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Das Konzept heißt: Inbrunst! Nach diversen Prog-Opern kehren Trail of Dead dieser Tage mit Punk im Geist und ihrem achten Studio-Album zurück. Auf “Lost Songs” geben sich die Texaner angepisst wie lange nicht mehr – Grund dazu gibt es genug, wie uns Jason Reece im Interview mit motor.de verriet.
(Foto: Patrick McHugh)
So ein Promotion-Tag ist lang und er wird noch länger, wenn der Spätsommer draußen ein letztes Mal alles gibt. Aber die Jungs von …And You Will Know Us By The Trail of Dead sind lang genug im Geschäft und texanisches Blut bringt das bisschen Stress und Hitze sowieso nicht so schnell zum Kochen. Nein, es gibt ganz andere Dinge, die am Furor der beiden Chef-Ideologen Conrad Keely und Jason Reece rütteln. Während sich ersterer um die Fertigstellung einiger seiner Kunstdrucke zu kümmern hat, nahm sich Drummer/Gitarrist/Sänger Reece die Zeit, um mit motor.de über Apathie im Indie-Rock, Pussy Riot und natürlich die “Lost Songs” ihres ebenso betitelten, achten Studioalbums zu sprechen. Dass er sich zum Zeitpunkt des Gesprächs schon etliche Stunden in dem gemütlichen, kleinen Weinlokal in Kreuzberg aufgehalten haben musste, ließ sich nicht leugnen. Ebenso wenig wie die Mengen an seiner Bestimmung zugeführtem Champagner. Dem Gehalt des Gesprächs tat die schwere Zunge aber keinerlei Abbruch.
motor.de: Mr. Reece, schön Sie wieder hier zu haben. Deutschland ist für Trail of Dead ja scheinbar ein gutes Pflaster, das neue Album “Lost Songs” habt ihr sogar in Hannover aufgenommen. Wie kam es dazu?
Jason Reece: Ich denke, wir wollten einfach mal aus unserer vertrauten Umgebung in Austin raus. Man kennt das, es sind dann ja doch immer dieselben Leute um einen herum. Deshalb dachten wir uns: “Mal sehen, was passiert, wenn wir ganz woanders aufnehmen”. Die Horus-Studios in Hannover haben uns dann ein gutes Angebot inklusive Appartement gemacht, also haben wir insgesamt einen Monat dort gelebt und das Album aufgenommen. Sind gute Leute dort – auch wenn es in Hannover echt keinen einzigen Amerikaner gibt! Man hielt uns wohl für ziemlich abgedreht. Die Bars haben sich aber gut um uns gekümmert.
motor.de: Das wollen wir ihnen auch geraten haben. Es ist ja fast auch ein bisschen so, als hättet ihr euch in der Mitte getroffen, oder? Du bist hauptsächlich in Texas, Conrad ist sehr viel in Kambodscha und Jamie lebt in L.A. – wie kriegt ihr das auf die Reihe, vor allem: wie schreibt ihr Songs?
Reece: Wir schreiben eigentlich immer in Austin und fliegen Conrad und Jamie dann ein. Paul Barker von Ministry ist ein Freund von uns und er hat sein eigenes Studio, in dem er uns oft arbeiten lässt – da verbringen wir dann ganze Tage und schreiben. Mit den Demos die dort entstehen, machen wir uns dann auf die Suche nach einem geeigneten Studio.
motor.de: Euer neues Album heißt “Lost Songs” – das erinnert ein wenig an typische Titel von Alben, die altes Material neu verpacken. Das ist sicher nicht der Fall?
Reece: (lacht) Du glaubst so etwas würden wir tun? Ich mag die Idee irgendwie. ‘Das sind die “Lost Songs” – Fuck You!’ Ja, ich weiß, was du meinst aber ich verspreche, das werden wir nie tun! Nein, die Songs sind alle komplett neu.
motor.de: Gut zu wissen. Ich durfte schon ein bisschen reinhören und muss sagen, dass das ganze Album selbst für eure Verhältnisse ziemlich unverhohlen und wütend wirkt. Trifft das den Punkt, ist “Lost Songs” vor allem ein wütendes Album?
