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Participation Punk

Mancher Bildungsbürger versteht die Welt nicht mehr: Makler legen sich auf die Schienen um den Castortransport zu stoppen, Polizeikommissare regen sich in Internet Foren über die Abmahnpraxis einiger Urheberrechts-Anwälte auf. Hintergrund ist, dass ganz normale Bürger ihr Bedürfnis nach Transparenz und Teilhabe entdecken und es auf die unterschiedlichste Art und Weise ausleben. Oder anders: Die Mitte der Gesellschaft hat mit über dreißig Jähriger Verspätung den Punk entdeckt!

Für uns war es selbstverständlich, dass wir mitmachen wollten. Wir wollten keine von der Industrie gebauten Stars und Sternchen, sondern die Jungs und Mädchen aus den Proberäumen nebenan und feierten deren Veröffentlichungen bei einem Independent Label. Musik sollte nah und lokal sein. Dadurch, dass man im Zweifel die Interpreten sogar persönlich kannte, in meiner alten Heimat im Subitto oder Luxor abends mit ihnen trank, wurden die Prozesse transparent. Das war das Geheimnis der Neuen Deutschen Welle.

Pop war nicht etwas, das andere für uns definierten. Pop war immer auch Partizipation. Wenn wir nicht selbst ein Instrument spielten ohne es zu beherrschen, so wie es dank Punk möglich war, gestalteten wir die existente Musik mit. Wir stellten Mixtapes für Freundinnen zusammen, montierten unsere eigenen Zeitungen, die Fanzines. Gesellschaft und Popkultur war etwas, das wir modulieren wollten. Manche gingen in der Aufgabe auf, manche nahmen sich ihrer nur ab und zu an. „Part time Punks“ sangen die TV Personalities. Es gab das Gefühl von Freiheit in der Kunst und im eigenen Umfeld. Das war das Geheimnis des Punks.

Die TV Personalities – “Part Time Punks” erschien 1979

Wenn jetzt die Hausfrauen und Schulkinder vor den Wasserwerfern der Polizei in Stuttgart stehen und Familienvätern mit ehrbaren Berufen sich die Nächte in Foren um die Ohren schlagen, dann ist das Geheimnis dahinter ein ganz ähnliches.

Die einen gehen auf die Barrikaden, weil ihnen Transparenz fehlt. Selbst wenn die Entscheidung für Stuttgart 21 richtig gewesen sein sollte, bleibt für den normalen Bürger unklar, im Rahmen welcher Prozesse sie zu Stande gekommen ist. Das schafft Misstrauen. Die klügste Entscheidung des Stuttgarter Schlichters Heiner Geißler war es, die Vermittlungsgespräche vom TV übertragen zu lassen. Befürworter und Gegner sind plötzlich genauso durchschaubar wie die Band aus dem benachbarten Proberaum. Wer will, bekommt alles mit, Politik wird transparent.
Proteste in Stuttgart

Die anderen mischen sich per Internet ein, weil sie sich selbst darstellen und einbringen wollen. Gesellschaft und Kultur soll für sie wieder etwas sein, das sie mitgestalten können. Sie versuchen sich als Amateur-Journalisten, Hobby- Politiker und Pseudo-Wisschenschaftler, genauso wie wir uns mit unseren Musikmixes, eigenen Magazinen und in unseren Bands anmaßten etwas zu sein, was es da draußen in der wirklichen Welt auch in professioneller Form gab. Dennoch waren unsere Beiträge wichtig. Einerseits für uns selbst, andererseits als unbekümmerter (weil unprofessioneller) Kommentar. Mit den Blogger-, Uploader- und Social- Community-Stars verhält es sich ähnlich. Das Internet ist eine Teilhabe-Maschine, so wie Punk eine Teilhabe-Kultur war. Die Politik muss davon lernen.

Pop funktioniert im Netz dort am besten, wo die Moral des Punk gelebt wird. Plattformen wie Soundcloud aus Berlin-Mitte sind attraktiv und erfolgreich, weil sie Musik transparent machen und den Nutzer ermöglichen sie (sogar im Song selbst) zu kommentieren. Native Instruments aus Berlin-Kreuzberg wurde Weltmarktführer, indem man Software und Hardware entwickelte, die es ermöglicht auf Basis existenter Songs neue Zusammenhänge zu schaffen (zum Beispiel mit „Traktor“ für DJs). Arcade Fire werden von der Presse dafür gefeiert, dass sie es auf ihrer Website dem Fan ermöglichen, mit Hilfe von Google Street View das Video zu personalisieren. Bands wie Depeche Mode haben das zuvor in Form von Remix-Wettbewerben mit ihrer Musik gemacht.

Arcade Fire – “We Used To Wait”
(HTML 5)

Momentan dominieren die Grünen als Partei alle Umfragen. Partizipation ist Teil ihres Programms und wurde früher in Form manchmal quälender Basisdemokratie ausgelebt. Als jüngste der etablierten Parteien (vorausgesetzt, man sieht die Linke als demokratische Fortsetzung der SED) wirkt sie noch halbwegs transparent. Dass ausgerechnet sie als parteipolitische Instanz der damals angefeindeten Spät-Hippies und Fortschrittsskeptikern von dem Erfolg des späten Sieges der Punk Kulturrevolution und dem Internet profitieren, ist irgendwie absurd.

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