Eine Sensation, klar. Aber will man das wirklich erleben? Jetzt versuchen sich die Stone Roses tatsächlich doch noch an einem Comeback.
Selbst für die gewöhnlich hochtourig agierende britische Musikszene ist dieser Moment des Aufhorchens bemerkenswert. Es hat gerade mal ein Wochenende gedauert von der ersten halbwegs validen Spekulation bis zur handfesten Meldung. Quelle sind ausgerechnet die englischen „Tabloids“, jene Boulevardzeitungen, die – wie man heute weiß – nicht eben zimperlich sind in der Beschaffung ihrer Exklusivmeldungen. Eine SMS soll es diesmal gewesen sein, die jetzt als Bestätigung gilt, nicht illegal abgehört, sondern stolz vorgezeigt von einem Freund Ian Browns. Eine Pressekonferenz verschafft jetzt endgültig Gewissheit. Ian Brown, das sei der Vollständigkeit halber angemerkt, ist Musiker, Sänger und war Frontmann der Stone Roses. Vor 22 Jahren erschien deren Debütalbum „The Stone Roses“ (es gab dann geschlagene fünf Jahre später noch ein zweites, das man aber getrost vergessen kann). Hört man das heute wieder mal nach, fällt einem auch prompt auf, wie weit die Wirkung eines Albums von dem entfernt liegen kann, was man als ein kollektives Erweckungserlebnis der britischen Musikszene ansehen muss.
Stone Roses – “I Wanna Be Adored” (Live 1985)
Das Stichwort ist natürlich „Madchester“, jene paar Jahre von Ecstasy-befeuerter Fusion von Ravekultur und Gitarrenpop, in denen die Stone Roses eine der tragenden Säulen waren. Bis heute – das zeigt die nahe an der Hysterie agierende englische Musikpresse gerade wieder – lässt sich die Bedeutung dieser nach den Beatles-Zeiten am meisten prägenden Phase der britischen Popmusik kaum überschätzen. Gute zwanzig Jahre ist das her und die Ernüchterung angesichts des popmusikalischen Status Quo auf der Insel scheint tatsächlich so groß zu sein, um in einer Reunion der Stone Roses so etwas wie die Wiederkehr des Messias zu sehen. Es ist das i-Tüpfelchen auf dem sowieso schon unübersehbaren Trend.
Wer sich die Festival-Line-Ups dieses Jahres anschaute, kam sich oftmals wie in einer Zeitschleife vor. Bands, die man als mehr oder weniger wegweisend kannte, standen in großen Lettern auf den Plakaten, also dort, wo sie als Headliner vor einem oder zwei Jahrzehnten auch schon mal standen. Man muss sich heutzutage fast schon anstrengen, um eine halbwegs erfolgreiche Band der letzten zwanzig Jahre zu finden, die sich noch nicht wiedervereinigt hätte. Und da lassen wir die Kasper der Musikhistorie sogar schon raus, all die New Kids On The Block, Blink 182, Stone Temple Pilots oder Guns N Roses, die der Musikwelt wenig anderes zu bieten haben als Teenager-Erinnerungen, Second-Hand-Innovation und eine gehörige Portion Größenwahn. Der wiederum gehört natürlich zu jeder anständigen Reunion, setzt diese doch voraus, dass irgendjemand ein Interesse an Bands hat, deren Höhepunkt per Definition schon lange überschritten ist – schließlich lösen sich nur die wenigsten auf, weil man gerade so erfolgreich ist. So vielfältig die Gründe für einen Split sein mögen – sagen wir mal: persönliche Spinnefeindschaft der Hauptprotagonisten hält gemeinhin vom weiteren Zusammenarbeiten nicht ab, solange der Erfolg Recht gibt –, an erster Stelle steht die künstlerische Stagnation, das Gefühl, das Beste gegeben zu haben, oft genug auch begleitet von allerseits wahrnehmbaren Einbußen in Sachen Album- und Ticketverkäufe.
The Stone Roses – “Fools Gold”
Sich nach einer Anstandsphase wiederzuvereinigen, gehört inzwischen allerdings zum Selbstverständlichen. Es ist die Sehnsucht eines Publikums, das in musikalisch undurchsichtigen Zeiten einen Anker sucht, die den Boden dazu bereitet. „Früher war eben alles besser“ ist der passende Spruch dazu. Einen anderen als den Vorwurf der künstlerischen Belanglosigkeit kann man den Protagonisten denn auch meist kaum machen. Der nach der Trennung oft unvermeidliche Fall in die sich mühsam daherschleppende Solokarriere oder gar in die totale Bedeutungslosigkeit kann schließlich einfach gestoppt werden. Vor allem – und das ist heute manchmal sogar einfacher als früher – wenn sich jetzt sowieso erst die wahre Ernte der musikalischen Pionierarbeit einfahren lässt. Es muss ja nicht gleich ganz so unverhohlen geldgierig zugehen wie bei den Sex Pistols oder alterspeinlich wie bei den Stooges. Manchmal geht man einfach noch mal gemeinsam auf Tour, bevor die Hälfte der Bandmitglieder tot ist, wie bei den Velvet Underground. Die waren 1993 eines der ersten Beispiele dafür, wie man weniger die alten Fans mit dem Legendenstatus aus den Löchern lockt – die gab es damals bekanntermaßen kaum – sondern zwei Nachfolgegenerationen. Offensichtlich immerhin Spaß an ihren Konzerten hatten auch die Pixies, die sich sonst – so hörte man allenthalben schon zu ihren Glanzzeiten – eigentlich gar nicht ausstehen können. Seitdem dienen ihre immer mal wieder stattfindenden Touren wahrscheinlich vor allem der Finanzierung von Mastermind Black Francis’ wilden Soloeskapaden. Sogar der andere große Exzentriker des Alternative-Rock – Mike Patton – hatte wohl zwischen all seinen anstrengenden Avantgarde-Projekten wieder Lust auf die – allerdings nur vergleichsweise – simplen Faith No More. Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Jetzt halt mit den Stone Roses.
Ian Brown – “Stellify”
Ian Brown gilt in England als Nationalheiliger des Pop, vergleichbar nur mit Leuten wie Morrissey, Paul Weller oder den Gallagher-Brüdern. Seine Soloalben findet man nicht an der Spitze der Charts, aber sie werden immerhin mit großem Respekt gewürdigt. Am Ende erreichte er jedoch nie die Relevanz seines Frühschaffens mit den Stone Roses. Warum er also mit ihnen noch mal in den Ring steigen will, zeigt der Inhalt seiner SMS: „We are going to rule the world again.“ Ein bisschen Größenwahn gehört auch bei ihm dazu. „I Wanna Be Adored“ heißt einer ihrer bekanntesten Songs. Es ist das älteste Motiv der Welt, auf eine Bühne zu gehen.
Augsburg
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