Wenn es um melodramatische Klangkunst geht, dann steht der Name Tori Amos bei vielen Musikliebhabern ganz oben auf der Liste. Die mittlerweile im englischen Cornwall beheimatete amerikanische Ausnahme-Pianistin mit dem Elfen-Organ verzaubert Freunde hypnotisierender Bedroom-Sounds nun schon seit über zwanzig Jahren mit ihrem markanten Schaffen. Mitte April weilte die Bardin fast eine komplette Woche in der Hauptstadt um ihr neues Album „Unrepentant Gerladines“ zu promoten – exklusives Showcase im intimen Rahmen inklusive. Das ließ ich mir natürlich nicht entgehen.
Der knapp 45-minütige Auftritt im Berliner Szene-Restaurant "The Grand" war schon etwas ganz Besonderes. Ich habe Tori Amos ja nun schon ein paar Mal live erleben dürfen, aber in punkto Intensität und Leidenschaft dürfte der Kurzauftritt vor knapp 150 geladenen Gästen in den nächsten Jahren wohl unangefochten ganz oben auf meinem persönlichen Tori-Amos-Live-Podest Wurzeln schlagen.
Kriegt Madame von der Stimmung unter den Lauschern vor ihrem Bösendorfer-Klavier überhaupt etwas mit? War die Show auch für sie etwas Besonderes? Zwei Tage später sitze ich in ihrem Hotelzimmer und frage nach: „Es war ein sehr schöner Abend“, sagt Tori Amos mit einem Lächeln im Gesicht.
Ein schöner Abend? Just another Show? Ich glaube ihr nicht so richtig und hake nach. Der eine oder andere unter den Anwesenden hatte schließlich Tränen in den Augen, als sich die Sängerin nach dem Song "Take To The Sky" ein letztes Mal verbeugte: „Bevor ich auf die Bühne kam, war ich sehr nervös, viel nervöser als sonst. Der Raum war klein, ich konnte jedem Anwesenden in die Augen gucken. So eine Situation habe ich nicht so oft. Außerdem bestand mehr als die Hälfte des Publikums aus Journalisten. Das hat mich schon ziemlich verunsichert. Dass diese Leute dann aber nach dem ersten Song am lautesten klatschen hätte ich nie gedacht. Das war der Moment, in dem ich mich fallen lassen konnte. Der Rest dann war dann ein Spaziergang – ein wunderschöner wohlgemerkt.“
Abermals huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Die Sängerin wirkt tiefenentspannt. Ihr Blick ist bestimmt. Sie scheint sich ihrer faszinierenden Wirkung auf andere Menschen durchaus bewusst zu sein. Die ganzen Tränen und Jubelgesänge um sie herum hätten allerdings weniger mit dem Menschen Tori Amos zu tun, so die Songwriterin: „Die Leute lächeln oder weinen wenn sie Songs wie "Winter" oder "Cloud On My Tongue" hören, aber nicht, wenn sie mir die Hand schütteln. Das finden sie zwar auch schön, aber es löst keine hochgradigen Emotionen in ihnen aus. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich meine, guck mich an. Ich bin nicht anders. Ich werde im August 51. Ich habe Falten und dünnes Haar. Das einzige, was mich von anderen Menschen in meinem Alter unterscheidet, ist, dass ich vielleicht ein bisschen besser Klavier spielen kann. That's all.“
Bescheidenheit ist Trumpf – auch im Leben von Tori Amos. Das war allerdings nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen die Sängerin die Nase etwas höher trug: "Ja, mag sein. Aber ich habe schnell gemerkt, um was es eigentlich geht. Die Gabe, Leute mit Musik zu berühren und zu erreichen, ist etwas Besonderes. Das sollte man nicht mit Eitelkeiten und arroganten Hirngespinsten aufs Spiel setzen. Was zählt ist die Musik. Ales andere ist unwichtig“, gibt sich Tori Amos geläutert.
Die junge Sängerinnen-Generation muss zu dieser Einsicht wohl erst noch gelangen. Wie denkt Tori Amos eigentlich über Rihanna, Miley und Co? „In erster Linie denke ich, dass jede Künstlerin, die oben steht, den Erfolg auch verdient hat. Dass dabei die Musik nicht immer im Vordergrund steht, ist zwar schade, aber noch lange kein Grund, die Mädels in der Luft zu zerreißen. Ich meine, die meisten von denen sind noch nicht einmal 20, wenn sie Teil des Business werden“, verteidigt Tori ihre Kolleginnen.
Demnach hat sie kein Problem damit wenn ihre 13-jährige Tochter Tash in ihrem Zimmer zu den Klängen besagter „Künstlerinnen“ das Tanzbein schwingt? Hört Tash überhaupt solchen Mumpitz? „Sie steht mehr auf Soul-Musik“, sagt Tori.
Mit stumpfen Beats und angeleckten Abrissbirnen hat der Amos-Nachwuchs also nichts am Hut hat. Das beruhigt. Sie sei generell sehr reif für ihr Alter und wisse genau was sie will, so die Mama. Bisweilen sorge Tash sogar im Hause Amos für einen Rollentausch: „In den letzten Jahren hatte ich mich künstlerisch ein wenig verloren. Ich hatte irgendwie keinen Mut mehr. Sie kam dann zu mir und stellte mir den Spiegel vor die Nase, in dem sie mir zu verstehen gab, dass nur ich allein für meine Entwicklung verantwortlich sei. Sie fragte mich, wie lange ich mich noch hinter meiner Vergangenheit verstecken wolle und ob es nicht endlich an der Zeit wäre, wieder nach vorne zu blicken und das zu Tage zu fördern, was lange verschollen war. Das hat mir die Augen geöffnet und Kraft für das neue Album gegeben.“ Well done, Tash.
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