(Fotos:  Red Telephone Box / Kobalt Label Service)

Nach fünf Jahren abseits des Medienrummels und dem Rückzug aus dem Musikbusiness können manche Bands von Glück sagen, wenn sie überhaupt noch wahrgenommen werden. Und dennoch scheint die Anteilnahme und Vorfreude auf das neue Travis Album "Where You Stand" so ungebrochen als wäre das schottische Quartett niemals wirklich von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht liegt es auch an den vielen einprägsamen Songs der Band, die auch weit nach ihrer Veröffentlichung noch ungetrübt im Gehörgang surren und sich partout nicht vom Staub längst vergessener Zeiten einhüllen lassen. Wir trafen Sänger Fran Healy und Gitarrist Andy Dunlop zum Gespräch über ihre musikalische Auszeit, bekamen einen Einblick in die goldenen Regeln für die Arbeit an den neuen Songs und erfuhren, warum Glück manchmal doch den entscheidenen Unterschied ausmacht.

 

 

Mit wahlweise Hut auf dem Kopf und Sonnenbrille auf der Nase sitzt uns die Hälfte der Band gut gelaunt gegenüber und versucht die draussen sengende Hitze mit reichlich Kaltgetränken auszublenden, die sogar bis in die Räumlichkeiten des Berliner Hotels vordringt, in dem wir uns befinden. Nach der langen Ruhephase der Band wirkt es so, als hätten deren Mitglieder alle Reserven aufgetankt und wären bereit zum siebten Mal in ihrer Karriere das Spiel der Albumveröffentlichung mit links anzugehen. Die im Raum schwebende Gelassenheit führt Sänger Fran Healy auf den folgenden Zustand zurück: "Es hat uns gut getan ein paar Jahre lang einen anderen Fokus in unserem Leben zu haben als die Band. Jeder Einzelne von uns hatte Zeit genug, um wieder zu sich selbst zu finden. Wir haben uns nicht nur eine musikalische Auszeit, sondern auch eine Auszeit untereinander genommen." 

 

In dieser Zeit wurden aus den Bandmitgliedern Vollzeit-Daddys, die das Familienglück in den Vordergrund stellten anstatt den festgefahrenen Mechanismen der Musikindustrie zu folgen, in denen eine Veröffentlichung die nächste jagt und der Tourbus zum Dauerbegleiter wird. Wer hinter der Auszeit von Travis nun eine Entfremdung der vier Freunde untereinander oder gar einer musikalischen Krise vermutet, wird von Healy eines Besseren belehrt: "Wir brauchten diese Auszeit einfach, um uns wieder darauf zu besinnen, was es heisst, in einem Raum zusammenzukommen und Musik zu machen. Als wir uns dann alle zusammenfanden, war es schön zu sehen, dass sich jeder seine eigene Identität bewahrt hatte. Ich glaube unser Familienleben und die damit verbundene persönliche Entwicklung hat ganz sicher dazu beigetragen, dass wir nach all den Jahren noch unseren eigenen Kopf haben, was die Band angeht." Dennoch gesteht Gitarrist Andy Dunlop, dass all die Jahre in der Band nicht nur ein reines Vergnügen waren: "Mit Travis haben wir gute, aber auch schlechte Zeiten erlebt. Am Ende war uns nur wichtig, dass wir alles gemeinsam durchgestanden haben." 

Und so fanden sich die vier Bandmitglieder auch nach einer längeren Auszeit wie von selbst zusammen, um an neuem Songmaterial zu arbeiten und legen uns nun mit ihrem siebten Album "Where You Stand" das Ergebnis ihrer Aufnahmen vor, die sie über Monate hinweg an die verschiedendsten Orte geführt haben. Neben New York und Norwegen verschlug es die Band auch nach Berlin, der Wahlheimat von Fran Healy, der mittlerweile seit ein paar Jahren in der Hauptstadt sein Zelt aufgeschlagen hat. Trotz des letzten halben Jahrzehnts, in dem die Band geographisch und musikalisch Abstand voneinander nahm, ist der Zusammenhalt der Band ungebrochen und der Titeltrack "Where You Stand" offenbart  laut Andy Dunlop den musikalischen, aber auch persönlichen Werdegang der vier Schotten: "Where You Stand" sagt eigentlich alles über unseren Zusammenhalt in der Band aus und ist daher für mich persönlich auch einer der wichtigsten Songs auf dem Album. Man kann ihn sozusagen als Metapher für all das nehmen, was wir als Band, ähnlich wie in einer Familie, zusammen erlebt haben. Wir haben es immer geschafft alle Hürden zu nehmen, die sich uns in den Weg gestellt haben. Darauf kommt es schließlich an."

