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“Vergleiche mit Arcade Fire gehen uns auf die Nerven.” – TSDOLE im Interview

The Strange Death of Liberal England ist eine junge Band, die mit wenigen Mitteln ein groß klingendes Album produziert hat. motor.de traf sie zum Interview und fragte, wie sie das gemacht haben.

Indie-Bands aus Großbritannien gibt es genug. Da noch eine zu finden, die heraussticht, ist gar nicht einfach. The Strange Death of Liberal England aus Southsea aber sind so eine Band. Auf ihrem Debütalbum „Drown Your Heart Again“ präsentieren sie anstatt jugendlichem Schrammelpop, aufwendige Arrangements aus Rockmusik und orchestralem Hochmut. Wie sie sich seit ihrer ersten EP von 2007 verändert haben, wie eine Band ohne Geld ein Orchester auf ihre Platte bekommt und warum – verdammt nochmal – sie solch einen langen Namen haben, erzählten uns die fünf beim Auftakt ihrer Support-Tour mit Slut in Leipzig.

motor.de: Heute spielt ihr die erste Show eurer kleinen Deutschland-Tour mit Slut. Was erwartet ihr davon?

Adam Woolway: Wir hoffen, es kommen eine Menge Leute. Als wir hier ankamen, wünschten wir uns Kaffee und Bier – das haben wir jetzt und danach ist es uns eigentlich egal.

motor.de: Euer Bandname kommt von einem Buch über den Verfall der British Liberal Party. Welche Bedeutung hat dieser lange Name für euch?

Adam Woolway: Wir haben den Namen gewählt, weil wir dachten, er hört sich irgendwie cool an. Er kam uns einfach wie ein raffinierter Bandname vor. Die Leute halten dann inne und hören eher zu, als bei beschissenen Bandnamen wie Oasis oder so.
Andy Wright: Das schränkt auch die Wortanzahl ein, wenn jemand eine Rezension über uns schreibt.
Adam Woolway: Und es macht sich gut auf Gigplakaten, weil es zwei Zeilen einnimmt. Das sieht dann aus als seien wir echt wichtig.

motor.de: Also seid ihr keine politische Band?

Adam Woolway: Ich glaube, man kann nichts tun, ohne politisch zu sein. Wir richten uns nicht an irgendeiner politischen Partei oder Bewegung aus. Unsere Texte handeln sehr viel von Hoffnung, Freiheit und der Möglichkeit, in deinem Leben glücklich zu sein. Das kann man zwar mit politischen Themen verbinden, aber es ist nichts speziell Politisches dabei.

The Strange Death of Liberal England – “Rising Sea”

motor.de: Ihr kennt euch schon seit der Schule. Wie kam es dazu, dass ihr eine Band gegründet habt?

Adam Woolway: Wir kannten uns alle schon und waren Freunde, bevor wir die Band hatten. Abgesehen von Dave, der erst dieses Jahr im Februar dazukam.
Andy Wright: Und er ist nicht unser Freund. (alle lachen)
Dave Lindsay: Ich gebe mein Bestes.
Adam Woolway: Also wir kannten uns alle schon, bevor wir die Band hatten. Jetzt sind wir in einer Band und nicht unbedingt Freunde (lacht), anstatt Freunde und nicht in einer Band zu sein.

motor.de: Produziert wurde „Drown Your Heart Again“ von David M. Allen, der schon bei Aufnahmen für Depeche Mode oder The Cure half. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Adam Woolway: Es war großartig. Er ist ein absolutes Genie. Er hat eine gute Geschichte an produzierten Bands. Man kann ihm also vertrauen, dass er eine gute Platte macht. David hat sehr hart gearbeitet, so viele Sachen geändert und aus uns eine besserer Band gemacht. Dann haben wir innerhalb eines Monats das Album aufgenommen, das war sehr intensiv. Ich glaube, er hat uns ein wenig mehr in die traditionelle Poprichtung gebracht. Wir sind ja keine richtige Pop-Band, aber er hat uns dazu gebracht, Songs in ordentlichen Strukturen zu schreiben, wie…
Dave Lindsay: 4/4-Takt.
Adam Woolway: Genau, Dinge wie zum Beispiel einen 4/4-Takt zu nutzen, wobei wir immer nur irgendwelche Zahlen wählten und losspielten. Unsere Musik war vorher etwas unzugänglich. Er hat es geschafft, dass jetzt jeder Depp dazu tanzen kann. Er hat aus uns eine richtige Band gemacht und uns bewusst gemacht, dass es enorm wichtig ist, seine Instrumente zu beherrschen und richtig zu singen.

motor.de: Und warum hat er während der Aufnahmen in einem Van vor eurem Studio gewohnt?

(alle lachen)
Adam Woolway: Wir hatten halt kein Geld. Wir konnten es uns nicht leisten, ihn in ein teures Hotel zu stecken. Er tat das als Gefallen. In einem Wohnmobil zu wohnen, war alles was wir uns leisten konnten.

motor.de: In euren Songs scheint ihr jedes Thema mit dem Meer zu verbinden. Woher kommt dieser Hang zur See? Nur vom dort Leben?

Adam Woolway: Ja, definitiv. Wir leben in Southsea an der Südküste Englands. Wenn ich aus meiner Wohnungstür trete, bin ich nach zwei Minuten buchstäblich…
Andy Wright: Nass.
Adam Woolway: (lacht) Ja, im Meer! Wenn du einen Song schreibst, kann etwas wie das Meer eine sehr starke Metapher sein, für alles was du fühlst oder machst. Wir haben die Metapher genommen und sie etwas ausgedehnt.


