Entwicklung braucht Sicherheit. Wer bewusst einen Schwebezustand herstellt, muss sich deshalb vorwerfen lassen, Entwicklung zu behindern. Es kann nur ein tiefes Misstrauen gegen den digitalen Fortschritt sein, der dazu führte, dass die GEMA neun Jahre brauchte um Planungssicherheit für legale Downloads zu schaffen. Es ist dasselbe Unbehagen welches aktuell dazu führt, dass für Streaming wieder keine belastbare Einigung zu stande kommt.
In der Geschichte der deutschen Musikwirtschaft brach der Markt noch nie so scharf wie im Jahre 2002 ein. Der Absatz von CDs (vorallen Singles und Compilations) sank um mehr als ein Viertel. Eine Substitution durch Downloads war aber nicht möglich, denn legal gab es lokal gar kein echtes Angebot. Wer den damals schon in die Jahre gekommen Träger CD nicht mehr mochte oder einfach nur seinen Mp3-Player befüllen wollte, dem blieb gar nichts anderes übrig, als sich illegaler Quellen zu bedienen.
Die Lösungen der Konzernzentralen ließen auf sich warten. In unserer Not legten wir bei Universal Deutschland deshalb ohne deren Segen los. Popfile hieß das weltweit erste, legale Portal welches zuließ, dass jeder Song downgeloaded und gebrannt werden konnte. Es hielt für deutsche Nutzer ab September 2002 alles aktuelle Repertoire vor, allerdings vorerst nur das der Universal. Ziel war es Popfile möglichst schnell der gemeinsamen Branchenplattform Phononet zu übergeben und somit für die nötige Angebotsbreite zu sorgen.
Der erste legale Online-Streaming-Versuch: popfile.de.
Das alles ist Geschichte. In der Logik des Internetzeitalters – wo ein Jahr siebenmal zählt – sogar 63 Jahre her. Aus dieser Zeit stammt auch noch die Anfrage bei der GEMA, wie der legale Download denn zu vergüten sei. Die Antwort waren unrabattierte 12,3%. Das ist der Normsatz auf den Grosshandelspreis (published price to dealer, kurz ppd). Für Mitglieder der großen Branchenverbände wird dieser auf etwas über 9% reduziert. Die GEMA wollte ihn aber auf den Endverbraucher Preis erheben und von Rabatt nichts wissen. Sie interessierte nicht, dass Produzent und Händler hier ein und derselbe waren. Aus ihren Kurien war zudem zu hören, dass es scharfen Widerstand dagegen gebe, pro online verkauften Album weniger als für eine hochpreisige CD für den Autoren zu erhalten.
Somit stand ab 2002 die Foderung von 12 Cents pro Track im Raum. Für Popfile, welches 2003 zu dem Gemeinschaftsangebot Phonoline gewandelt wurde, bedeutete das hohe Preise. Denn auch wenn man als Produzent nicht die Forderung der GEMA anerkennen musste, so war man doch verpflichtet, Rückstellungen dafür zu bilden, dass die GEMA sie doch durchsetzen würde. Sprich: Sie musste mit eingepreist werden. Die Chance aus Deutschland heraus ein Angebot zu starten, welches Apples Download Shop vorweg genommen hätte, wurde verpasst. iTunes hätte Deutscher sein können…
Den Wettbewerbern, die mit Musicload und iTunes später auf den Markt kamen, erging es aber nicht anders. Obwohl die Deutsche Telekom und Apple nicht zugleich Produzenten der Musik waren, blieb die GEMA bei ihrer Forderung. Nur Apple konnte da den bereits weltweit durchgesetzten Preis von 99.- Cent per Track halten. Bei durchschnittlich 68.- Cents für die Labels, weitere 12.- Cent für die GEMA, zzgl. Mehrwertsteuer, Betriebs- und Transaktionskosten legte der US Konzern bei jedem verkauften Song was drauf. Das machte Apple nicht, schließlich ging es Steve Jobs nicht darum Songs, sondern iPods zu verkaufen. Musicload musste die Preise auf 12.90 für Alben setzen, um wenigstens nicht drauf zu zahlen, Phonoline gab auf.
Die Einigung welche man letzte Woche mit der Bitkom erreicht hat, entspricht einem Angebot welches man schon 2002 hatte. Wir wollten damals mit üblichem Rabatt auf einen damals noch fiktiven ppd zahlen. Das entspricht den 6 bis 9 Cent die jetzt nach neun Jahren Verhandlungen dabei heraus gekommen sind. Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn die GEMA versucht, zugunsten ihrer Mitglieder Technologiewandel zu nutzen, um Maximalkonditionen durchzusetzen. Sie muss nur die Konsequenzen ihres Tuns bedenken: Während der neun Jahre konnten Texter und Autoren nicht vergütet werden und schlimmer noch, der Wettbewerb und somit die Entwicklung eines neuen Marktes der hilft die Verluste der CD aufzufangen, wurde behindert. Deutschland hat einen der schwächsten Digitalmärkte für Musik, Standortnachteil GEMA.
In der Rückbetrachtung war es ein Fehler, dass die Verwertungsorganisation stur bei ihrer Position geblieben ist. Fehler sind dann kein Problem, wenn man aus ihnen lernt. Im Bereich von Streamingangeboten (spotify, simfy, Juke und andere) schickt sich die GEMA an, dies zu tun. Sie rückte von ihrer Forderung ab, pro Stream vergütet zu werden. Diese Forderung hat bislang Streaming-Abos wirtschaftlich unberechenbar gemacht. Der Anbieter kann die Nutzungsintensität des einzelnen Abonennten nicht einschätzen und saß deshalb, mehr noch als die Downloadshops mit ihren Rückstellungen, auf einer Zeitbombe.
Den letzten Meter, der dazu beitragen würde, dass Deutschland endlich mit Ländern wie Frankreich und Schweden – die Dank Streaming wachsende Musikmärkte aufzeigen können – aufschließt, geht die GEMA aber dennoch nicht. Hierfür müsste man sich auf eine Vergütungsstruktur werbefinanzierter Streams einigen. Dabei geht es nicht nur um Youtube, was längst für Videoclips das Musikfernsehen ersetzt, sondern auch die Schnupperangebote der Streaminganbieter, welche den Nutzer überhaupt erst in die Musik-Abos locken sollen. Verhandelt man hier wieder neun Jahre wird der Schaden immens sein. Der junge Streamingmarkt braucht dringend Planungssicherheit im Sinne aller Marktteilnehmer, also auch der durch die GEMA vertretenen Autoren, Komponisten und Verlage.
Tim Renner
Weitere Informationen zum Thema gibts im motor.de-Dossier GEMA zu lesen, unter anderem ein ausführliches Interview mit einem Vertreter der Verwertungsgesellschaft.
Interview mit der GEMA: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3
Weitere Texte zum Thema:
» Basisinformation zu den Einnahmen der GEMA
No Comment