Deutschland, langsam Vaterland. Während in Schweden der Musikmarkt wächst und im ersten Halbjahr 2011 voraussichtlich die Hälfte der Umsätze mit Hilfe des Streamingservice Spotify gemacht werden, die Briten beginnen Streams in den Charts zu berücksichtigen, gibt es bei uns noch immer keine Einigung zwischen Youtube, Spotify und GEMA. Wieso macht sich Deutschland freiwillig zum Schlusslicht?

Dieser mehr als deutliche Hinweis verärgerte zuletzt unzählige Youtube-User in Deutschland.

Kaum zu glauben, MP3 wurde in Deutschland erfunden, ebenfalls hierzulande gab es ab Frühjahr 1998 das erste legale Download-Portal (noch bevor Shawn Fanning mit Napster die Tauschbörsen popularisierte) und selbst was Download/Downburn anbetraf, waren wir Herrn Jobs und iTunes mit Popfile/Phonoline um mehr als ein Jahr voraus. Die Frage “Wer hat’s erfunden?” taugt aber nichts, wenn man die Ideen nicht zum Laufen bekommt und schließlich der Drops längst von anderen gelutscht wurde.

Deutschland hat ein hohes Innovationspotential, aber wir scheitern immer wieder an den eigenen Strukturen. Die Forscher aus Ilmenau hatten keinen Druck, ihre Erfindung MP3 zu monetarisieren, da sie aus der soliden, staatlich finanzierten Struktur des Fraunhofer Instituts heraus arbeiteten. Die Musikmanager trafen beim Roll Out von Music On Demand auf eine Deutsche Telekom, die ein so solides Geschäftsmodell hatte, dass sie noch weit entfernt von Internet Flatrates war und der Download deshalb unerschwinglich wurde. Popfile/Phonoline scheiterten an den Juristen und New Media-Managern der Konzerne, die bei ihrem aufrechten Bestreben, unter das Angebot eine tragfähige, solide Struktur zu zimmern, schlichtweg von den bereits geschlossenen Vereinbarungen ihrer Headquarters überrollt wurden.

Fazit: Da man in Deutschland nach soliden Strukturen selbst bei Innovationen strebt, oder sich Innovationen an existenten, unerschütterlichen Strukturen abarbeiten müssen, fängt der frühe Vogel hier nicht den Wurm. Im Gegenteil – wer zu früh kommt, den bestraft in unserem Land das Leben.

Eine solche solide Struktur ist auch die GEMA. Seit 1903, ihrer Gründung durch den Berliner Richard Strauss (nicht mit dem österreichischen Walzerkönig und seinen Söhnen zu verwechseln), vertritt sie die Interessen der Textdichter und Komponisten. Die Strukturen haben sich seither nicht wesentlich gewandelt. Anders als in den meisten Ländern ist die GEMA ein Verein und beruht deshalb auf dem deutschen Vereinsrecht. Ihre Entscheidung muss sie über drei Kurien (Textdichter, Komponisten und Verlage) treffen, die nicht unbedingt gleichgeschaltete Interessen haben. Auf Mitgliederversammlungen haben nur Vollmitglieder Stimmrecht. Vollmitglied wird man aber erst ab 30.000 Euro Umsatz per anno. Wer Vollmitglied ist, bleibt es auch. Vertreten lassen kann man sich auf Mitgliederversammlungen genauso wenig, wie das Stimmrecht übertragen.

Der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), Harald Heker. Foto: Soester Anzeiger, Mai 2010.