Foto: Alex Beyer

motor.de: Meint ihr das kann man als Seemannsmusik bezeichnen?

(alle lachen)
Adam Woolway: Ich weiß nicht, viel davon klingt vielleicht so.
Kelly Jones: Seemannsmusik? Nein, das würde ich nicht sagen.
Adam Woolway: Viele Leute sagen, es klinge wie Matrosenlieder oder sowas. Aber ich denke nicht, dass es das tut. Für mich klingt es einfach nach Rockmusik.
Kelly Jones: Das einzige, das vielleicht in die Richtung geht, sind die paar Glocken, die darauf zu hören sind.
Adam Woolway: Stimmt. Dave Allen wollte, dass diese Idee vom Meer wirklich in der Musik und den Texten verkörpert wird. Und das haben wir dadurch erreicht, dass wir Glocken und Schiffsounds darauf packten. Und das sind wohl die Dinge, die diesen Eindruck entstehen lassen.

motor.de: Geht euch das Thema „Meer“ nicht so langsam auf die Nerven?

Adam Woolway: Naja, das ist nunmal das Thema dieser Platte. Es ist ein Album über das Meer, das geht nicht ohne das Meer zu erwähnen. Danach machen wir ein Album über etwas anderes, vielleicht über trockenes Land (lacht), in der Stadt zu leben oder sowas.

motor.de: Könnt ihr euch vorstellen, einmal nicht mehr am Meer zu leben? Vielleicht nach London zu ziehen, wenn die Sache mit der Band größer wird.

Adam Woolway: Ich weiß nicht, wahrscheinlich schon. Obwohl ich immer, wenn ich mich vom Meer wegbewege, beginne davon zu träumen. Es hat also einen starken Einfluss auf mein Leben. Was ist mit euch?
Andy Wright: Ich würde gern wegziehen.
Wil Charlton: Aber nicht nach London, irgendwo anders hin, aber nicht London. London ist schrecklich.
Adam Woolway: Ja, London ist ein schrecklicher Ort. Vielleicht ziehen wir ja nach Leipzig!

motor.de: Im Booklet zu „Drown Your Heart Again“ erwähnt ihr den ‘kommunalen Geist und Enthusiasmus der Menschen in Portsmouth und Southsea’. Was meint ihr mit diesem Vermerk?

Adam Woolway: Wir haben schon lange versucht dieses Album aufzunehmen. Aber wir hatten nie das Geld dazu, weil Bands heutzutage eben kein Geld mehr verdienen. Es kauft ja niemand mehr Platten, also ist auch kein Geld in der Musikindustrie. Der einzige Weg war, uns auf Leute zu verlassen, die wir kannten und die uns helfen konnten. Das Studio gehört einem Freund, so konnten wir das umsonst nutzen. Dave Allen produzierte kostenlos. Außerdem ist auf dem Album ein ganzes Orchester zu hören und wir haben dafür nichts bezahlt!
Kelly Jones: Den Komponisten des Orchesters haben wir getroffen und er wollte gern mit uns zusammenarbeiten. Das ging alles nur darüber, dass wir Leute zufällig trafen, die die Leidenschaft für die gleiche Sache oder das gleiche Ziel hatten. Es gibt keine geheimen Finanzen dahinter.

The Strange Death Of Liberal England – “Flagships”

motor.de: Gibt es Bands, die eure Musik beeinflussen?

Andy Wright: Ich höre mir keine Musik an und denke dann ‘Ich will wie das da klingen.’ Wir klingen halt, wie wir am Ende nunmal klingen. Wir mögen alle so viele verschiedene Arten von Musik.
Adam Woolway: Wir werden mit vielen Bands verglichen, aber keiner von uns hört die wirklich.
Andy Wright: Das ist echt merkwürdig. Wir werden oft mit Wolf Parade verglichen, aber niemand von uns hat die jemals gehört.

motor.de: Vergleiche mit Arcade Fire gibt es auch oft.

Adam Woolway: Ja, das geht mir so auf die Nerven, dass ich aufgehört habe Arcade Fire zu hören. Ich kann das einfach nicht anhören, weil ich es satt habe, dass Leute sagen, wir klingen wie Arcade Fire. Der einzige richtige Einfluss für dieses Album war Dave Allen. Wir haben viel ausprobiert, was er vorgeschlagen hat und es hat funktioniert. Er ist die Person, die unseren Sound und unsere Musik beeinflusst hat, aber mir fällt keine andere Band ein.

motor.de: Auf der neuen Platte klingt ihr viel opulenter als noch auf „Forward March!“ Wie habt ihr euch als Band seitdem weiterentwickelt?

Andy Wright: Ein großer Unterschied ist, dass wir unsere Instrumente jetzt richtig spielen können.
Kelly Jones: Ich denke jede Band kann experimentell sein. Aber wenn du keine Regeln oder Muster befolgst, dann kannst du manche Dinge gar nicht machen. Das ist uns passiert: Wir konnten diese Dinge eben nicht und haben diesen komischen Krach produziert und währenddessen gelernt zu spielen und was einen guten Song ausmacht. Dann haben wir versucht unseren Sound beizubehalten, aber Songs daraus zu machen.
Adam Woolway: Die eine Seite ist ja groß und episch zu klingen, aber du musst auch wissen, wie du die ruhigen, feinen Teile schreibst. Denn der Unterschied zwischen beidem macht aus, dass etwas wirklich groß klingt. Und auf deiner Platte mit einem dreißig-köpfigen Orchester zu spielen, hilft auch sehr. (lacht)

Interview: Laureen Kornemann

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