon: Es ist einfach ein unglaublicher Traum, der wahr geworden ist. Ich meine, wir können live Musik spielen – allein die Tatsache, dass das Wort “spielen” in der Jobbeschreibung vorkommt, ist schon verrückt genug. Es ist auch eine Form der Flucht, ich hatte immer Probleme mit normalen Anstellungsverhältnissen und meinen Chefs. Jetzt haben wir eine Freiheit, die allein Belohnung genug sein müsste.
Christine Stiller
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