Indie ist tot, lang lebe Indie: The Shins, als die Band der Nullerjahre, melden sich mit neuem Album zurück. Frontmann James Mercer musste erst das Tal der Frustration durchqueren, um mit nervöser Vorfreude zurückzukehren.

(Fotos: Annie Beedy)

Anfang Januar. In der Hauptstadt regnet es, der zögerliche Winter zeigt so langsam sein fieses Gesicht. Mit James Mercer über das Wetter zu reden, überrascht ihn. Er gibt der grünen Insel die Schuld an der nasskalten Witterung. Eine Floskel, die nur allzu verständlich ist. Mercer ist müde. Seine Miene sieht beinahe traurig aus, ist aber eher das Resultat einer großen Promotion-Tour, die zumeist der musikalischen vornan steht. Rom, London und nun Berlin – ein kleiner Marathonausschnitt aus der Welt der vermittelnden Kommunikation: zig Termine, die immer gleichen Fragen, fast immer die gleichen Antworten.

Dabei ist das Interesse an ihm und seiner Hauptband größer als je zuvor. Die 1996 in Albuquerque, New Mexico gegründete Gruppe hat in mehr als zehn Jahren gerade einmal drei Alben veröffentlicht. The Shins sind eine Band der Nullerjahre, der Stempel Indie haftet an ihnen wie ein Versprechen. Der Film “Garden State” machte sie schlagartig weltberühmt, auch wenn der große Erfolg zunächst ausblieb. Dennoch entsteht über die Jahre ein Kollektiv, das sich kennt. Routine kehrt ein, aber auch die Unzufriedenheit. Probleme innerhalb und außerhalb der Band führen zum Überdruss. Die Rettung hieß Broken Bells. Die gemeinsame Kollaborationen mit Brian Burton alias Danger Mouse sorgte 2010 für Aufruhr. Mit “Port Of Morrow” kommt Mitte März ein neues Shins-Album, auf das der Frontmann besonders stolz ist. Im motor.de-Interview gibt sich der Musiker nicht nur redselig, in ihm schlummert gar eine kindliche Vorfreude. Der Songschreiber über Selbstbewusstsein, einen Neuanfang und den Tod.

motor.de: James, über eine Dekade bist du nun bereits Songwriter, hast mit einer Vielzahl an Künstlern und Musikern zusammengearbeitet. Und nun steht ein neues Shins-Album an. Erzähl doch mal ein wenig über das neue Projekt!

James Mercer: Wenn ich darüber nachdenke, dann denke ich automatisch an die vergangenen Projekte und Alben, an denen ich gearbeitet habe. Ich denke das neue Album fungiert als logische Progression, es geht weiter. Die Platte zeigt ein wenig mehr Muskeln und klingt stärker. Vor allen Dingen die Texte sind sehr prägnant und funktionieren in einer äußerst direkten Art und Weise.

motor.de: Nimm mich mit ins Studio! Hast du in den vergangenen Jahren deinen Songwriting-Prozess verändert?

James Mercer: Es ist immer noch gleich. Meistens sitze ich mit der Akustik-Gitarre da, spiele ein paar Akkorde und summe eine Melodie dazu. Sobald es mir gefällt, gelangen diese Ideen in den ganzen Prozess. Wenn es zum Aufnehmen kommt, nehme ich einfach ein paar Vers-Chorus-Ideen auf, ohne Vocals. Dieses Schema loope ich dann einfach derartig oft, dass ich ein Gespür für den Song bekomme. Einfach zuhören, step by step. Mit dieser Technik prokrastiniere ich quasi die Lyrics.

motor.de: Ich hatte ein paar Gelegenheiten in “Port Of Morrow” zu hören und denke, dass es ein sehr luftiges, lebhaftes Album ist. Nach zweimaligem Hören finde ich es sehr bodenständig, auch wenn die Produktion sehr gradlinig und geradeaus daherkommt.

James Mercer: Ja, das macht Sinn. Außer vielleicht für den Fakt, dass viele catchy Sound-Effekte eingebunden wurden. Aber für die Drums und für den Bass stimmt das auf jeden Fall, sie sind wirklich wirklich straightforward. Als wir über Bass und Drums nachgedacht haben, kamen immer wieder auf R’n’B (überlegt lange). Wir wollten sie einfach in einem sehr oldschooligen Style haben.

