Das Prinzip Pop ist das Prinzip Überraschung. Wo die Volksmusik eine Heimat geben will, indem sie das Bekannte in Form von Stilelementen und tradiertem Repertoire penetriert, geht Pop in die Gegenrichtung. Entweder Schrill, überdreht oder innovativ versucht Pop seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Egal ob gestern die Beatles mit „Strawberryfields“ abheben, oder Hurts heute mit „Wonderfull Live“ unerwartet sicher im New Wave landen, gefallen tut meist das, was der Erwartungshaltung nicht entspricht oder sie übertrifft.
Wie enttäuschend aber, wenn ausgerechnet die Pop Branche sich nicht traut dem Prinzipien der eigenen Kultur zu entsprechen und stattdessen sich und den Pop auf ihren beiden, deutschen Schlüsselveranstaltungen als langweiliges weil berechenbares, Phänomen präsentiert. Auf der Popkomm kam Pop Form von großen Messeständen der führenden Firmen der Branche daher. Auf der Echo prämierte die Popindustrie in der o2 World die Interpreten, die am längsten und häufigsten in den Musikmarkt-Charts vertreten waren. Wieso stellt man auf Messen wohl bekannte Strukturen dar, wieso feiert man das was eh erfolgreich und durch Jahrescharts längst nachgewiesen und hervorgehoben ist? Wir haben die erfolgreichsten Songs des letzten Jahres längst gehört, manchmal mehr als uns lieb ist. Die Messen sind gelesen, sollen wir uns jetzt an Umsatzzahlen berauschen?
Weder Popkomm noch Echo ziehen noch. Die Messe fiel 2009 mangels Nachfrage aus und ihre Wiederauferstehung in diesem Jahr im Rahmen einer Berlin Music Week wird gerade heftig diskutiert. Die Echo musste für ihre diesjährige Veranstaltung ins Westend in eine alte Messehalle zurück ziehen, da man sich die schicke Arena in Friedrichshain nicht mehr leisten konnte. Mittlerweile verzichten auch internationale Stars wie Depeche Mode, U2 und Kate Perry auf den Besuch. Als Highlights verkündete man in einer Pressekonferenz die aus der Versenkung wieder auftauchende Soulsängerin Sade und den Hamburger Jan Delay.
Eine Musikmesse als Plattform der Labels oder ein Musikpreis als Belohnung für Chartperformance wären in England, dem von den Deutschen gern bewunderten Mutterland des Pop undenkbar. Mit “In the City” gibt es dort eine jährliche Veranstaltung deren Kern die vielen Konzerte neuer und kleiner Bands in der Stadt Manchester sind. Die Branche zieht zusammen mit einem neugierigen Publikum aus Musikinteressierten von Club zu Club, um sich Newcomer anzuhören. Der Künstler steht da wo er hingehört: im Mittelpunkt. Ähnlich bei den Brit Awards und dem Mercury Prize. Eine Jury (bei den Brit Awards sind es über 1000 Musiker, Produzenten und Journalisten) stimmt darüber ab, wer die herausragenden Musiker und was die wichtigsten Platten des Jahres waren. Das passiert völlig subjektiv und unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg. Die Preisverleihung ist deshalb relevant und hoch spannend.
In Deutschland ringt man in der Musikwirtschaft nicht um Positionen sondern sucht nach Strukturen und Zahlen. Es sind Strukturen mit denen sich das Geschäft der Labels auf den Messen darstellen lässt, Zahlen, die belegen weshalb der eine nun einen Preis bekommt und der andere nicht. Sich seinen Gefühlen, einer Meinung, einer Haltung hinzugeben, dadurch auch mal parteiisch und ungerecht zu sein, davor hat man wohl Angst. Die Entschuldigung liegt auf der Hand: Man hat schlechte Erfahrungen, wenn es um Subjektivität und Begeisterung geht. In Deutschen Ohren hallt das Hurrah nach, mit dem man in die Weltkriege zog. Uns steckt auch noch der Elan in den Knochen mit dem manche ideologisierte Deutsche half, einen Arbeiter und Bauern Staat aufzubauen, der in Wirklichkeit ein Überwachungsstaat war und mit der jenseits der Mauer RAF und Co Terror verbreiteten.
Das ist aber Blödsinn. Andere Bereiche der Kreativwirtschaft haben das längst erkannt und definieren sich nicht über die Ängste der Vergangenheit. Der Frankfurter Friedenspreis würde niemals an den Bestseller des Jahres vergeben werden, der Egon Erwin Kisch Preis geht nicht an die Journalisten der Ausgabe mit der höchsten Verkaufsauflage und auch der Deutsche Filmpreis wird nicht von den Kinokassen sondern einer Akademie bestimmt. Zahlen machen nämlich dann Sinn, wenn man es nicht mit Emotionen zu tun hat. Liebe kann man nicht messen, Hass genauso wenig. Musik ist aber nichts anderes als klingende Emotion. Der Versuch Kunst und Pop-Kultur ausschließlich anhand kaufmännischer Kriterien zu bewerten und die Verwertung rein nach diesen auszurichten, muss schief gehen. Wer einen sinnvollen und spannenden Musikpreis möchte, wer eine funktionierende Messe erleben will, der muss aber den Mut aufbringen, eine Position zu haben, auch wenn’s unbequem ist. Echo und die Popkomm in ihrem bisherigen Konzept zeigen, wie weit sich die Musikwirtschaft von ihrem eigentlichen Geschäftszweck entfernt hat: spannende Künstler und Musik.
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