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The Years They Drove Old Dixie Down

Bedeutung war früher: Popmusik hat sich selbst befreit und ist – nun ja – nicht mehr wirklich wichtig. 

Man kann dieser schnelllebigen Tage in einigen einschlägigen Blogs gerade wieder eine Menge über den “Diebstahl” von Musik, die natürlich böse Musikindustrie, das oft genug ins kleinkindlich Trotzige chargierende Selbstverständnis von Filesharern, die Zwänge und Chancen neuer Technologie und über Musik lesen. Das heißt, um Musik geht es eigentlich kaum, sie ist hier nur ein willkommenes Beispiel-Objekt, losgelöst von jeglicher eigenen Bedeutsamkeit, ein simples immaterielles Gut, an dem sich Urheberrechtsproblematiken verdeutlichen lassen.


“We shall overcome”: Joan Baez 1963 auf dem Civil Rights March nach Washington.

Man kann dieser Tage auch ARTE schauen, dort hat man sich zum alljährlichen Sommer-Revival-Thema die Sechziger erwählt. Richtig außer Mode war die Epoche nie, immer wieder wird ihr “Zeitgeist” beschworen, das Themenfeld ist meist schnell umrissen: Hippies, Flower Power, Woodstock, Love & Peace. Meist ist das alles mit immerderselben Musik von Hendrix/Doors/Joplin/Beatles/Stones oder gleich mit “If you’re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair” untermalt. Herrliche Zeiten waren das!

Aber nein, die Zeiten waren nicht herrlich, schon gar nicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die ja nur galten, wenn man eine weiße Hautfarbe hatte und das System gut fand, so wie es war, mit seinem institutionalisiertem Rassismus, einer antikommunistischen Doktrin Hand in Hand mit hinterwäldlerischem Redneck-Konservatismus, der Freigeister unter Generalverdacht stellte, und – natürlich – einem außer Kontrolle geratenen Krieg in Übersee, der mit Napalm und Agent Orange geführt wurde und die Wehrpflicht reaktivierte. Die grundlegenden Umwälzungen des Jahrzehnts waren keine friedliche Übernahme mit Blumen und einem Scott McKenzie-Schmachter. Das System wehrte sich mit Polizei, FBI, Nationalgarde, Mordkomplotten: Es gab Verhaftungen, Prozesse, Schlagstöcke, Tränengas, Blut, Tote. Popmusik war immer dabei, an buchstäblich vorderster Front.

Soeben “erfunden”, schöpfte sie ihr Bewusstsein aus dem tiefamerikanischen Kulturfundus der Ausgestoßenen, dem Blues und Gospel der Schwarzen, dem Folk und Bluegrass des weißen Prekariats – verpflanzt in den Kontext der neuzeitlichen Bohème-Avantgarde. “Gegenkultur” war noch keine schicke Marketing-Worthülse und Popmusik war das effektivste Instrument der Mobilisierung, konnte doch hier schon vorgesungen werden, wie das funktionierte mit dem freien Leben. Dafür musste man nur an der Revolution teilhaben, die ihre Energie zu großen Teilen aus Popmusik bezog, ein tönender Grundkonsens gegen das Establishment, die Elterngeneration, ein Leben in starren Konventionen. Popmusik war tatsächlich gefährlich, weil geistig befreiend.


Parteikonvent in Chicago 1968: Schlagstöcke für die Gegenkultur.

So wichtig für das Leben so vieler war Popmusik nie wieder. Ihr kamen schlicht die offensichtlichen Gegner abhanden, zumindest in der westlichen Welt, deren heutige Liberalität auch auf dem Sieg der Popkultur beruht. Die Rebellion war nicht mehr so einfach zu haben, es reichte irgendwann nicht mehr, einen mitreißenden Song zu schreiben oder ein Festival zu besuchen, um “dagegen” zu sein. Popmusik ist eine Generation später zur schlichten Unterhaltungsware geworden oder wenigstens zu einer Kultur neben vielen, irgendwie jugendlich-rebellisch, klar, aber kein Per-se-Widerstand, kein eigenständiger Wert an gesellschaftlicher Sprengkraft, nur noch ein beliebig einsetzbarer Soundtrack für alle Lebenslagen. Eben nicht mehr wichtig.

Popmusik hat den Wert der gesellschaftlichen Relevanz verloren, ist ein kultureller Zeitvertreib, etwas, was man nebenher von der Festplatte hören kann, was gut passt zum Schlammrutschen auf einem Mega-Open Air oder zum Austoben in der Indiedisco, was vielleicht noch zur tagesaktuellen Stilabgrenzung im neoliberal durchhauchten Selbstdarstellungswettbewerb taugt oder – wenn es hoch kommt – zur individuellen Kreativentäußerung und auch da auf absehbare Zeit nicht ausreichend als Mittel zum selbstbestimmten Lebensunterhalt. Nichts jedenfalls, dem man mehr zumessen müsste, als eine Ansammlung von Daten, von Information zu sein. Nichts, dem man Bedeutung über eine technisch-künstlerische Arbeitsleistung hinaus gewähren könnte.


Einsatz der Nationalgarde 1970: “Four dead in Ohio” bei Studentenprotesten an der Kent State University.

Man sollte sich vielleicht immer mal wieder in Erinnerung rufen, dass eine Joan Baez neben Martin Luther King marschierte, die MC5 mitten in den “police riots” in Chicago spielten, John Lennon vom FBI beobachtet wurde. (Oder, dass der simple Besuch eines Punk-Konzerts in der DDR-Agonie der Achtziger noch reichte, um ins Klassenfeind-Raster der Stasi zu geraten.) Ein “Summer Of The 60s” auf ARTE ist dazu vielleicht nicht der schlechteste Einstieg, zumindest, wenn man die dort vertretene Dokumentation über Joan Baez als Maßstab nimmt. Und dann reden wir nochmal über “immaterielle Güter”.

Augsburg

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