Reece: Ich denke, es ist vor allem jugendlich, überschwänglich, euphorisch. Es handelt davon, sich gegenseitig anzubrüllen – so kommunizieren wir! Nein, Spaß beiseite. Den wütenden Eindruck vermittelt wohl vor allem die Art wie wir singen. Das können wir nun mal nicht anders. Also, ja, die Wut ist da, aber sie hat ihre Grundlage in der Realität, insofern passt inbrünstig vielleicht besser. Wut ist für uns kein Selbstzweck, das wäre ziemlich dumm.
Trail Of Dead – “Summer Of All Dead Souls”
motor.de: Ich frage auch deshalb, weil es einen ziemlichen Bruch im Vergleich zu eurem letzten Album “Tao Of The Dead” darstellt. Das war ja sehr strukturiert, durchdacht und melodiös…
Reece: Ja, das hier ist dann wohl eher Punk…
motor.de: …im besten und eigentlichen Sinne des Begriffs!
Reece: Freut mich, dass du das so siehst. Wir hatten wirklich von vornherein im Kopf, das Album möglichst vom Hi-Fi-Sound weg zu halten, auch im technischen Sinne. Es sollte minimalistisch werden, irgendwie klingt es aber immer noch verdammt fett. Keine Ahnung warum.
motor.de: Vielleicht seid ihr einfach zu gut geworden um noch richtig scheiße zu klingen…
Reece: Ja, vielleicht. (lacht) Ich klinge wie ein Arschloch, oder?
motor.de: Nein, du hast ja Recht. Zurück zum Punk: es gab zwar immer die politische Dimension in eurer Musik und vor allem Conrads Texten. Nun hat er den ersten hörbaren Song “Up To Infinity” Pussy Riot gewidmet. Dieser direkte, tagespolitische Bezug ist schon ein durchaus neuer Aspekt für euch, oder?
Reece: (Überlegt) Es passiert einfach ziemlich viel Mist. “Up To Infinity” behandelt ja eigentlich den Syrien-Konflikt, was natürlich ebenfalls sehr politisch ist. Andere Songs wie “Catatonic” oder “Lost Songs” drehen sich hingegen weniger um diese Themen, als vielmehr das Leben an sich – unser aller Leben und inwiefern das politisch sein kann. Politik verstehen wir dann nicht im Rage Against The Machine-Sinn. Es geht mehr darum, dass viele Menschen mittlerweile in ihrem Alltag einer lähmenden Apathie erliegen. Sie sind zu müde zum Denken, sie versuchen auch nichts, haben kein Interesse an Veränderung, sperren die Welt aus und ergeben sich. Das hängt eng mit dem ausgeprägten Konsumismus –vor allem in den USA – zusammen; der wuchert noch immer. In diesem Zusammenhang sind Pussy Riot einfach wahnsinnig inspirierend. Ich meine, diese Frauen riskieren wirklich etwas – wer tut das schon heute? Darum geht’s: Risiken einzugehen, Hingabe an eine Sache, auch auf die Gefahr hin, jemandem damit richtig auf die Füße zu treten. Das ist doch die eigentliche Idee von Punk gewesen: sich nicht einzurichten in seiner Behaglichkeit, sondern das Leben leidenschaftlich spürbar machen.
motor.de: Das klingt sehr danach, als ob euch die Message der Songs wichtiger denn je ist?
Reece: Lyrics waren immer wichtig. Wir sind schon stets darauf bedacht gewesen, unseren Standpunkt klarzumachen. Früher war das sicher hier und da etwas verschlüsselter. Wir wollten die Texte dieses Mal sehr direkt und kraftvoll halten. Ich mag Musik, die ihre Kraft auch aus dem Gesagten bezieht – denk nur an Bruce Springsteens “Nebraska” oder die Sachen von Jeff Buckley. Die treffen dich auf einer sehr direkten, emotionalen Ebene mitten ins Gesicht; oder Herz – wohin auch immer. Wir möchten einfach kein Teil dieser Bullshit-Romantik-Kultur sein. Ich hab zwar nichts gegen einen guten Love-Song aber zu dem Thema hat der Soul der 70er eigentlich schon alles gesagt. Musik heute ist dagegen so seltsam klein und trivial – Nicki Minaj? Einfach schlecht. David Guetta? Dieser Euro-House-Scheiß ist derzeit so ziemlich die populärste Musik in Amerika. Das ist traurig. Hast du die VMAs verfolgt? Der Wahnsinn – Frank Ocean war so ziemlich das einzig Gute daran.
motor.de: Darauf können wir uns einigen – tolles Album.