The Shins – “September”

motor.de: Der Titel “Port Of Morrow” ist nicht wirklich chiffriert, dennoch: dechiffriere ihn bitte!

James Mercer: Naja, ich mochte wirklich den Klang der Wörter, wenn ich ehrlich bin (lacht). Es klingt nach Sorrow, nach Tomorrow. Und darum geht es in gewisser Hinsicht auch, um den Moment, der den Übertritt bedeutet – wenn man das Diesseits verlässt und den Fluss überqueren muss. Im Großen und Ganzen ist es eine Metapher für den Tod.

motor.de: Wow, mein Eindruck war, dass der Titel so eine Art Neubeginn darstellt.

James Mercer: Ist es doch trotzdem, oder? Hoffentlich (lacht).

motor.de: Kommt drauf an.

James Mercer: Wenn du Glück hast (lacht).

motor.de: Wohl wahr. Ich musste beim Titel an einen Neubeginn denken, weil auch die Band vollkommen neue Mitglieder hat. The Shins sind eine neue Band, irgendwie.

James Mercer: Und das ist ein großartiger Gedanke, der mir selbst noch nicht gekommen ist. Es stimmt, “Port Of Morrow” ist auch ein neuer Anfang.

motor.de: Ist es das, was The Shins vielleicht auch gebraucht haben: neue Energie, neue Ideen, eine neue Seele?

James Mercer: Es ist, was ich brauchte. Neue Einfälle sind immer gut. Auf dem Album hatte ich viele neue Leute mit dabei, die einfach mit ins Studio gekommen sind. Nach dem Motto: ‘Setz dich hin, lass dich treiben. Sei kreativ. Und zwar jetzt und hier’ (lacht). Ich muss zum Beispiel an Nik Freitas [Singer/Songwriter, Teil von Broken Bells, Anm. d. Red.] denken. Er hat so viele coole Sachen auf dem neuen Album gemacht. Er hat wirklich tolle Ideen eingebracht, an die ich nie gedacht habe. Und genau deshalb war es wichtig, dass wir neue Impulse zulassen müssen.

motor.de: Ich habe nach der neuen Energie gefragt, weil ich das Gefühl hatte – und ich hoffe, du fasst das nicht unhöflich auf – James Mercer war nach dem letzten Shins-Album sehr frustriert.

James Mercer: Ja, ich war tatsächlich müde. Die Idee (deutet einen großen Schirm an), wieder unter diesem riesigen Ding zurückzukehren und weiter zumachen, war nicht schön. Ich hatte einfach auch das Selbstbewusstsein, etwas Neues zu starten. Und dann kam Brian und hat die Tür für mich geöffnet. Wir haben zusammengearbeitet und ich habe unglaublich viel gelernt. Ich bin dafür sehr dankbar, weil es mich auch sehr aufgerichtet hat. Ich habe gemerkt, dass ich Talente habe, die nicht nur unter das Shins-Dach passen, sondern auch andere Künstler inspirieren und voranbringen kann. Broken Bells war für mich als Künstler eine tolle Erfahrung.

Broken Bells – “Vaporize” (live)

motor.de: Wie eine Reflektion des Lebens. Man fühlt sich unwohl und öffnet eine neue Tür und dahinter befindet sich etwas Neues, das entdeckt werden will. So entstehen Leidenschaft und Neugier, wie bei einem Kind.

James Mercer: Genau (lacht). Nach dem Motto: “Hey, was ist hinter der Ecke dort, oder: lass uns mal dorthin gehen, mal sehen, was dort noch kommt!”

motor.de: Genau. Ich weiß, du warst sehr fasziniert von den alten Instrumenten, die du und Brian bei Broken Bells benutzt und entdeckt habt. Was würdest du sagen: Wie hat Brians Produktionsprozess “Port of Morrow” beeinflusst?

James Mercer:
(überlegt kurz) Weißt du, Greg [Kurstin, Produzent unter anderem von The Flaming Lips, Anm. d. Red.] war sehr wichtig für das neue Album. Seine Herangehensweise ähnelt der von Brian. Er hat auch unglaublich viele alte Synthesizer im Studio. Das ist ein Traum. (Überlegt kurz) Was ich von Broken Bells gelernt habe, sind weniger Singing-Styles, eher doch die psychedelischen Art und Weise Songs aufzubauen.

motor.de: Was ist der Hauptunterschied zwischen Greg und Brian?

