Vor kaum einem Jahr waren Trailer Trash Tracys noch Hobbymusiker, die nie erwartet hätten, dass irgendwann ein echtes Album von ihnen erscheint: Nun steht das Debüt “Ester” in den Startlöchern und gut gelaunt präsentiert sich das Quartett im motor.de-Interview wie eine Horde Teenager auf Klassenfahrt.
(Foto: Domino Records)
Das Berliner Wetter macht an diesem tristen Sonntag seinem schlechten Ruf alle Ehre: Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und Nieselregen allerorten sorgen für reichlich Katerstimmung – im Inneren des Postbahnhofs strahlt hingegen die Sonne: Trailer Trash Tracys sind soeben eingetroffen, begleiten aktuell die britischen Senkrechtstarter von The Vaccinces als Support und feixen im Backstage-Bereich wie die “besten Kumpel” herum. “Ein wenig nervös sind wir aber schon”, korrigiert Sängerin Suzanne Aztoria den ersten Eindruck und wird von ihrem Kollegen und Hauptsongschreiber Jimmy Lee schnell unterbrochen, “monatelang war die Veröffentlichung unserer ersten Platte weit entfernt – doch nun ist es so weit und da gehen wir manchmal am Stock.”
Ergänzt wird der zweiköpfige Kern der Band durch Bassist Adam Jaffrey und Drummer Dayo James – und natürlich haben alle Grund genug, aufgeregt zu sein: Nach der Gründung der Band vor knapp eineinhalb Jahren, waren Trailer Trash Tracys anfänglich nichts, was je als Vollzeitjob enden sollte, sondern allein zum Zeitvertreib angedacht. Sowohl Suzanne Aztoria als auch Jimmy Lee hatten zum Zeitpunkt ihres Kennlernens jeweils eigene Projekte am Start und doch kam es anders als geplant: Über den Weg liefen sich die beiden in der Londoner Metropole vor ein paar Jahren und erkannten nach und nach, dass der musikalische Background des jeweils anderen ein ähnlicher wie der eigene ist. Ihr Debüt “Ester” versucht dies zu kanalisieren, zurechtzustutzen und in ein musikalisch passendes Korsett zu zurren. Das Ergebnis ist ein luftig arrangiertes Werk; schwebend zwischen Slowpop-Ästhetik, Cocteau Twins und experimenteller Elektronik.
motor.de: Auf eurer Supporttour für The Vaccines macht ihr aktuell in Deutschland Halt. Wie läuft’s bislang? Musikalisch seid ihr ja schon von einem anderen Kaliber.
Suzanne Aztoria: (lacht) Das erkennt deren Publikum auch, wenn wir auf die Bühne kommen und keine Singalongs im Angebot haben – dann schaut man uns entsetzt an und manche verabschieden sich sofort an die Bar und trinken dort ihr Bierchen weiter.
Jimmy Lee: Aber deswegen sind wir ja hier!
motor.de: Für die Hintergrundbeschallung zum Warmtrinken?
Jimmy Lee: Nein, um Leute für uns zu gewinnen. Wir waren letztens mit The XX auf Tour und da war es natürlich einfacher, zur Crowd durchzudringen – andererseits können wir nicht aus Bequemlichkeit ablehnen, wenn das Label der Vaccines anfragt, nur weil die andere Musik machen.
motor.de: Dafür, dass ihr euch anfangs nicht allzu ernst genommen habt, steht ihr der Sache sehr seriös, fast geschäftlich gegenüber.
Suzanne Aztoria: Jimmy und ich hatten jeweils andere Bands, die wir irgendwann für Trailer Trash Tracys verlassen haben und wenn du dann Musik nur als Hobby betrachtest, solltest du dringend überlegen, wo das ganze Engagement enden soll.
Trailer Trash Tracys – “You Wish You Were Red”
motor.de: Ich kann mir vorstellen, dass eine junge Band wie ihr sich ab und an googled, um auf dem Laufenden zu bleiben – geht man bei euch auf die Bildersuche, tauchen Szenen aus “Twin Peaks” auf.
Jimmy Lee: (schaut erstaunt in die Runde) Wir haben uns doch nur ein vier Sekunden langes Sample von David Lynchs damaligen Soundtrack geliehen, verdammt!
