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Thomas Azier im Interview

(Foto: Ben Roth)

Als wir uns in den Katakomben des Prince Charles mit Thomas Azier zum Interview treffen, bedarf es eigentlich keiner großen Erklärungen, worüber wir mit ihm sprechen wollen. Ganz offensichtlich soll sich unser Gespräch um sein Debutalbum Hylas drehen, das nach fünf Jahren Entstehungszeit kaum besser, großartiger und zeitgeistiger hätte werden können. Doch wie so oft ging unser ursprünglicher Plan nicht auf, und das Gespräch driftet immer mehr in die Thematik des dunklen, bösen Berlin und die Talfahrten seiner Biographie ab. Vor uns sitzt ein Künstler, der ganz lange musikalisch nicht der sein konnte, der er sein wollte und einen jahrelangen inneren Kampf gegen die Industrie und vor allem gegen sich selbst geführt hat. Mit Hylas scheint Thomas Azier den Feldzug gegen all’ seine Dämonen endlich beendet zu haben und steigt mit seinem ersten Longplayer wie Phönix aus der Asche endlich in die Sphären, zu denen er immer wollte.

Schon der Name des Albums ist sehr besonders: Hylas ist eine Figur der griechischen Mythologie und war ein jugendlicher Kampfgefährte des Herakles – einem für seine Stärke bekannten griechischen Gott. Aber soll besser Thomas die ganze Geschichte erzählen:
Hylas ist der kleine, schöne Kompanion von Herakles. Gemeinsam mit Herakles schloss er sich den Argonauten an, um nach dem Schatz des ‚Goldenen Vlies’ zu  suchen. Also segeln sie über das Meer. Hylas wird eines Tages zu einer Insel losgeschickt, um Wasser zu suchen. Dabei wird er von den auf der Insel lebenden Nymphen ins Wasser gezogen und verführt. Er verliebt sich in die Nymphen, wird einer von ihnen und lebt fortan bei ihnen. Für mich ist es eine wunderschöne Geschichte mit sehr vielen Metaphern. In Bezug auf mein Leben und mein Album könnte eine der Metaphern sein, dass ich Hylas bin und die Nymphen Berlin. In Bezug auf die junge Liebe könnte es die Erfahrung sein, dass man zum ersten Mal das Gefühl hat, wirklich verliebt zu sein, und sich deshalb zu viel liebt. Quasi gegenseitig hinunter ins Wasser zieht und ertränkt. Man möchte die ganze Zeit zusammen sein, und zieht die Liebe so tief ins Wasser, dass sie erstickt.


(Foto: Ben Roth)

Wer so tief in den unendlichen Welten der breiten Allgemeinbildung gräbt, hat doch bestimmt ein spezielles Anliegen, warum gerade solch eine Saga den ersten Longplayer beschreiben soll. Gibt es also einen bestimmten Grund, warum für das namensgebende Thema des Debutalbums eine Geschichte aus der Antike ausgesucht wurde?
Natürlich hat es einen Grund. Und natürlich auch einen bestimmten, der etwas tiefer geht, als bloß eine schöne Geschichte zu sein. Als ich 2007 nach Berlin kam war ich 19. Jung und naiv. Mein Bauchgefühl hat mir damals gesagt, ich muss es mit Berlin versuchen und nicht mit London, Amsterdam oder Paris. Ich fühlte mich als Teil einer Generation, die nach Schönheit und Kunst suchte. Aber als ich in Berlin ankam, bemerkte ich, dass die Stadt nichts von der Schönheit und der Kunst war, die ich gesucht habe. Ich war isoliert in einer Stadt, in der es primär um Hedonismus und düstere Orte ging. Das kann auch sehr verlockend sein! Aber ich sehe meine Person eher als ein Zuschauer des ganzen Spektakels, als jemand der an diesem teilnimmt. Außerdem kam ich mit so vielen Hoffnungen nach Berlin und viel Interesse an der Post-Moderne. Berlin war wie ein post-modernes Mekka: mit all dieser Kunst,  die sich hauptsächlich mit Zerfall und Zerstörung und nicht mit Wiederaufbau beschäftigte, oder damit, etwas Positives zu schaffen. Ich aber dachte immer, dass Berlin mehr wie ein Phönix ist, der buchstäblich aus der Asche wieder auferstiegen ist. Damals lag sehr viel Hoffnung in der Stadtluft und viele junge Menschen kamen nach Berlin, um neue Lebensarten zu finden. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und habe immer von diesen Städten geträumt, in denen ich Menschen finden könnte, die auch auf der Suche nach dem Anderen und eben dieser Schönheit sind. Eine Art romantische Bewegung wie damals in den 80ern. Aber ich habe nichts davon gefunden. Und war allein. Und wurde immer einsamer und einsamer.


