The Ocean-Bandleader Robin Staps im motor.de-Interview über religiöse Philosophen, Reiselust und Kyuss in der Columbiahalle.

The Ocean sind ein Phänomen. Erstens liefern die Mannen um Bandkopf Robin Staps in schöner Regelmäßigkeit hochwertige Platten ab, zweitens – und das ist noch viel wichtiger – erfindet sich das Schweizer/Berliner Kollektiv dabei immer wieder neu. Gut, das hat man in der Vergangenheit über viele andere Bands auch geschrieben. Wer jetzt allerdings vermutet, dass sich das Quintett bei seiner Reise durch die musikalischen Sphären in Richtung Sellout verbiegen würde, liegt gänzlich falsch. Warum er nie einen Radio-Hit schreiben würde, was ihn beim Texten bewegt und wie The Ocean zu einer “Schweizer” Band wurden, erklärt Kreativkopf Robin Staps im motor.de-Interview.

motor.de: Ihr habt gerade eine US-Tour hinter euch und spielt aktuell einige Shows in Deutschland (motor.de berichtete). Nebenbei bist du als Gitarrist noch bei Earthship tätig und führst dein Label Pelagic Records. Wie kriegst du das alles unter einen Hut?

Robin: Das frage ich mich auch immer wieder (lacht). Zumal ich noch einen Teilzeitjob als Übersetzer habe. Aber bei Earthship bin ich ja nur ausführender Gitarrist, das ist nicht ganz so zeitintensiv. Obwohl ich beim nächsten Album auch etwas mehr mitmischen werde. Die Platte soll im Sommer oder Herbst aufgenommen werden, und diesmal möchte ich gern meine eigenen Gitarrenparts beisteuern und beim Arrangement ein Wörtchen mitreden. Vier Tracks konnte ich schon hören, das klang äußerst vielversprechend. Ich freue mich sehr drauf.

motor.de: Ihr habt im letzten Jahr das Doppelalbum “Heliocentric” und “Anthropocentric” veröffentlicht. Wie sind die Reaktionen ausgefallen?

Robin: Am Anfang gab es ein riesiges Bollwerk des Hasses auf last.fm, über das ich mich sehr amüsiert habe. “Heliocentric” stellt, verglichen mit dem Vorgänger “Precambrian” aus dem Jahr 2007, sicherlich einen Cut dar. Wir haben mit Loic ja nun mittlerweile einen Sänger an Bord, der keine Scheu hat, seine Stimme auch vielseitig einzusetzen, anstatt nur rumzubrüllen. Als wir ihn damals nach langer Suche gefunden hatten, war sofort klar, dass er den Job bekommt. Seine Schrei-Stimme ist ultra-brutal, aber gleichzeitig kann er richtig gut singen. Das hat uns damals umgehauen. Und dann haben wir eben ein Album gemacht, auf dem wir unsere Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Das hat dann einigen Leuten offenbar ganz schön vor den Kopf gestoßen. Da hieß es dann, das wäre doch kein Metal mehr. Allerdings haben wir uns eh nie als Metal-Band gesehen. Wir haben schon immer versucht, über den Tellerrand hinaus zu schauen und Sachen auszuprobieren. Vor der Veröffentlichung von “Anthropocentric” war diese ganze Diskussion dann wieder etwas abgeebbt. Und plötzlich hieß es, wir könnten ja doch noch richtig harte Musik machen. Letztendlich meinten viele Leute dann auch, dass sich “Heliocentric” mit “Anthropocentric” für sie erst richtig erschlossen hat. Fakt ist allerdings auch, dass wir mit den beiden Alben viele neue Fans gewinnen konnten und Touren spielen durften, die wir sonst wohl nicht hätten spielen können. Ich mache diese Band jetzt seit 10 Jahren und will sie für mich interessant halten. Da gehe ich auch gern mal Risiken ein und verliere halt mal ein paar Fans. Aber ich denke, die Leute, die uns von Anfang an verfolgen, haben auch verstanden, dass wir mit jedem Album etwas Neues machen wollen.
motor.de: Erklär doch mal kurz in ein paar Sätzen, was The Ocean ausmacht.

