Über den Wortwitz „mit dem Zweiten sieht man besser“ bleckt so mancher seine dritten Zähne. Die Zuschauer des ZDF sind im Schnitt nämlich 60 Jahre alt – Tendenz steigend. Nun soll deren Kulturbegriff modernisiert werden: Diesen Sonntag startet mit zdf.kultur ein Digitalsender, der Bonaparte, K.I.Z. und Atari Teenage Riot neben Hochkultur stellt und sich dabei von Motor helfen lässt. Noch bevor er überhaupt zu senden angefangen hat, verlangen die ersten Medienpolitiker bereits ihn einzustellen.
Werbeplakat ZDF mit Boxer Klitschko – mit 35 noch deutlich unter dem Durchschnitt seines Auftraggebers (Quelle: ZDF)
Der Grund dafür, dass ARD und ZDF stolze 7,6 Milliarden jährlich von allen Haushalten einsammeln dürfen (zum Vergleich: der Umsatz der gesamten Musikindustrie beträgt laut deren Verband jährlich 1,669 Milliarden) liegt in der Verfassung. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert „Jeder hat das Recht (…), sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Um die Wahrnehmung dieses Rechts zu gewährleisten, muss deshalb eine Grundversorgung über die öffentlich-rechtlichen Anstalten sichergestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Grundversorgungs- auftrag so verstanden, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur die Lücken zu füllen haben, die private Anbieter offen lassen, sondern auch das ganze Spektrum an Fernseh- und Hörfunksendungen anbieten müssen. Solange diese Auslegung gilt, ist es müßig darüber zu streiten, ob ARD und ZDF teure Mainstream Veranstaltungen wie „Wetten, Dass?!“ oder den „Eurovision Songcontest“ nicht gleich ganz an RTL, Pro 7 und Co abtreten könnten und bei Sportrechten nicht besser darauf verzichten sollten, gegen die Privaten zu bieten. So richtig und nachvollziehbar diese Forderungen auch sein mögen, so wenig haben sie eine verfassungsrechtliche Grundlage.
Recht hat hingegen, wer darauf pocht, die öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten laut Aussage des obersten Gerichtshofs auch die Lücken zu füllen. Dies ist in vielen Kulturbereichen über lange Jahre schlichtweg nicht geschehen. Musik hat es dabei besonders hart getroffen: Popkultur fand jenseits von gut abgehangenem Mainstream und Schlager nicht mehr statt, aber auch Klassik und Jazz rutschten in extreme Zeiten am Tagesrand. Messlatte ist der Vergleich mit der privaten Konkurrenz, nicht die Erfüllung des hoch dotierten Grundversorgungsauftrages, der eben auch das Füllen der Lücken beinhaltet. Die Politik hat sich daran erstaunlicherweise nie wirklich gestört.
ZDF-Programm zur besten Sendezeit am Samstagabend – Willkommen bei Carmen Nebel (Quelle: YouTube)
Das Argument, man habe dafür keinen Platz, ist mit den Digitalkanälen verschwunden. Die ARD nutzte sie schnell, um mit Eins Plus einen weiteren Service- und mit Eins Festival noch einen Unterhaltungskanal anbieten zu können. Neues sieht man dort selten, eher ein neu zusammengestelltes, altes Programm. Das ZDF zog mit zdf neo nach. Neu sind dort aber fast auch nur die in den USA eingekauften Serien (zum Beispiel „Mad Men“), die für eine spätere Aufführung im Hauptprogramm warm gespielt werden. Lücken im Sinne des Auftrags füllt man dadurch nur bedingt.
Um dem Auftrag nachkommen zu können, braucht man eben nicht nur Flächen, sondern auch Etat. zdf.kultur stehen für das erste Jahr 12,7 Millionen zur Verfügung. Das ist nicht ganz ein Drittel dessen, was ARD und ZDF bereit sind, für den DFB Pokal zu zahlen, oder ungefähr identisch mit dem Betrag, den die ARD dieses Jahr in das Finale des Eurovision Songcontest investiert. zdf neo produziert dafür tägliche Sendungen („Marker“), Musiksendungen wie “On Tape” (zusammen mit tape tv), zdf@bauhaus (Bands unplugged in Dessau), die Kultsendung TV Noir (live aus dem Heimathafen Neukölln mit Gästen wie Klee und Selig), die Welt von Vice (mit dem deutschen Vice Magazin), Berlin Live (drei Bands spielen live auf drei Bühnen zusammen- in Kooperation mit Motor und moderiert von Silke Super) und vieles mehr. Mühsam wird dabei jeder Cent in der Produktion umgedreht. Bands, egal welcher Größenordnung bekommen dabei kein Honorar und auch die meisten Partner und Produzenten arbeiten bestenfalls auf Selbstkosten. Anders wäre es nicht möglich, ein wirklich neues Programm entstehen zu lassen. Statt von der auftragsgerechten Verwendung von Gebührengeldern, lebt zdf.kultur von der Selbstausbeutung der Zuträger und des unbedingten Muts zur Veränderung der Macher aus Mainz. Fußen tut zdf.kultur auf der These, dass man den Begriff Kultur neu definieren müsse. In einem Land, in dem fast jeder unter Fünfzigjährige sich mit Punk und allem, was er ausgelöst hat, sozialisiert habe, könne Kultur nicht mehr allein durch Oper, Theater und Tanz vermittelt werden.
Berlin Live mit vielen Größen aus der Indie-Szene – die erste Ausstrahlung findet am 7. Mai statt.
Eigentlich sollte man erwarten, dass sich die Medienpolitik Beifall klatscht, denn schließlich werden dadurch klaffende Lücken im öffentlich-rechtlichen Angebot geschlossen. Pustekuchen statt Lob bekommt man noch vor dem Start Vorschläge für eine Fusion und Einsparungen. Martin Stadelmeier, Chef der Staatskanzlei Rheinlad-Pfalz meldet sich mit der Erkenntnis zu Wort, Eins Festival und zdf.kultur böten im Grunde eine ähnliche Produktnische als Spartenkanäle. Deshalb könne man dort sparen. Ein Jugendprogramm reicht aus dem Verständnis von Stadelmeier völlig aus. Aus seiner Sicht müsse stattdessen ZDF neo weiter ausgebaut werden: “Dem kann in Zeiten knapper Kassen auch ein Verzicht auf den neuen ZDF-Kulturkanal dienen.”
Die Verwechslung von Popkultur und Jugendprogramm zeigt bereits auf, dass der Medienpolitiker nicht weiß, wovon er redet. Hier spricht aber kein Provinzpolitiker, sondern die graue Eminenz der öffentlich-rechtlichen Programme. Die Medienhoheit für alle Länder im Bundesrat hat Rheinland-Pfalz inne und nicht umsonst ist das ZDF in Mainz beheimatet. Martin Stadelmeier ist also zuständig. Zuständige können sich irren, aber keiner widerspricht ihm. „Politiker sind diejenigen, die wir als Teenager nicht zu unseren Parties eingeladen haben“, erklärte man mir einmal das Phänomen. „Sie wissen in der Regel nicht, worüber sie reden, wenn es um Popkultur geht.“
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