Die Vereinsmeierei mit Erwerb von GEMA-Rentenansprüchen, Kurienabstimmung von Verteilungsschlüsseln etc pp. tut sich nur an, wer entweder viel Zeit (also potentiell Künstler am Ende ihrer Karriere) oder eine hohe Affinität zur Verwaltung hat (also kaum ein Kreativer). Selbst ein mutiger Schritt wie die Benennung des branchenfremden, in vielen Punkten modern denkenden Harald Heker als GEMA-Geschäftsführer im Jahr 2006 kann der GEMA nicht die Zeitenwende bringen. Unter vier Augen sagte mir deshalb einmal ein Vorstandsmitglied, dass die GEMA ohne Hilfe von außen im Kern nicht erneuerbar sei. Die Strukturen sind so manifest, dass sie wie ein Bunker im Stadtbild steht. Vorschlaghammer und Abrissbirne helfen den Erneuerern nicht weiter, so sehr sie auch geschwungen werden. Man muss da schon mit Sprengstoff agieren, um etwas Neues und Passendes draus entstehen zu lassen.

Der Einzige, der diesen Sprengstoff liefern könnte, ist der Staat. Sein Patent-Amt überwacht die GEMA. Nur wenn die Vorgaben hier maßgeblich verändert werden, hat die GEMA eine Chance. Schließlich muss sie sich auch auf kurz oder lang der direkten Konkurrenz anderer, europäischer Urheberrechtsgesellschaften stellen. Ohne veränderte Rahmenbedingungen erfüllt sie Vorgaben, mit denen auf Dauer der Bestand geschützt aber die Zukunft verbaut wird.

Das Problem mit Spotify und Youtube ist dafür ein gutes Beispiel. Die GEMA stellt sich hier, getrieben von ihren Vorständen, auf die Position, ein vom Nutzer frei abrufbarer Stream eines Songs würde einen Kauf substituieren. Ziel der GEMA ist dabei, die zweiteilige Verwertung (Mechanische Vergütung und Aufführung) zu schützen. Deshalb will sie eine Mindestvergütung pro ausgelieferten Stream in ähnlicher Höhe wie beim Download durchsetzen.

Das deutsche Musikportal Simfy wurde 2009 gegründet und bietet derzeit über 8 Millionen Musiktitel an. Im Vergleich: Spotify verfügt über mehr als 13 Millionen Tracks.

Das ist verständlich, aber wirtschaftlich nicht kalkulierbar. Lässt man sich darauf ein (wie das deutsche Simfy), stolpert man von Finanzierungsrunde zu Finanzierungsrunde und ist nicht mehr in der Lage, den Plattenfirmen hinterherzulaufen um das eigene Angebot topaktuell und attraktiv zu halten, so wie Spotify es tut. Denn wer Flatrates anbietet, kann nicht steuern, wie viel der Kunde streamen lässt und wird auch nicht pro ausgeliefertem Stream bezahlt. Die Situation des Anbieters ist vergleichbar mit dem Rundfunk. Ein Sender weiß auch nicht vorher, wie viel Hörer man haben wird. Er muss deshalb die GEMA nicht pro Hörer vergüten. Stattdessen zahlt man einen Anteil am Umsatz. Dies ist auch die Logik, auf welche man sich in Schweden, Holland, Frankreich und Spanien mit den Urheberrechtsgesellschaften geeinigt hat. Die mechanische Vergütung wurde zu Gunsten der Aufführung gekippt.

Wer in erster Linie die alten Werke schützen will, kann kein Interesse daran haben, bezüglich neuer Technologien irgendwelche Experimente einzugehen. Stattdessen muss man dafür sorgen, dass alte Vergütungsformen möglichst lange erhalten bleiben. Wer sein Werk aber erstmal etablieren muss, ist darauf angewiesen, sowohl kommuniziert, als auch vergütet zu werden. Bedauerlicherweise hat der Newcomer innerhalb der GEMA aber keine Stimme. Um den Verein mit lenken zu können, muss man Umsätze haben, die einen zum Vollmitglied machen. Dazu sind aber Einigungen und Vergütungen durch Spotify und Co unumgänglich. Das Problem liegt in der Grundkonstruktion, die auf Erhalt aber nicht Erneuerung hin optimiert ist. Nicht die GEMA als solche ist schlecht, sondern die Strukturen zu verfestigt, als dass sie ohne Außenwirkung an die realen Herausforderungen anpassbar wären.