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Hannovernication

War Lena das trojanische Pferd Hannovers? Vor zwei Wochen haben wir sie noch bejubelt. Die Unbekümmertheit, die Natürlichkeit, die erfrischende Naivität, mit der sie uns und Europa überraschte, wurde in Blogs und Artikeln gefeiert. Auch von mir. Spätestens als sie bei Ankunft in Hannover in den Armen von Cristian Wulff lag, sich ins goldene Buch der Stadt eintrug und Universal Music Manager unter Einfluss von Restalkohol in Hannovers Fußgängerzone auf der Pro 7 Bühne “So ein Tag, so wunderschön wie heute“ grölten, hätten wir gewarnt sein müssen: Nach der Feier kommt der Kater und es droht die Hannoveranisierung der Republik. Nicht mehr lang und “Wind Of Change” könnte unsere zweite Nationalhymne werden.

Vor der Wiedervereinigung wurde Deutschland von München als Metropole bestimmt. Auch ohne bayrischen Kanzler war die Republik krachledernd, manchmal polternd, aber immer am Ergebnis und Effizienz orientiert. Deutschland war als Land wie Bayern München als Fußballverein: Meist erfolgreich aber dabei immer wenig sympathisch. Eine Vision hatte dieses Deutschland bestenfalls wenn es darum ging, etwas Gutes noch besser zu machen. Alle anderen Visionen kurierte man, wie ein Altkanzler empfahl, beim Arzt.

Nach der Wiedervereinigung versuchte die alte Republik zu überleben, indem sie die Veränderung des Status Quo ignorierte. Das ging nur so lange gut, wie man die neuen Bundesländer mit dem Märchen von den “blühenden Landschaften” betäuben konnte. Als denen auffiel, dass sie verarscht wurden, änderte sich das Role Model. Berlin wurde nicht nur Hauptstadt sondern auch Vorbild. Die Republik wollte nicht mehr perfekt sein, sondern frei, schmutzig und neugierig. Die Musik dazu kam erstaunlich frech und lässig von Peter Fox, Wir sind Helden, Mia, Whitest Boy Alive, Polarkreis, Bonaparte und all den anderen aus Berlin oder dem Rest des Ostens. Dass Hertha in einer Saison fast Meister wird und direkt danach absteigt, war typisch aber erstmal auch egal.

Nun also Hannover. Das Schlimme an Hannover ist, dass Hannover nicht einmal schlimm ist. Hannover ist spektakulär langweilig, denn in Hannover regiert Pragmatismus. Egal ob gesichtsloser Städtebau, vor sich hin dümpelnder Fußballclub, ein Komiker wie Pocher, der lacht bevor die Pointe kommt, Hardrocker wie Scorpions, die damit erfolgreich werden, dass sie als Aerosmith-Imitatoren vor Volkshochschullehrern auftreten: aufregen mag man sich darüber nicht, hingucken aber auch nicht. Logischer Reflex ist, die Stadt und ihren Output einfach zu ignorieren.

Wahrscheinlich kommt Hannover dabei raus, wenn man Hamburg und Rostock miteinander kreuzt. Wenn das stimmt, werden wir bereits seit 2005 von Hannover in fleischgewordener Form regiert. Angela Merkel biografisch geprägt von beiden Städten, gibt sich mit puren Machterhalt zufrieden sowie Hannover mit der Karmarschstrasse (eine Fußgängerzone) als Boulevard. Daraus erwuchs auch die unverhoffte Chance für den nächsten Hannoveraner: Bislang war ein Bundespräsident ein Elder Statesman, der ob Alter und Würde über den Parteien steht (von Weizsäcker, Rau…), oder eine Persönlichkeit, die zumindest nicht direkt aus dem Partei-Apparat stammte (Herzog und Köhler). Jetzt ist es jemand, den Merkel entsorgen muss, der Hannoveraner Wulff.

Der weiche Ministerpräsident mit dem Dauerlächeln und gern gesehene Gast auf Hamburger Yuppie Parties ist der letzte Mann in den Reihen der CDU, der Merkel noch gefährlich werden könnte. Kein großer Opponent, aber nach Rüttgers und Müllers Niederlage, Öttingers Wegbeförderung, Kochs Abdankung, Merz Aufgabe, Althaus Skiunfall und Schäubles krankheitsbedingter Schwächung schlichtweg der letzte Mohikaner als potentieller Kanzler-Nachfolger. Mit der Wahl zum Bundespräsidenten hat sich auch dieses Thema für immer erledigt. Danach darf er nicht einmal mehr nach Amtsende in die Wirtschaft gehen, von der Politik mal ganz zu schweigen…

Was wird ein Bundespräsident Wulff aus Hannover verändern? Nichts, das ist das Problem und das Prinzip. Wenn die Weltwirtschaft kollabiert, das Klima zur Bedrohung wird, im Digitalen neue Realitäten entstehen und sich in Parlamenten keine klaren Mehrheiten mehr bilden lassen, ist nichts bei weitem nicht genug. Entweder an der Spitze des Staates steht eine Person, die eine breite Akzeptanz besitzt und in der Lage ist, ihre Autorität stützend oder lenkend einzusetzen, oder es braucht den Job Bundespräsident schlichtweg nicht. Ihn im Sinne von Partei- und Machtpolitik besetzen zu wollen, ist die größte Missachtung der Würde des Amtes seit Gründung der Bundesrepublik.

Wenn die Scorpions vom Gorky Park singen, hat das nichts mit den Gefühlen der Menschen beim Überwinden der Unfreiheit zu tun, kapitalisiert diese aber im Nachhinein als “Wind Of Change”. Das ist Pose. Damit Geld zu verdienen, ist langweilig aber nicht illegitim. Politik darf jedoch nicht zur Pose verkommen. Der Letzte, der das begriffen hat, hat sich ausgerechnet nach Hannover ins Reihenhaus zurückgezogen. Dort sitzt der Altkanzler aus Ostwestfalen, der ob seines Muts zur Veränderung abgewählt wurde, gießt Begonien, wirbt für Pipelines, steht für Politik aber nicht mehr zur Verfügung.
Hannovernication!

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