Abseits von Weichspül-Pop und religiöser Folklore entwickelt sich in Ägypten eine kleine Metal-Szene. Bereits zum zweiten Mal.

Der Fahrer des 7,5-Tonners, der uns die Vorfahrt geklaut und beinahe zermalmt hat, interessiert sich nicht weiter für uns. Mein Fahrer, dessen Deicide-T-Shirt kräftig über dem voluminösen Bauch spannt, haut nur einmal auf die Hupe und kümmert sich ebenfalls nicht weiter darum. “That’s Obituary. You know?”, fragt mich Azzam, so heißt der propere 24-Jährige hinter dem Steuer, stattdessen und nickt in Richtung Boxen. Statt eine Antwort zu geben, kralle ich mich am Türgriff fest. Ein Hand am Lenkrad und ein Auge auf der Straße, hantiert Azzam an der Bedienung seines Autoradios, dem er deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem Chaos, das die mehr als 14,5 Mio. Kairoer Autos täglich produzieren. “Unfälle hatten wir schon einige, passiert ist aber noch nie was Schlimmes”, versucht mich derweil Saad zu beruhigen. Von ähnlich kompakter Bauweise hat er auf der Rückbank Platz genommen und haut mir auf die Schulter.

“…bis der Lärm aus den Kellern auf die Straße drang und eine besorgte Öffentlichkeit Satanismus und Verfall der Sitten witterte.”

Dass der Versuch, etwas über die ägyptische Metal-Szene zu erfahren, gleich lebensgefährlich wird, konnte ich nicht ahnen. Doch wer, wenn nicht Saad und Azzam, die Initiatoren des Internetforums egyptmetal.net und zwei der wenigen Konzertveranstalter, die sich zwischen Alexandria und Abu Simbel um abseitige Musik kümmern, sollte es sonst tun?!
Dass wir uns überhaupt ungestört treffen können, ist schon ein kleines Wunder. Bereits Mitte der Neunziger formierte sich in Ägypten einmal ein kleine Metal-Szene. Tapes kursierten und lokale Bands intonierten schon damals gut zehn Jahre alte Songs amerikanischer Kapellen. Aber immerhin. Für ein Land, in dem das Durchschnittseinkommen rund 1.400 US-Dollar beträgt, die Anschaffung eines Marshall-Amps folglich in den wenigsten Familien Priorität genießen dürfte und Presse- wie Meinungszensur Alltag sind, erstaunlich. Ein Weile ging das auch gut, bis der Lärm aus den Kellern auf die Straße drang und eine besorgte Öffentlichkeit Satanismus und Verfall der Sitten witterte. Die Mullahs, deren Einfluss trotz Verwestlichung aller Orten immer noch enorm ist, liefen Sturm, und irgendwann sah sich der allem, was den Status Quo verändern möchte, ohnehin nicht besonders wohlgesinnte Staat gezwungen, etwas zu unternehmen. So drangen am 22. Januar 1997 Polizisten in Privatwohnungen ein, beschlagnahmten Kassetten und verhafteten mehr als 90 Personen, die Mehrzahl Teenager, von denen einige bis zu 45 Wochen im Gefängnis verbrachten. Die Szene war damit über Nacht faktisch tot, und nur zögerlich finden sich Leute, die einen neuen Start versuchen wollen.

“Wir können keine Werbung machen, weil sonst die Polizei die Konzerte auflöst. Wir können keine T-Shirts oder CDs bestellen, weil die der Zoll beschlagnahmt….”


“Angst, im Knast zu landen, haben wir eigentlich nicht”
, erzählt Azzam, als wir später in einem ziemlich schicken Mix aus Teehaus und Pizzeria gelandet sind. Doch dass auch der neugestartete Versuch, ägyptischen Bands abseits des allgegenwärtigen Weichspül-Muzak ein Forum zu bieten, schwierig ist, zeigt, dass jeder zweite Satz aus seinem Mund mit den Worten “Also, das größte Problem, dass wir hier haben ist…”, anfängt. “Wir können keine Werbung machen, weil sonst die Polizei die Konzerte auflöst. Wir können keine T-Shirts oder CDs bestellen, weil die der Zoll beschlagnahmt. Wir können keine Säle buchen, weil jeder gleich abwinkt, sobald das Wort Metal nur erwähnt wird”, berichtet Saad. Zustände, die die Probleme von Punks aus Oberbayern reichlich harmlos aussehen lässt. So sind die zwei auch recht nüchtern geblieben, was ihre Hoffnungen angeht. “Dass wir damit einmal Geld machen können, daran glauben wir gar nicht mal mehr”, gibt Azzam trocken zu. Doch sie treibt der Idealismus an, und so führen beide ein Doppelleben. Tagsüber gehen sie geregelten Jobs nach, Azzam als Grafikdesigner, Saad als Wachmann. Freizeit und Schlaf aber opfern sie dem Ziel, Metal made in Egypt zu promoten und bekannter zu machen. “Momentan arbeiten wir an einem Sampler, der kostenlos verteilt werden soll, und kontakten fleißig in der Welt rum”, berichtet Saad. Er findet dann doch noch ein paar optimistische Worte, während er, den lokalen Geflogenheiten folgend, nochmal dick Ketchup auf seine Pizza streicht. “Inzwischen haben auch ein paar Bands angefangen, eigene Songs zu schreiben und dank des Internets müssen wir auch nicht mehr uralte Tapes überspielen.”

So kommt auch das Song-Roulette, das Azzam abspielt als wir später wieder im Auto sitzen, vom MP3-Player. “Das hier sind Six Feet Under, kennst du die”, fragt er durch das Gebolze aus den Boxen, während er im Minutentakt die Stücke weiterskippt. Als ich in Downtown-Kairo aus dem Auto aussteige, dröhnt mir der Kopf. Doch ich bin voll des Respekts für zwei Leute, die sich trotz fiesester Widerstände für etwas einsetzen, was ihnen am Herzen liegt. “Was sollen wir auch sonst machen”, fragt Saad zum Abschied, “Wir lieben Metal.”

Text: Moritz Honert