Reece: Ja, er sticht wirklich noch hervor aus dem ganzen Quatsch. (Überlegt) Aber letztlich bleibt Musik subjektiv. Ist ja also völlig egal, was ich davon halte. Ich kann mich glücklich schätzen nach Deutschland zu fliegen und hier Leute zu treffen, die Trail of Dead mögen.
Trail Of Dead – “Catatonic”
motor.de: Ihr seid immer herzlich willkommen. Vorsicht, blöder Übergang; aber, auch auf die Gefahr hin, etwas beleidigend zu werden…
Reece: Es stört mich nicht, beleidigt zu werden…
motor.de: Als ich euer Statement zum Syrien-Konflikt las, gebe ich zu, hätte ich es früher für eine weitere ironische Spielerei gehalten. Die Zeiten, in denen ToD mit solchen Aussagen ein Medienspiel betrieben, sind aber vorüber, richtig?
Reece: Ja, das meinten wir schon Ernst. Es verletzt uns wirklich, was dort passiert – da ist kein Platz für Ironie. Jedenfalls was diese Platte angeht, früher haben wir da gern unsere Spielchen betrieben, da hast du Recht.
motor.de: Wo wir gerade bei der Tagespolitik waren – wir haben hier in Deutschland kürzlich den Aufstieg einer Partei erlebt, die eng mit der Pirate Bay-Ideologie verbunden ist. Unabhängig von deren Erfolg, haben sie vor allem mit dazu beigetragen, dass das Urheberrecht verstärkt diskutiert wird. Welche Position bezieht ihr als Künstler da?
Reece: Ihr habt hier eine Pirate-Bay-Partei? (lacht) Weißt du, wie verrückt das für einen US-Amerikaner klingt? Schön, dass du fragst, ich find’ Pirate Bay ja super. Mir macht Musik-Piraterie wirklich nichts aus – es ist mir schlichtweg egal, wie Leute an meine Musik gelangen. Wenn Trail of Dead deshalb auch in Brasilien gehört werden, bin ich sogar froh, dass es Piraterie gibt. Schreib das auf: Pirate Bay ist super! Weißt du wofür ich bezahlt werden möchte? Dafür, auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Wenn dann noch jemand Shirts kauft, umso besser. MP3s? Ich bitte dich. CDs? Stiehl sie! Bedien dich! Ich hab’ damit kein Problem. (Überlegt, lacht) Das wird unser Label jetzt bestimmt nicht so gerne lesen aber was soll’s. Es geht ja hier um meine Meinung – ich möchte nur, dass unsere Musik gehört wird. Klar wär es gut, wenn ich davon leben könnte, aber ich will damit doch nicht reich werden. Dass ich so denke, hat einen einfachen Grund: mein erstes Album war “Combat Rock” von The Clash, das ich mir vom Bruder eines Freundes auf Kassette kopiert habe. Ohne dieses Album hätte ich wahrscheinlich nie begonnen, selbst Musik zu machen.
motor.de: Ist der cross-mediale Ansatz, den ihr ja wohl ein wenig verfolgt, wenn ich an Conrad’s Buch, die Kunstdrucken etc. denke, auch ein Versuch, sich von der Einnahmequelle “Plattenverkäufe” zu befreien?
Reece: Vielleicht, dazu kann ich weniger sagen. Das sind einfach Dinge, in denen Conrad seine Ideen auslebt, wofür in der Musik nicht immer der Platz ist.
Hier melden sich bei Jason Reece die Körperfunktionen, die sich leider immer irgendwann an vermehrte Flüssigkeitszufuhr anschließen und auch der nächste Interviewer scharrt schon mit den Füßen. Das Gespräch neigt sich dem Ende zu, der Durst des JR noch nicht – man ordert Bier für das letzte Videointerview des Tages. Im Rausgehen dann noch der breit grinsende Hinweis, dass “Lost Songs” das letzte Album von ToD gewesen sein könnte, so ganz scheint die Sache mit der Ironie wohl doch noch nicht ausgesessen.
Interview & Text: Henning Grabow
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