Adam Jaffrey: Meine Idee war das nicht, möchte ich betonen.
Suzanne Aztoria: Morgen ruft Lynch an und will seinen Song zurück (alle lachen).
motor.de: Entschuldigung, aber darum ging es jetzt gar nicht.
Jimmy Lee: Nein, nein, lass uns darüber sprechen. Es handelt sich ja um die Soundästhetik, die wir mit “Ester” nach außen suggerieren, sonst würden solche Querverweise gar nicht auftauchen. Mir waren Film-Soundtracks schon immer lieber als so genannte (imitiert Anführungsstriche) Meilensteine moderner Musikgesichte. The Beatles sind großartig, aber wenn ich stattdessen Lynchs Kompositionen für “Twin Peaks” hören kann, entscheide ich im Zweifelsfall dafür.
motor.de: Wobei “Ester” trotz anspruchsvollem Backgrounds keineswegs unhörbar ist und manchmal den Trip-Hop von Portishead zitiert.
Jimmy Lee: Für den Großteil der Tracks war ich verantwortlich – also, was die Grundstrukturen anging und ich mag es einfach, Pop mit Anspruch zu kombinieren. So entstehen am Ende Songs, die sowohl herausfordern als auch von Britney Spears coverbar sind.
motor.de: Was ich mich frage: Bei so vielen Skizzen, die die Platte durchziehen, wann wisst ihr eigentlich, dass ein Lied final ausformuliert ist?
Suzanne Aztoria: Das Gefühl haben wir nie – wenn zum Beispiel Support-Gigs wie diese hier anstehen und wir wissen, dass der Main-Act sehr Gitarren-orientiert aufspielt, dann arrangiert Jimmy die Sachen ein wenig um und gemeinsam schauen wir dann, was aus unseren Songs entsteht, wenn diese ein konventionelleres Gewand verabreicht bekommen. Im Studio musst du aber loslassen können, sonst erreicht man den Punkt, in dem die ganze Geschichte in die falsche Richtung gleitet.
motor.de: Jimmy, passend zur Musik ist auch euer Artwork vielschichtig. Bist du als Grafik-Designer allein dafür zuständig?
Jimmy Lee: (während der Rest der Band lacht) Meine Güte, woher wisst ihr Journalisten immer solch private Informationen, die stehen nicht mal auf der Website.
Adam Jaffrey: Er hat damit nichts zu tun, sondern Kurt Ralske lieferte das Cover und die gesamten Grafiken für unser Debüt. In den Achtzigern war Ralske selbst Musiker und sorgte mit einer seiner vielen Bands, namens Vatican Commandos, für den ersten Auftritt von Moby – der 1982 zu den Gründungsmitgliedern gehörte.
Jimmy Lee: Er arbeitet gern mit der Stop-Motion-Technik und die passt ganz hervorragend zu unserer Musik.
motor.de: Ihr wirkt ausgelassen und wahrscheinlich feiern Trailer Trash Tracys aktuell jeden Gig wie einen Pokalsieg – muss für eine Frau, umgeben von drei Typen, eine Herausforderung sein?
Suzanne Aztoria: Ich habe das Gefühl, hier sehr gut hineinzupassen.
Jimmy Lee: (unterbricht sie) Um das klarzustellen, wir sind anständige Jungs – es wäre fatal, wenn es nach jeder gelungenen Show zu einem Saufgelage käme. Passiert es aber doch, ist Suzanne immer mit von der Partie – selbst wenn sich der Rest wie pubertierende Teenager aufführt.
motor.de: Bevor ich euch zum Soundcheck entlasse: Habt ihr eigentlich bestimmte Erwartungen an “Ester” – vielleicht das nächste große Ding zu werden?
Adam Jaffery: (fragt in die Runde) Haben wir welche?
Suzanne Aztoria: Keine Ahnung, irgendwie schon.
Jimmy Lee: Also mir wäre es am liebsten, wenn irgendwann in der Presse steht: “Einer der aufregendsten Newcomer in diesem Jahr sind Trailer Trash Tracys, auch wenn der Name keinen Sinn ergibt.” Ein Traum, verkündet von Britney Spears. (alle lachen)
Marcus Willfroth
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