Robin: Das ist schwierig. Letztendlich ist es harte, dichte, atmosphärische Musik mit Einflüssen, die weit über Metal oder Postrock hinausgehen. Wir arbeiten beispielsweise auch mit klassischen Instrumenten. Wir haben manchmal ziemlich epische Songmonster am Start, die gern auch mal die 10-Minuten-Marke überschreiten. Und live ist das mehr als nur ein “gewöhnliches” Rockkonzert. Wir haben eine Lichtshow, die auf die Songs abgestimmt ist, wir haben Videos, die fest auf die Songs zugeschnitten sind. Das ist ein wenig wie ein David-Lynch-Film, den wir auf die Bühne bringen. Und die Musik ist sicher auch keine, bei der man sich mal einen Song reinzieht und dann Bier holen geht, sondern schon etwas, was dich reinsaugen soll.

motor.de: Ihr habt euren Mittelpunkt lange in Berlin gehabt. Mittlerweile sind alle deine Bandmitglieder Schweizer. Wie kam es dazu?

Robin: Das hat sich zufällig so entwickelt. 2007 brauchten wir einen neuen Gitarristen. Über das Internet haben dann wir Jonathan gefunden. Er hatte uns ein Video geschickt, wo er einen unserer Songs spielte, das fanden wir cool. So kam er in die Band. Als uns dann kurz darauf unser Drummer verließ, meinte Jonathan, er kenne da einen Typen bei sich im Kaff. (lacht) Und so ging das dann weiter. Aber es ist nicht so, dass wir jetzt nur noch Schweizer in die Band aufnehmen. In Berlin habe ich damals einfach keine Musiker gefunden, die für das, was ich vorhatte, geeignet waren und mit denen ich mich gerne in einen Bus gesetzt hätte. Aktuell ist das Bandgefüge auch viel homogener, wir wollen alle das Selbe, das war früher nicht so.

motor.de: Mit “Precambrian” habt ihr die Erdgeschichte behandelt, mit den letzten beiden Scheiben das Thema Religion. Womit wird sich die nächste Scheibe inhaltlich beschäftigen?

Robin: Keine Ahnung. Vielleicht nehmen wir einfach nur ein ganz stinknormales Rock’n’Roll-Album auf. (lacht) Nein, ernsthaft: Ich mag Bands, hinter deren Musik man noch etwas findet, wenn man etwas gräbt. Das finde ich spannend, und das wollte ich auch schon immer selber machen. Ob das nun ein Konzeptalbum ist oder einfach nur gut gemachte Texte, ist dabei eigentlich egal. Ich denke da an Bands wie Neurosis beispielsweise, bei denen die Songs, das Licht und die Texte ein großes Ganzes ergeben. Live ist das dann wie ein guter Film, den man sich anschaut. Und das war von Anfang an auch mein Ziel mit The Ocean. Wer Bock drauf hat, kann sicher auch bei uns eine Menge finden. Wer allerdings nur sein Haar schütteln möchte, kann das natürlich auch gerne tun. (lacht) Ich selbst lese mir auch nicht bei jeder Band die Texte durch. Aber wenn man eine Band richtig geil findet, kommt das dann auch von alleine. Manchmal ist es dann natürlich auch so, dass man sich peinlich abwendet und denkt “Oh Gott, hätte ich das nur nicht getan.” (lacht)

The Ocean – “Firmament”

motor.de: Du schreibst bei The Ocean die Texte. Was ist die Motivation dahinter?

Robin: Ich beschäftige mich eben mit Dingen, die mich interessieren. Ich krame da sicher nicht meinen Werte- und Normenordner heraus. “Precambrian” ist an sich kein Album über die Erdgeschichte, das ist eine hochmetaphorische Angelegenheit, die bloß in einen übergeordneten Zusammenhang gebracht wird. Die Songs handeln natürlich nicht von herumfliegenden Steinen und Lava. Das wäre ja langweilig. Bei “Anthropocentric” und “Heliocentric” hingegen ist es wirklich so, dass zum ersten Mal alle Songs und Texte gemeinsam Sinn ergeben. Das Christentum ist eine Sache, die mich schon lange interessiert. Als 16-Jähriger habe ich in den USA in einer streng baptistischen Gastfamilie gelebt. Dort habe ich mich fast tagtäglich mit meiner Gastschwester auseinandergesetzt, die tatsächlich glaubte, dass es die Dinosaurier nie gegeben hat und dass die Erde 5000 Jahre alt sei. Das konnte ich einfach nicht glauben. Das war eine sehr skurrile Erfahrung damals. Ich habe dann Philosophe studiert und viele religiöse Philosophen gelesen. Das ist einfach ein Thema, was mich schon immer fasziniert hat. Nitzsche ist beispielsweise einer meiner größten Einflüsse. Gar nicht so sehr seine Theorien, sondern eher die Art, wie er erzählt und argumentiert. Für meinen persönlichen Zugang zum Leben war das einfach immer eine große Inspiration. Das schlägt sich dann natürlich auch auf die Kunst nieder, die man macht.

motor.de: Würdest du dich freuen, wenn Songs von The Ocean irgendwann mal im Radio kommen?

