Sie waren eine der essenziellen Bands der letzten Dekade – nach langer Pause müssen sie jetzt eigentlich nichts mehr beweisen. Oder?

Man kann das seltsam finden oder eben als Zeichen dafür deuten, dass sich Popmusik doch nicht einfach so durchkalkulieren lässt: trotz aller Marketingmaßnahmen, Trendberechnungsversuche, den mehr oder weniger geglückten Teenie-Gehirnwäschen und eines immer übermächtiger scheinenden Mainstreams. Wer das letzte Jahrzehnt vor dem geistigen Auge noch einmal reüssieren lässt, kommt um The Strokes nicht herum, obwohl die bei genauerer Betrachtung nur ganz am Anfang dieses Jahrzehnts ein wirklich wichtiges Album abgeliefert haben. Das wiederum hatte eigentlich nicht wirklich Neues zu bieten, zumindest prinzipiell besehen, und war alles andere als eine musikalische Revolution. Trotzdem klang es aufregender als das Allermeiste, was man damals und lange danach zu hören bekam – zumindest, wenn man berücksichtigte, was mit Gitarren noch zu leisten war.

2001 erschien „Is This It“, schon als das Album kam, war der Hype enorm, selten hatte man erlebt, dass eine amerikanische Band auch in England – wo man in Sachen popmusikalischer Lufthoheit ja seit Menschengedenken, also seit dem Mersey Beat der Sechziger, mehr als penibel ist – solchen Anklang fand. Es war das Debüt von fünf schlacksigen Typen, gutaussehend, verwuscheltes Haar, gern in Lederjacke und Jeans, denen man nach den allgemein geltenden Regeln des Rock eigentlich Einiges hätte vorwerfen müssen: Zum Beispiel, dass sie nicht aus der Provinz geflüchtet waren, wo sie eine trostlose Jugend zum Musikmachen gezwungen hätte. Dass Musik für sie nicht der einzige Alternative eines Underdog-Lebens war. Dass sie sich nicht hocharbeiten mussten zu irgendeinem Produzenten oder Plattenboss. Dass sie nicht von der Hand in den Mund lebten für ihre Musik. Denn wenn man – wie Sänger Julian Casablancas – Sohn des Chefs einer der wichtigsten Modelagenturen der Welt ist oder – wie Gitarrist Albert Hammnond Jr. – gar Spross eines hochdotierten Songschreibers mit einem guten Dutzend Welthits ist, kommt man aus den besseren Kreisen, hat nie Mangel gelitten, eine gediegene Schulbildung vorzuweisen und zählt zur oberen Schicht des Szene-Jetsets, auch oder gerade in New York.

The Strokes – “Under Cover Of Darkness” (live; präsentiert von Miley Cyrus)

Trotzdem: „Is This It“ hörte man das nicht an, es war ein Album voller schmissiger Songs, erfrischend unvorbelastet von all dem Ballast, den die Rockmusik in den Jahrzehnten angehäuft hatte. Verkörpert wurde das besonders vom Hit-Flaggschiff „Last Nite“. Dessen eindringliche Energie stand in einem eigentümlichen Gegensatz zum lässigen Grundgestus und dem rotzigen Sound, die jene Schnodderigkeit aufzeigten, die im gerade auslaufenden NuMetal-Overkill mal wieder auf der Strecke geblieben waren.

Es war eine Zeitgeist-Punktlandung, die The Strokes hinlegten. Möglich war die natürlich nur, weil sie es tatsächlich schafften, aus dem doch eigentlich durchgenudelten Genre des Gitarrenrock noch eine neue Facette herauszukitzeln. Sie stilisierten die scheppernde Garagen-Attitude ihres Sounds und Casablancas Stimme zum unverkennbaren Markenzeichen und machten auch sonst alles richtig – bis hin zu den verrufen kurzen Konzerten mit ihren gerade mal acht, neun Songs, die praktisch allesamt in dreieinhalb Minuten zu erledigen waren. Album des Jahres war das in vielen der wichtigen Musikmedien. Und auch bis zur Dekadenabrechnung blieben The Strokes auf der Rechnung, zum „Album des Jahrzehnts“ kürte immerhin auch der NME das furiose Debüt. Dabei war die Zeit nach „Is This It“ eher business as usual, denn Beitrag zur Legendenbildung. Zwei Alben folgten bis 2006, wirklich heranreichen konnte keines, wenn auch beide immer noch Publikumsbegeisterung, Kritiker-Respekt und mehr als anständige Verkaufszahlen aufweisen konnten. Die Headline-Auftritte auf den großen Festivals folgten, dann eine lange Pause und das eine oder andere – aus heutiger Sicht eher nicht so wichtige – Soloalbum.

Zehn Jahre nach dem Debüt, fünf Jahre nach dem letzten Album, erscheint jetzt „Angles“, es wird natürlich – wie es so schön heißt – „mit Spannung erwartet“. Auf die unterschiedlichen Sichtweisen der fünf Musiker beziehe sich der Titel, lässt man wissen. Wirklich überraschend präsentiert sich das vierte Album sicher nicht. Die Vorabauskopplung „Under Cover Of Darkness“ knüpft überdeutlich an die frühen Tage an, auch beim Output-Understatement belassen es The Strokes, ihre zehn Songs sind in einer guten halben Stunde durch, ordentlich nach vorn gehen die meist, sind immer noch alles andere als überproduziert und haben tatsächlich noch das Quäntchen mehr Saft in den Knochen als viele andere. Ob das über die beinharte Fangemeinde – die den Strokes oft so etwas wie ihre musikalische Initiation verdanken – und das übliche Tagesgeschäft im Reigen der renommierten Bands ihrer Liga hinaus noch eine Wirkung erzielen kann, sei dahingestellt. Auch eine Ausnahme-Band muss erstmal nur ein Jahrzehnt prägen. Alles was danach kommt, ist reine Kür. Zumindest, solange es okay ist. Und mindestens „okay“ sind The Strokes sicher noch eine ganze Weile.  

Augsburg

The Strokes – “Angles”

VÖ: 18.3.2011

Label: Sony

Tracklist:
1. Machu Picchu
2. Under Cover Of Darkness
3. Two Kinds Of Happiness
4. You’re So Right
5. Taken For A Fool
6. Games
7. Call Me Back
8. Gratisfaction
9. Metabolism
10. Life Is Simple In The Moonlight