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“Hello?” “This is motor.de from Germany. Is this Dom from The Others?” “Oh… I actually expected your call yesterday”. Telefoninterviews sind ja immer so eine Sache.
Nicht gerade die Idealvoraussetzung für ein Interview, denn irgendwas geht meistens schief: der Telefonlautsprecher verreckt bei der Aufnahme oder man ruft zum ganz falschen Zeitpunkt an. In Kreuzberg klatscht der Regen an die WG-Fenster, am anderen Ende in London: Schweigen. Das hier ist also eher letzteres Szenario. Die Interview-Verabredung mit The Others-Sänger Dom Masters scheint irgendwo in einer Leitung unter dem Ärmelkanal steckengeblieben zu sein. Ich höre die Lautsprecherdurchsagen am anderen Ende. “Soll ich später noch mal anrufen?” brülle ich in den Hörer, wie man das bei Handygesprächen immer tut, weil man denkt, dass das irgendwas am schlechten Empfang ändern würde. Tut es aber nicht, never ever. “Fuck. Ich stehe gerade am Bahnhof Kings Cross, es gießt in Strömen und in fünf Minuten kommt meine Freundin aus Leeds mit dem Zug an. Wie machen wir das denn jetzt?”, sagt Dom. Ich fingere in meinen Notizen herum, blättere im Booklet des neuen Albums ‘Inward Parts’, lese noch einmal die E-Mail mit der verabredeten Interviewzeit. “Ich rufe einfach später noch mal an, oder morgen.” “Meine Freundin und ich haben nur heute Abend und morgen und übermorgen. Dann fährt sie zurück nach Leeds.” Ich höre, wie die Londoner Rushhour an Dom vorbeibrandet, wie ihn jemand um eine Zigarette anschnorrt. “Das ist echt ein bisschen verrückt. Aber wir ziehen das jetzt durch. Schieß los.”
“Nun, euer zweites Album ‘Inward Parts’ klingt ja sehr viel runder als euer selbstbetiteltes Debüt…”, höre ich mich sagen und denke, dass ich eigentlich schon genug gehört habe, dass Dom am anderen Ende schon mehr Preis gegeben hat, als jede Antwort auf jede ordinary Musikjournalistenfrage. Er lacht. “Also ich könnte dir jetzt sagen, dass wir einen neuen Produzenten haben, dass Mark Ralph ganz anders arbeitet als Paul Schroeder, der unser Debütalbum produziert hat. Und dass wir viel mehr Zeit hatten. Statt einem Monat hatten wir diesmal vier Monate Zeit, so dass alle Songs schon ziemlich ausgefeilt waren, bevor wir ins Studio gingen. Aber ehrlich gesagt ist das nur die halbe Geschichte. Der Rest geht so: Ich bin nicht mehr so wütend. Wir haben überall auf der Welt Konzerte gespielt. Ich habe eine nette Wohnung und eine wundervolle Freundin.” Und genau die steigt gerade aus dem Zug. “Bleib mal kurz dran, ja?” “Soll ich dich in fünf Minuten zurückrufen?” frage ich. “Nein, nein. Schon okay.” Ich höre wie sich die beiden begrüßen und küssen. “Hello Darling! Hope the journey was alright.” Ich muss grinsen. Irgendwie passt in diesem Moment alles zusammen, vielleicht ist genau das hier einer dieser seltenen Momente, in denen konstruierte Medienrealität und Wirklichkeit übereinstimmen. Und die kann keine Agentur der Welt inszenieren. Aber The Others waren schon immer eine People’s Band und Dom Masters ein entwaffnend ehrlicher Interviewpartner. Er berichtete in den Medien ausführlich über Drogen, seine Freundschaft zu Pete Doherty und seine Kritik am kommerziellen Musikbusiness. Kaum einer hat ehrlichere Antworten gegeben, da blieb zu wenig Reibungsfläche für die britische Presse. The Others waren auf einmal nicht mehr Britain’s Most Exciting Band, sondern wurden in den Medien als Verlierer des Brit-Hypes des Jahres 2005 gehandelt. Und dann waren da noch die Guerilla-Gigs in der Londoner U-Bahn und die legendären The Others-Fans namens “853 Kamikaze Stage Diving Division”. Dom kommt zurück ans Telefon.