Robin: Na klar! Wenn mir Leute Geld geben wollen für Sachen, die ich gern mache, dann nehme ich das natürlich an. Wir werden es aber nicht darauf anlegen und Songs so schreiben, dass sie dann für’s Radio geeignet sind. Das würde uns selbst nicht zufrieden stellen. Ich muss Sachen machen, die ich geil finde. Und wenn das bei anderen Leuten auf Anklang stößt, beschwere ich mich sicher nicht, wenn statt 200 dann 500 Leute zur Show kommen. Obwohl ich die Intimität von Konzerten sehr schätze. Ab einer gewissen Größenordnung fehlt mir das dann. Ich könnte mir zum Beispiel Kyuss nicht in der Columbiahalle angucken. Aber ob wir da jemals hinkommen, ist die andere Frage (lacht).

motor.de: Du bist musikalisch sehr eingespannt. Bleibt da noch Zeit für Hobbys oder Sport?

Robin: Naja, und ab und zu spiele ich auch mal ne Partie Squash mit ‘nem Kollegen. Und immer, wenn ich gerade nicht mit The Ocean auf Reisen bin, reise ich alleine in der Welt herum. Zuletzt war ich in Tansania. Wenn wir mit der Tour fertig sind, werde ich kurz in Berlin sein, dann aber wieder den Rucksack packen und für ein paar Wochen wegfahren. Ich bin ein sehr rastloser Zeitgenosse, gehe gern einfach irgendwo hin, wo mich keiner kennt und guck dann, was dort passiert. Ich habe zwar früher auch gemalt und so, aber die Musik ist natürlich schon irgendwie mein Lebensmittelpunkt geworden.


Gern auf Reisen: The Ocean-Mastermind Robin Staps.

motor.de: Wenn man so viel auf Tour ist wie du, schaut man sich dann noch die anderen Bands an, oder chillt man eher im Backstage?

Robin: Kommt drauf, was man für Laune hat. Wenn die gut ist, guckt man sich schon Bands an. Zumindest Bands, wo man die Erwartung hat, dass es interessant werden könnte. Aber man verfällt auf Tour natürlich auch in eine Routine. Zum Beispiel Red Fang, die mit uns aktuell auf Tour sind, das ist ne richtig geile Band, die muss ich mir auch noch angucken. Aber man sagt sich dann immer, man hat ja noch 30 Abende. Und dann sind es doch nur noch drei. Auf nem Festival guck ich mir gezielt Sachen an, wenn ich nicht gerade ein Interview geben muss, haha. Aber das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Unser Gitarrist Jona oder unser Mercher beispielsweise, die sitzen den ganzen Tag auf Tour mit Kopfhörern im Bus. Sowas mach ich nicht. Ich hör ziemlich wenig Musik uf Tour. Ich hab viel zu tun, mach viel am Laptop. Gelegentlich, aber nicht diese Dauerberieselung. Vielleicht liegt das am Alter, ich bin ja schon ein betagter Zeitgenosse (lacht).

motor.de: Im April hast du das Friction Fest in Berlin organisiert. Wie bist du zu der Idee gekommen, ein eigenes Festival zu starten?

Robin: Es wird das Friction nächstes Jahr definitiv wieder geben. Wir sind jetzt im zweiten Jahr und können das Festival zwar noch nicht finanziell gesunden, aber wir sind auf einem guten Weg. Ich bin auf jeden Fall motiviert. Man kann so ein Event nicht ohne Sponsoren machen. Das dauert halt einfach, bis man die entsprechenden Partner gefunden hat. Motivation dahinter war, ein Festival zu starten, was das bietet, was wir, also ich und meine zwei Kollegen, persönlich hören und gut finden.

Interview: Anton Kostudis