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Müde in Berlin: Weniger Geld für den Fortschritt

„…and you will know us by the Trail of Dead“ bringen am 20. Februar ihr neues Album „The Century Of Self“ in die Läden. Im motor.de-Interview lassen Jason und Conrad erschöpft ihrem Ärger über ihr altes Label freien Lauf und berichten über die neue Platte.

Wir treffen die beiden Trail of Dead-Masterminds in ihrem Hotelzimmer in Berlin. Sie schauen gerade eine Dokumentation über die polnische „Warsaw Village Band“ und schalten etwas unwillig ab…

Ihr habt Interscope verlassen und euer eigenes Label „Richter Skale Records“ gegründet. Wie kam es zu dem Bruch?

Conrad: Wir wollten das einfach in unsere eigenen Hände nehmen und verantwortlich dafür sein, wie das Geld ausgegeben wird. Bei den Major Labels wird nicht nur viel Geld verschwendet, sondern es geht einfach durch gravierende Misswirtschaft verloren. Beispielsweise durch diese Bürokratie, wo die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Und all diese Leute haben idiotischen Meinungen über deine Arbeit, von der sie einfach keine Ahnung haben. Sie haben einfach kein Recht ihre Meinung zu äußern! Frustrierend war außerdem die Position des „Produktmanagers“. Ich weiß gar nicht, was der eigentlich gemacht hat, aber aus irgend einem Grund dachte er sich, er hätte das Recht, mir vorzuschlagen, was ich in Interviews sagen sollte. Ich dachte mir nur: ‘da wolltest du niemals hin, dass dir jemand vorgibt, was du in Interviews sagst‘.

Bringt die größere Freiheit durch das eigene Label nicht auch mehr Arbeit mit sich?

Conrad: Nein, wir arbeiten ja mit zwei anderen Labels zusammen [Justice Records und Universal Music Group], die eine eigene Verwaltung haben, aber keine so massive Bürokratie. Sie sind sehr engagiert und unterstützen uns bei dem, was wir tun. Anfangs war es bei Interscope ähnlich, da waren wirklich tolle Leute. Aber seit dem hat sich die Musikindustrie sehr verschlechtert (…).

Ich habe im Vorfeld gelesen, dass ihr euren Aufnahmeprozess verändert habt. Anstatt wie beim letzten Album jedes Instrument einzeln einzuspielen, habt ihr dieses Mal die gesamte Band gleichzeitig aufgenommen. Wie kam es dazu und was hat sich dadurch verändert?

Conrad: Ein Grund war, dass ich nicht glücklich damit war, die Kontrolle im Einzelnen zu verlieren. Daher wollte ich zurück zu dem organischen Sound, den wir auf den Alben „Source Tags & Codes“ und “Madonna” hatten. Außerdem spielte die Technik eine Rolle. Wir wollten so viele Samples und deren Möglichkeiten nutzen. Das war nur mit Click möglich. Jetzt habe ich einen Weg gefunden die Samples um die Live-Aufnahmen zu bauen. Wir können es schneller und langsamer machen bis wir zufrieden sind. Und wir haben immer noch die Synthesizer dabei.

Da du von Elektronik sprichst: Viele europäische Rockbands wie Franz Ferdinand oder Mando Diao nutzen immer mehr elektronische Sounds und Beats. Was denkt ihr darüber als Rockband? Nutzt ihr elektronische Beats für euer kommendes Album?

Conrad: Nein, elektronische Beats haben wir nicht genutzt. Ich kann es aber nicht ausschließen, weil wir es auch in der Vergangenheit gemacht haben, denn wir wollen uns keine Limits setzen. „The Century Of Self“ war aber sehr auf das Akustik-Schlagzeug fokussiert, speziell die Idee von Doppel-Drum-Parts. „Halcyon Days“ hat sogar drei Drum-Parts . Jason, ich und Allen haben eingespielt.
Der Grund dafür, dass wir überhaupt Elektronik benutzten, ist das kleinere Budget, was wir durch den Labelwechsel nun hatten. Die Möglichkeiten mit Interscope waren bei „Source Tags & Codes“ noch luxuriös. Wir konnten viel mehr für die Streicher- und Bläserarrangements ausgeben. Diesmal nutzten wir einfach Samples. Wir hatten aber gute, keine billigen, sondern hochauflösende Samples von einem Orchester.

