Rechtsanwälte drohen Firmen wie meiner mit teuren Abmahnungen, so sie ihre Netzwerke nicht schließen. Ministergattinnen drohen Familien mit der Gefahr durch Internetperverse, wenn sie ihre Kids in Social Communities lassen. Innensenatoren drohen Bundesbürgern mit dem schnellen Tod am Glühweinstand, wenn sie nicht anzeigen, was ihnen fremd oder merkwürdig vorkommt. Wer hat Interesse an so viel Angst und wieso halten die Medien gemeinhin nicht dagegen?
Tausende von Euro soll Motor zahlen, wenn sich die Tat wiederholt. 650.- Euro sind sofort fällig, damit zumindest erstmal der gegnerische Anwalt befriedigt wird. Das Delikt: Via eines Torrent Clients soll ein Porno namens „Asian Booty“ hochgeladen worden sein. Die IP Adresse von meiner Firma Motor Entertainment wurde dabei angeblich registriert.
Der einzige, der das Administrationsrecht für unser Netzwerk hat und somit Filme und Software installieren kann, ist schwul. Er ist nach eigenem Bekunden nicht wirklich an der Verbreitung von Filmen über asiatische Frauenhintern interessiert. Ein Torrent Client lässt sich zudem auf unseren Servern nirgends finden.
Bleiben Gäste von Motor Entertainment oder Motor FM als potentielle Täter. Einer von ihnen könnte das Werk theoretisch über WLAN hochgeladen haben. Zu verhindern wäre dergleichen Zukunft lediglich dadurch, dass wir jeden notieren, dem wir Zugang gewähren und danach sein Surfverhalten dokumentieren.
Die Nachfrage ob das wirklich die einzige Möglichkeit sei, wie wir der Forderung der Pornoproduzenten auf zukünftige Unterlassung gerecht werden könnten, wurde bejaht. Datenspeicherung oder Geldstrafe!
Seit September hat die Ministergattin Freifrau zu Guttenberg zur besten Sendezeit eine eigene Show namens „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“. Sie führt zusammen mit dem früheren Hamburger Innensenator Udo Nagel Perverse vor, die in Foren Minderjährige ansprechen und zu treffen versuchen. Die Sendung kennt jeder, denn sowohl BILD als auch Stern feierten Stephanie zu Guttenberg auf Titelseiten dafür.
Kein Medium fragte sich, ob Kindesmissbrauch maßgeblich durch das Netz befördert würde. Ein Blick in die vom Familienministerium publizierten Untersuchungen hätte offenbart, dass in fast allen Fällen von Kindesmissbrauch die Täter aus dem direkten Umfeld des Opfers, schlimmerweise sogar meist aus der eigenen Familie kommen. Wer dem ernsthaft beikommen will, muss hier ansetzen.
Kein Medium fragte sich, mit wem die Ministergattin als Chefankläger gemeinsame Sache macht: Medienberichten zufolge hat die Prevent AG, deren Vorstand Udo Nagel noch bis Mitte dieses Jahres war, einen New Yorker Mitarbeiter der HSH Nordbank, durch gefälschte Beweise mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht und damit seine Entlassung erreicht.
Kein Medium wunderte sich über den Sender, den zu Guttenberg und Co für die Missbrauchs-Reality-Show gewählt hatten. RTL II ist bislang eher als das unverbesserliche Schmuddelkind der RTL Gruppe bekannt. Der Branchendienst Meedia beschrieb das Programm noch im August 2010:
Udo Nagel und Stephanie zu Guttenberg führen durch die Sendung “Tatort Internet”.
Die USA haben immer wieder von unmittelbar bevorstehenden Terroranschlägen in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Im September gaben sie eine erste Reisewarnung für ihre Bürger aus. Deutschland, insbesondere große Menschenansammlungen in Berlin und anderen großen Städten, sollten von Amerikanern gemieden werden. Innenminister Thomas de Maizière blieb gelassen. Wahrscheinlich wusste er, wie die amerikanischen Verhöre abgelaufen waren, in denen gefangenen, mutmaßlichen Terroristen Hinweise auf Anschläge abgepresst worden sind. Erst als ein angeblicher Al Quaida Aussteiger freiwillig von Plänen für Ende November 2010 erzählte, ließ er sicherheitshalber aller Orts schwer bewaffnete Bundespolizei auflaufen. Die besonnene Haltung des Bundesministers traf auf alarmistische Medien und panische Kollegen aus den Bundesländern. Am 18. November machten zum Beispiel fast alle Tageszeitungen trotz dünner Faktenlage mit reißerischen Überschriften auf, als namibische Sicherheitsbeamte scheinbar eine Bombe im Gepäck einer Air Berlin Maschine gefunden hatte. Die Süddeutsche Zeitung titelte „Schrecken ohne Grenzen“. Das es sich in Wirklichkeit um eine von einem Geheimdienst platzierte Attrappe handelte, wurde zwei Tage später verhalten und meist deutlich kleiner gemeldet.
In diese Stimmung passt auch der Auftritt des Hamburger Innensenators Heino Vahlendieck im ARD Morgenmagazin. Dort forderte der Christdemokrat seine Mitbürger auf, der Polizei jeden Gegenstand und jede Person zu melden, die ungewöhnlich sei. „Lieber einmal zuviel als einmal zu wenig die Polizei anrufen“ fachte der Politiker wörtlich das Spitzelfieber an. In großer Koalition mit seinem Kollegen Körting aus Berlin war dann auch wieder die Vorratsdatenspeicherung im Gespräch. Die Vorratsdatenspeicherung war schon einmal Gesetz. Das Verfassungsgericht verbat aber die pauschale Dokumentation von Telefon- und Internetdaten aller Bürger. Nun soll es scheinbar einen neuen Anlauf geben. Datenspeicherung oder Lebensgefahr!
Datenspeicherung wünschen sich all jene, die darauf bauen, dass ihre alten Geschäftsmodelle im Internet fortgesetzt werden können. Nur wenn man denjenigen dingfest machen kann, der illegal downloaded oder verbreitet, kann das funktionieren. Egal ob Presse, Fernsehen, Games, Film oder Pornoindustrie, in dem Punkt ist man sich einig. Angst die man durch Strafzahlungen, Bedrohung unschuldiger Kinder oder gar Terror verbreiten kann, hilft eine digitale Gesellschaft durchzusetzen, in der jeder unter Generalverdacht steht. Die Sympathie mit der Idee, den Internetnutzer an die Leine zu legen, ist erklärt das wundersame Verhalten der meisten Medien.
Das war nicht immer so, wenn Angst verbreitet wurde.
„He Deutscher, sicher wäre die Welt als Scheibe. Auf der Kugel steht immer einer hinter Dir.“ Mastino sangen das 1993. Ihr Titel „Angst erigiert“ thematisierte die nach der Wiedervereinigung auftretende Xenophobie. „Wenn die Deutschen aus dem Westen und die Deutschen aus dem Osten keine Sündenböcke hätten, würde das die Einheit kosten.“ Die spitze These von Mastino war, dass die Fremdenfeindlichkeit von der Politik teilweise billigend in Kauf genommen würde, damit Deutschland zusammenwachsen könne. Damals wären die Medien von BILD bis Tageszeitung als vierte Macht verlässlich davor gewesen, dass mit Angst Politik gemacht wird. Damals waren sie aber auch nicht direkt betroffen, hatten nicht selber Angst um ihre Zukunft in einer digitalen Welt.
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