 

Um eventuell drohende Hürden schon im Vorfeld der Albumaufnahmen zu umgehen, stellte die Band dieses Mal pflichtbewusst eine Reihe von goldenen Regeln auf, die sie davor bewahren sollten, die neu gefundene Gelassenheit ins Wanken zu bringen, wie uns Fran Healy versichert: "Gerade, weil wir eine Auszeit von allem hatten, wollten wir unter keinen Umständen erneut in dieses Muster zurückfallen. Also stellten wir während der Arbeit an "Where You Stand" unsere ganz eigenen Regeln in Sachen bandinterner Kommunikation auf, um uns nicht verrückt zu machen". Am Ende waren es ganz besonders vier Regeln, die die Band über Monate hinweg befolgte und die uns der Kopf von Travis nach erfolgreichem Ausgang der Aufnahmen mit Nachdruck in der Stimme aufzählt: "1. Lasst uns nicht von einem "Album" reden! Wir sind nicht zusammengekommen, um ein "Album" aufzunehmen, sondern lediglich, um an einem "Song" zu arbeiten."Regel Nummer zwei bezieht sich im Gegensatz dazu nicht auf die Musik selbst, sondern auf die anstehenden Live-Termine, ohne die eine Band nur halb so erfolgreich wäre. Fran Healy treibt dieser Gedanke allerdings Sorgenfalten auf die Stirn: "Das anschließende Touren an die Albumaufnahmen war absolut kein Thema. Über Konzerte im Rahmen des Albums zu sprechen, war für uns tabu, denn das bedeutete sich darüber Gedanken zu machen wie lange man von Zuhause und seiner Familie fort sein würde." 

 

Die dritte aufgestellte Regel verfolgte den Ansatz des Team Spirits, ohne den bekanntlich wenig geht, wenn man den Rest der Band nicht verprellen und sein eigenes Ego künstlich aufblasen möchte. Für Travis lautete daher die Devise: "Wir packen alle zusammen als Band an! In der Vergangenheit war es meistens so, dass ich mit meinen Ideen zum Rest der Band kam und ein wenig den heimlichen Anführer gemimt habe. Wir wollten dieses Mal den Rhythmus der Abläufe rund um das Album ändern", erklärt uns Healy und spielt damit auch auf die vierte und letzte Regel im insgeheimen Handbuch für "Where You Stand" an, bei der sich alle Bandmitglieder darauf einigten sich ausnahmsweise einmal nicht für Wochen am Stück hinter den Studiotüren zu verschanzen: "Wir haben uns vorgenommen ganz entspannt an die Arbeit zu gehen. Das hieß für uns konkret, dass wir nur einmal alle paar Monate für eine Woche ins Studio gehen und an neuen Songs arbeiten würden." 

 

Gesagt, getan. Und so fand sich die Band ganze fünf Mal auf diese Art und Weise über zehn Monate verteilt zusammen, hielt sich die aufgestellten Regeln vor Augen und ließ in den folgenden Sessions neue Songs entstehen, die allerdings noch ganz ohne den Druck eines fertigen Albums als loses Produkt vor ihnen lagen. Ein ungewöhnlicher Schritt für die vier gestandenen Musiker, die jahrelang Teil des Musikbusiness waren und sich mehr oder weniger freiwillig den gängigen Abläufen beugen mussten: "Wir standen im Prinzip mit dem Rücken zum ganzen Business, das normalerweise bei Prozessen dieser Art seine Finger mit im Spiel hat. Wir haben uns komplett davon zurückgezogen und waren nur darauf bedacht eine schöne Melodie zu finden. Emotional gesehen, war das eine sehr schöne Reise für uns", erzählt uns Healy mit einem Lächeln im Gesicht. Auch für Andy Dunlop hatte diese Vorgehensweise etwas Befreiendes, wie er berichtet: "Du kannst als Musiker nur versuchen dein Bestes zu geben und dich von diesem grundlegenden Ansatz leiten zu lassen. Mit "Where You Stand" sind wir so nahe wie möglich an dieses Prinzip des Musikmachens herangekommen. Wir können schließlich auch nach all den Jahren im Business keine Vorhersagen darüber machen, wie sich unsere Songs nach aussen hin entwickeln werden."Eine Einstellung, die auch Healy voll und ganz teilt: "Es wäre doch so viel schöner, wenn wir uns ein wenig mehr von dieser Sorglosigkeit bewahren könnten anstatt immer größere Gefangene unserer eigenen Gedanken zu werden. Wir wollen uns keine Sorgen darum machen, was das alles für uns bedeutet, sondern einfach im Jetzt leben."