(Foto: Ben Roth)

Warum war die Suche nach Schönheit und Gleichgesinnten in Berlin so erfolglos? Was hat Berlin (nicht), dass solche elementaren Dinge so schwer auffindbar sind? Oder ist die Illusion, die Erwartung an die Stadt einfach die Falsche?
Mittlerweile glaube ich, dass zu dieser Zeit Berlin einfach schon explodiert war. Es ist heute nicht mehr „cool“ nach Berlin zu ziehen – fucking hell, it’s over! Die 90er hier waren cool. Heute geht es nur noch um Parties und darum möglichst drauf und fucked up zu sein. So wie man heutzutage nach Indien geht, um Spiritualität zu finden, geht man nach Berlin um kredibil zu werden.  Ich wollte damals Berlin künstlerisch tatsächlich auch etwas geben, anstatt immer nur zu nehmen. Ich war so naiv, dass ich mir rückblickend beinahe dumm vorkomme.

Thomas Azier hat sein Studio irgendwo in Lichtenberg in einer ehemaligen DDR Glockengießerei. Hier macht er seit Jahren Musik. Es ist der Ort, an dem seine beiden EP’s ‚Hylas001’ und ‚Hylas002’ und auch das neue Album entstanden sind. Als Holländer fährt er jeden Tag mit dem Fahrrad – naturally! Lange Zeit radelte er Tag für Tag auf dem Weg ins Studio an all’ diesen glücklichen Menschen vorbei, die draußen abhingen, sich amüsierten – ohne ein Teil davon zu sein. Während seine Berliner Kollegen das Cliché lebten, ging er auf Friedhöfen spazieren oder besuchte russische Denkmäler. Was nicht unbedingt weniger clichéhaft ist, aber ins große Ganze passt. In dieser Zeit enstand die zweite Hylas EP. Ein dunkles Portrait seiner Zeit als typischer Berlin-Depressionist. Es klingt beinahe so, als sei Berlin eher der Untergang als sein Werdegang gewesen. War es die falsche Entscheidung von Holland nach Berlin zu kommen, um seinen Traum zu leben? Nein, überhaupt nicht. Aber dadurch, dass ich lange Zeit nicht die für mich richtigen Menschen getroffen habe, war ich einfach verzweifelt. Und hatte eine Phase, in der ich sehr unglücklich war.


Thomas Azier – Rukeli's Last Dance on MUZU.TV.

Und Thomas Azier ist nicht der einzige Künstler, der solche Geschichten über das persönliche Verhältnis zu Berlin erzählt. Junge Musiker kommen nach Berlin und sind auf der Suche; wollen irgendetwas finden. Und gehen oftmals einfach nur verloren.

Ich war zwar lange Zeit unzufrieden und irgendwie verzweifelt, aber ich hatte einen zu großen Ehrgeiz, um richtig verloren zu gehen.
Wie ging diese Abwärstspirale zu Ende? Ich habe irgendwann die Balance zwischen der sehr hoffnungsvollen Schiene und meiner Dunkelheit gefunden. Ich habe einfach angefangen mir den Arsch abzuarbeiten, um nicht vollends unterzugehen. Dass Berlin damals so günstig war, hat mir die Zeit geschenkt, herumzuexperimentieren und meinen richtigen Sound zu finden. Mit 19 hatte ich nichts zu sagen! Und zu der Zeit befanden wir uns in einer Phase, in der jeder released hat. Eine Veröffentlichung jagte die nächste. Wir sind beinahe in einem Meer der Durchschnittlichkeit ertrunken. Man wusste nicht mehr, was gute und was schlechte Musik ist. Also habe ich mich dazu entschlossen, dass ich Zeit brauche, um etwas zu produzieren, auf das ich stolz sein kann. 

Berlin’s Attitüde und das Gusto der Musikbranche waren also nicht die Welt von Thomas Azier. Zwar lernte er immer mehr Menschen kennen, und auch immer mehr Menschen kannten Thomas Azier, aber er und die Branche funktionierten trotzdem nicht. Weil er Popmusik gemacht hat. Und Popmusik war Schmutz. In einer Szene, in der selbst Technomusik mit Vocals nicht mehr cool ist, kam er einfach nicht an. Jetzt, gute fünf Jahre später, bringt er sein Debutalbum raus und „alle“ lieben es. Weil damals keiner seine Musik wollte, hat Thomas Azier kurzerhand sein eigenes Label gegründet und viel für andere Künstler geschrieben und produziert (u.a. für  Casper).  Nach den ersten Fremdproduktion wurden die Stimmen schon freundlicher und Thomas Azier war auf einmal „pretty OK“. Einen Deal mit Caroline Music später ist Thomas Azier heute einer der heißesten Newcomer und nicht mehr „zu Pop“. Zeiten ändern sich, Zyklen überleben sich. Thomas Azier musste stur auf eine Zeit warten, in der Pop nicht mehr peinlich ist und er erfolgreich und ohne Scham sein musikalisches Ich voll zeigen kann. Und diese Zeit ist jetzt.

(Julia Ramonat)

 

 

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