James Mercer: Greg kommt mehr aus der traditionellen Ecke. Er hat als klassisch ausgebildeter Musiker und Produzent ein großes Wissen. Brian hingegen ist mehr intuitiv, er hat zu Beginn oft mit Loops gearbeitet. Er hat eine Kollage-Attitüde, er verbindet Dinge zusammen, die ich nicht zusammen gesehen hätte. Beide lieben den alten Vintage-Sound.

motor.de: Hast du Angst, dass Fans oder Kritiker die neue Shins-Platte zu sehr mit Broken Bells vergleichen?

James Mercer: Naja, wenn die Leute sagen, Broken Bells war besser, dann ist das auch nur konsequent. Es war Ich und Brian; und Brian ist wirklich gut. Doch es ist hart, selbst darüber zu urteilen. Ich bin allerdings sehr stolz auf die LP, weil es das stärkste Material ist, das ich mit den Shins gemacht habe. Und nun bleibt nur Daumendrücken: hoffentlich gefällt den Leuten das neue Album, hoffentlich überschattet die neue Bandzusammensetzung nicht ihre Meinung.

motor.de: Das klingt aber nicht sehr selbstbewusst.

James Mercer: Ich habe die Intuition (bricht ab) – Nein, ich habe das Selbstbewusstsein, dass mir die Platte gefällt. Aber ich habe nicht das Selbstbewusstsein, dass allen anderen die Platte gefällt (lacht).

The Shins – “Simple Song”

Mehr Videos von The Shins findet ihr auf tape.tv!

motor.de: “Port Of Morrow” wird nicht mehr auf Sub Pop veröffentlicht. Dafür hast du nun dein eigenes Label Aural Apothecary gegründet. Auch ein Schritt zu mehr Freiheit?

James Mercer: Sicherlich, es ist mein kleines Label, meine Plattform. Nun haben wir die Möglichkeit, vielleicht eines Tages eine Band zu pushen, sie zu produzieren. Ich hatte aber nie Probleme mit den Labels. Höchstens mal mit einem Video, dass Sub Pop bezahlt hatte, zumindest zur Hälfte (lacht). Und sie wollten mich im Video haben, ich wollte das aber nicht. Was die Plattenaufnahmen angeht, hatte ich immer ausreichend Freiheit.

motor.de: Was sind die Hauptthemen des neuen Langspielers – irgendwas, das du herausstellen wolltest?

James Mercer: Weißt du, ich habe ein neues Leben mit meiner Frau und meinen Kindern, sodass sich viel Liebe auf dem Album befindet. Doch auf der anderen Seite hat mich die Erkenntnis heimgesucht, dass ich dieses Leben irgendwann einmal verlassen muss. Es war genau dieser Zwist zwischen diesem Geschenk, ein tolles Leben mit einer wunderbaren Familie zu haben, und dem Fakt, dieses Umfeld aufgeben zu müssen.

motor.de: Euer erster Release war der Track “Simple Song”. Der Song führte mich zu einem Zitat, das ich in eine Frage ummünzen will. Denkst du, dass The Shins immer noch eine “conventional chord-structrued indie-band” sind?

James Mercer: Eigentlich ist es immer noch das gleiche mit den Songs. Noch immer suche ich nach coolen Chords, die ich dann zu einem tollen Lied weiterspinne. Allerdings haben wir uns produktionstechnisch weiterentwickelt und für neue Konzepte und Methoden geöffnet, sodass die Chords nicht mehr das alleinige Zentrum unserer Musik ist.

motor.de: Nicht wenige sprechen davon, dass euer Album eines der wichtigsten für Indie-Musik 2012 ist. Für euch als Band als auch für dieses Genre als Sammelsurium. Rettet ihr Indie-Musik?

James Mercer: (lacht) Ich weiß es nicht. Als damals der Garden State-Film herauskam und so viele Kids unseren Song durch Natalie Portman hörten, dachte ich nur, dass wir bald die uncoolste Band sein würden. Und es kam alles anders. Es ist gut ausgegangen und wir haben überlebt.

Sebastian Weiß