 

Ab und zu ist es aber dennoch von großer Bedeutung die Gedanken in die Vergangenheit schweifen zu lassen und sich dem Faktor Zeit und dessen Folgen zu stellen, um das Jetzt überhaupt schätzen zu lernen. "Reminder" ist einer dieser neuen Songs, in denen Travis innehalten, um sich der Schnelllebigkeit des Lebens bewusst zu werden: "Ich mag die zweite Strophe des Songs ganz besonders, weil sie zum Nachdenken anregt und es in ihr heisst "Why does time move so fast? Precious things, they never last". Gerade weil kostbare Dinge im Leben fast nie von Dauer sind. Wir sind da gewissermaßen privilegiert. Meine Mutter, zum Beispiel, hat sich ständig Sorgen darum machen müssen, wie sie die Rechnungen bezahlen soll…", kommentiert Fran Healy ein wenig gedankenversunken unsere Nachfrage. Gleichzeitig lesen sich die Zeilen des Songs ("Celebrate. Don't be late. Be the change you want to see. Seek the truth, set it free…") wie kleine Lebensweisheiten, die Travis ihren Hörern in Form eines gut gemeinten Ratschlags mit auf den Weg geben wollen. 

 

Ursprünglich Healys Sohn gewidmet, erinnert uns "Reminder" aber auch als Erwachsene daran, warum man manche Dinge auch über die Kindheit hinweg als kleine Lebenshilfen bei sich tragen sollte. Eltern geben einem im Laufe der Zeit allerhand Ratschläge, von denen wir einige beherzigen, andere getrost über Bord werfen, um unsere eigenen Erfahrungen zu machen. Fran Healy stand als Elternteil vor Kurzem ebenfalls an diesem Punkt in seinem Leben und gab seinem Sohn den für ihn wohl wichtigsten Rat, wie er uns verrät: "Ich habe ihm erzählt, dass er nur dieses eine Leben hat, das bis zu einem gewissen Punkt begrenzt ist. Darum sollte er seine Zeit nicht mit unnützen Dingen verschwenden, sondern etwas tun, dass sinnvoll ist, was auch immer das sein mag. So lange du danach strebst, wirst du dich niemals nutzlos fühlen. Genau diese Vorstellung ist es doch, wovor so viele Menschen Angst haben."Für den Travis-Frontmann heisst das vor allem nicht die Realität auszublenden und sich durch Netzwerke wie Facebook verblenden zu lassen: "Wir füttern unsere Köpfe täglich mit so vielen Dingen und lassen zu, dass Erfindungen wie Facebook einen beachtlichen Teil unserer Zeit beanspruchen. Das ist doch grauenhaft! Nichts davon hat doch einen wirklichen Nutzen. Alle streben nur noch nach dieser Art von Aufmerksamkeit und werden womöglich depressiv, wenn sich am Ende niemand für einen interessiert. Darum kann ich meinem Sohn nur sagen, dass er seine Zeit wirklich nutzen soll."

 


Travis – Where You Stand on MUZU.TV.

Lebt man nicht in der eben angesprochenen Realität, wird man unter Umständen zwangsweise an seinem eigenen Glück vorbeilaufen, auch wenn das Internet sich in einigen Fällen als Goldgrube bewiesen hat, was die Entdeckung neuer Künstler angeht. Als alte Hasen im Musikbusiness haben Travis die harte Schule des Künstlerdaseins durchlaufen. Gerade deshalb wissen sie genau, dass Talent allein leider nicht ausreicht, um in diesem Business zu bestehen oder gar auf sich aufmerksam zu machen, wie uns Fran Healy versichert: "Einige mögen nicht an Zufälle glauben, aber Glück spielt für Künstler eine große Rolle. Man muss nur den richtigen Moment abpassen und kann damit große Steine ins Rollen bringen. Seien wir doch einmal ehrlich – Adele ist zwar talentiert, aber es gibt da draussen vermutlich hunderte Sängerinnen, die irgendwo auf der Welt in ihren Zimmern sitzen und mindestens ebenso gut sind. Nur haben sie nicht das Glück entdeckt zu werden oder sich überhaupt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sie werden es nie schaffen, aber Adele ist durchgeschlüpft und hatte neben viel Talent auch großes Glück." 

So bleibt Travis nach all den Jahren die von Healy nüchtern formulierte Erkenntnis: "Man kann noch so talentiert sein – es gehört mit Sicherheit auch immer eine Portion Glück dazu, um es wirklich zu schaffen. Das kann alles verändern und im positiven Sinne auf den Kopf stellen." Für die sympathischen Schotten hatte das Glück zur Folge, dass sie uns diesen Sommer mit "Where You Stand" ein weiteres Album bescheren, dessen zeitlos, melodische Songs wiederum das Potenzial haben uns einmal mehr und auf lange Sicht den Kopf zu verdrehen.

Annett Bonkowski