Eure kürzlich veröffentlichte „Festival Thyme EP“ klingt etwas härter als das eher poppige letzte Album „So Divided“. Ist euer neues Album als Weg zurück zu „Worlds Apart“ zu betrachten oder geht es in eine komplett neue Richtung?

Conrad: Es gibt eigentlich keine neue Richtung, sondern wir gehen einfach unseren Weg weiter. Wir mögen es mit verschiedenen Aufnahme- und Kompositionsmethoden zu experimentieren. Es gab eine Phase, als wir an den neuen Songs arbeiteten, da habe ich all unsere Alben chronologisch durchgehört. Einfach um ein Vorstellung davon zu bekommen, wie sie zusammenfließen. Ich wollte sicher gehen, das dieses Album in diese Folge passt und darin Sinn ergibt. Das Hören der vergangenen Aufnahmen ist aber auch eine Art Ausgangspunkt für die Ideen, die wir auf der neuen Platte umzusetzen versuchen.
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Gibt es ein Konzept hinter „The Century of Self“?

Jason: „Ich denke nicht, dass es eine Idee gab, die über allem stand. Wenn wir das täten, würden wir uns immer irgendwie eingeschränkt fühlen und das Potenzial der Songs einschränken. Wir haben aber insgesamt viel mehr nach vorn und nur wenig zurück geblickt. Es gab viele wirklich inspirierende Bands, denen wir uns zugewandt haben und die mich dazu brachten, nach vorne zu gehen. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum wir unter „Progressive“ gezählt werden (…)“

Gibt es eine größere Idee hinter den Texten auf „The Century Of Self“? Der Name lässt auf Selbstfindung und Selbstverwirklichung in der Umwelt schließen?

Conrad: Ich könnte dir vielleicht eine derartige Interpretation geben, aber ich hasse es, Leuten vorzuschreiben, wie sie etwas von uns interpretieren sollen. Ich weiß, was die Texte für uns bedeuten, aber es ist interessant, wie die Leute ihre eigenen Deutungen machen.
Der Name kommt von einer Adam Curtis Dokumentation über das 20. Jahrhundert. Mit „Self“ meinte er in Wirklichkeit die Gier und den Individualismus anstatt von Selbstfindung. Wir haben dadurch darüber nachgedacht, wie der zunehmende Massenkonsum im 20. Jahrhundert uns dahin gebracht haben, wo wir heute stehen. Das Ausbeuten der Ressourcen, das Ölfördermaximum und so weiter.

Ihr scheint einen besonderen Bezug zu osteuropäischer Musik zu haben. Besonders auf „Worlds Apart“ hörte man die Einflüsse. Hat sich das auf dem neuen Album fortgesetzt?

Conrad: Ja, wir haben auch gerade diese Dokumentation geguckt.

Jason:
Es ist einfach eine Sache, die uns anspricht und interessiert. Diese verschiedenen Formen der Musik, schleichen sich daher einfach unterbewusst in unsere Musik mit.

Conrad: „Russia My Homeland“ [von Worlds Apart] war beispielsweise eine Aufgabe auf meinem College. Meine Lehrerin war die Musikethnologin Sean Williams. Ich habe viel von ihr mitgenommen, z. B. die osteuropäischen Harmonien. Aber ich bin auch sehr interessiert an der Migration der Zigeuner über den europäischen und asiatischen Kontinent und die Art, wie sie die einzelnen Kulturen beeinflussten. Django Reinhardt ist eine weitere Person, die einen sehr großen Einfluss hat. Es ist einfach diese Art der Melancholie, die in der Musik ist, mit der ich mich sehr identifizieren kann. Dieses Gefühl passt einfach so gut zu unserer Musik und unseren Texten.

Das Interview führte Stephan Klingebiel

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