“Wo waren wir?” “Kannst du ein bisschen was über eure Guerilla-Gigs in England erzählen?” frage ich. “Diese Guerilla-Gigs waren uns immer super wichtig. Viele unserer Fans können nicht zu unseren regulären Konzerten kommen, weil man in England in die meisten Clubs und Pubs unter 18 nicht reingelassen wird. Deshalb haben wir schon immer gerne auf öffentlichen Plätzen oder in der Londoner U-Bahn gespielt. Die Infos, wo und wann was stattfinden würde, gab’s per E-Mail und SMS direkt von uns. Aber irgendwann mussten wir damit aufhören. Nicht, weil diese Konzerte außer Kontrolle gerieten, sondern weil sie zu einer leeren Geste wurden. The Rakes spielten einmal für einen Mobilfunkanbieter einen ähnlichen Gig in einem Dönerladen und sogar U2 fingen wieder damit an. Da haben wir uns irgendwann gedacht: Wenn das jetzt alle machen, lassen wir das mal besser. Außerdem wirst du irgendwann als Band nur noch auf solche Aktionen reduziert, es geht irgendwann gar nicht mehr um die Musik. Dann heißt es: ‘Ach ja, The Others, das sind doch die mit den Guerilla-Gigs’. So wollen wir nicht wahrgenommen werden. Wir wollen schließlich als Musiker ernstgenommen werden. Daher kommt auch der Titel des neuen Albums ‘Inward Parts’: Tief drinnen sind wir einfach nur Musiker. Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir ja irgendwann auch wieder Lust auf einen Guerilla-Gig, vielleicht sogar in Hamburg, Köln oder Berlin.” Neben ihren spektakulären Konzerten sind The Others vor allem für eines bekannt: Ihren ausgeprägten Sinn für Pop and Politik. Dom studierte zwar in London Politik, doch funktioniert Politik bei The Others anders. Bei Songs wie ‘This Is For The Poor’ vom Debütalbum ging nicht um das ganz große weltpolitische Geschehen, sondern um die Politik des Alltags, und das hat sich auch auf ‘Inward Parts’ nicht geändert: “Klar sind wir eine politische Band. Politik war immer eines unserer wichtigsten Themen. Die meisten Bands schreiben einfach nur Blabla-Songtexte, die keinen tieferen Sinn haben. Wir versuchen mit unseren Texten vor allem die gesellschaftlich Benachteiligten anzusprechen – die reichen Middleclass-Kids haben schließlich schon alles, um die muss man sich nicht mehr kümmern.”
The Others waren eine jener legendären Entdeckungen von Allan McGee, der uns einst schon Oasis schenkte und The Others 2004 für sein neues Label ‘Poptones signte’. “‘Inward Parts’ erscheint nicht mehr auf ‘Poptones’, sondern auf dem Indielabel ‘Lime Records’. Wie kam es denn zu dem Labelwechsel?”, frage ich Dom. Er atmet tief ein. “How long have you got?” fragt er mich zurück. “‘Poptones’ arbeitete eng mit ‘Mercury Records zusammen. Irgendwann wurde ‘Mercury’ komplett umgekrempelt, Bands wurden gedroppt, unsere Ansprechpartner beim Label wurden von einen Tag auf den anderen entlassen und auch die Zusammenarbeit mit ‘Poptones’ wurde gekündigt. Das war echt schlimm. Nachdem bekannt wurde, dass wir keinen Plattenvertrag hatten, haben sich viele Labels um uns bemüht, aber mit ‘Lime Records’ konnten wir uns die Zusammenarbeit am besten vorstellen. So sind wir dort gelandet.” Ich will Dom nicht länger vom Wochenende abhalten und verabschiede mich. “Thanks for the interview, I owe you a pint, mate”, sage ich. Dom lacht. “Great, we will be on tour in Germany in April.”
Autor: Tine Reichert
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