(Foto: Nico Wöhrle)
Wir treffen uns mit Tua auf eine Brezellänge im Görli, weil er wieder Musik gemacht hat, über die es sich zu sprechen lohnt.
Nach den Releases Grau und Raus kam letzten Freitag seine neue EP Stevia. Stevia ist eigentlich aus einschlägigen Enzyklopädien als ein Honigkraut bekannt, das als Süßstoff verwendet wird. Jetzt wird Stevia in Geheimtipp-Kreisen als musikalisches Überding gehandelt. Mit seiner neuen Soloplatte ist Tua der Industrie mal wieder einen Soundschritt voraus und dealt mit Süßstoff für die Ohren.
Seine ersten Soloveröffentlichungen Grau und Raus haben Tua paradoxerweise nicht auf den verdienten Starolymp gehoben, dafür aber den Status des musikalischen Genies eingefahren. Die Szene ist sich auch fern ab seiner Rap-Wurzeln einig: was Tua macht, ist irgendwie immer krass. Ist Stevia also der dritte Teil einer Tua-Trilogie? Das musikalische Erbe von Grau und Raus? "Ich habe Grau, Raus und Stevia nicht als dreiteiliges stringentes Werk geschrieben. Sondern einfach nur stringent. Es ist eine logische Konsequenz, dass nach Grau und Raus jetzt so was wie Stevia kommt." Es liegt auf der Hand, dass das tuaeske Stevia nicht bloß der musikalische Ausdruck für Süßstoff ist. Deswegen stellt sich eher die Frage, was Stevia mit uns machen soll. Tua gibt die Frage direkt zurück und fragt: "Was macht Stevia denn mit Dir?" Wir finden, Stevia versetzt in eine entspannte Stimmung, in der man ein bisschen vor sich hinträumen und vor allem gut zuhören kann. Die Tracks lallen aber nicht bloß belanglos im Hintergrund vor sich hin. Es ist eher ein: ich hab Bock, mir ein bisschen was erzählen zu lassen.
"Ich mag, dass Du sagst, dass es einen chillt und sich als Easy-Listening verkleidet. Ähnlich wie Fahrstuhlmusik oder Musik, die man aus Hotellounges kennt. Eben Musik die nicht wehtut, aber trotzdem viel Inhaltsmist in Dein Gehirn reinpumpt. Im Grunde möchte ich moderne Oberflächligkeit und Pseudo-Luxusleben gepaart mit dem ganzen Schwermut, der auf der Kehrseite dieser Medaille liegt, auf Platte bringen." Und trotz all dieser schweren Gedanken und teilweise düsteren Realitäten, die Tua in seinen Beats und Melodien versteckt, tappt er nicht in die Herzschmerz-Cliché-Falle. Er schafft es, nicht übersentimental und pathetisch zu klingen. Wie geht so was? "Weil es einfach nicht pathetisch ist! Ich finde es schwierig, dass deutsche Künstler oft aus Dingen, die gar nicht so groß und schwer sind, ganz schnell pathetische Dinger machen müssen. Ich meine: ich chill im Hotel. Was ist denn daran pathetisch? Es geht uns doch gar nicht so schlecht. Also warum Geigen und Trompeten und Pauken?! Obwohl: Trompeten und Pauken habe ich auch…" Aber die paaren sich auf Stevia eher mit Blues als mit Balladen-Elementen. "Ich glaube, ich umschiffe das einerseits absichtlich. Andererseits ist auch einfach der große Weltschmerz bei mir nicht das Thema."
(Fotos: motor.de)
Wir kommen zurück zum Thema "Hotels". Denn: was ist dieses ewige Ding mit Künstlern und Hotelzimmern? Warum fühlen sich so viele Künstler dazu berufen, Tracks über die Hotelzimmer-Atmosphäre zu schreiben? Auch Tua hat für Stevia einen Track namens "Hotelbar, 4. Etage" geschrieben. Die Antwort ist simpel: "Ich war einfach viel in Hotels in den letzten Jahren. Und finde es inspirierend, weil ich künstlerisch total auf Zwischenwelten abfahre. Mit Zwischenwelten meine ich so was wie Bahnhöfe, Flughäfen oder eben auch Hotelzimmer. Die niemandem so richtig gehören und wo niemand zu Hause ist. Aber man möchte trotzdem glauben, dass man dort hingehört. Dieses Gefühl wird einem vorgegaukelt. Und das gefällt mir."
Tua ist nicht nur solo unterwegs, sondern auch als ein Viertel der Orsons. Solo eher nachdenklich, ruhig und eingängig, mit den Orsons eher klamauckig und als Rampensau. Man könnte meinen, dass dieses Tausendsassertum für einen Künstler das Leben in absoluter Erfüllung darstellt. Ist dieses Dasein schon der musikalische Himmel? Oder geht da noch mehr? "Es macht sehr viel Spaß ein Künstler zu sein, der sich bisher nicht zu krass hat davon treiben lassen, ob die eigene Musik jetzt Potential zum Welthit hat oder nicht. Auf der negativen Seite kommt allerdings auch ständig die Entschuldigung von mir, dass ich noch kein Star bin. Auf der anderen Seite habe ich mir damit selbst eine Art Narrenfreiheit ausgegeben und mache einfach so, wie ich Bock habe. Und das ist schon bisschen Himmel. Wenn ich morgen Lust habe ein Drum&Bass-Schlager Album auf serbisch zu machen – dann mache ich das wahrscheinlich." Apropos "Entschuldigung, ich bin noch kein Star": fucked es sehr ab, dass aus so vielen Ecken immer wieder gerufen wird, wie krass man ist, wie genial der Sound – und trotzdem schwimmt man als Künstler immer noch knapp unter dem Radar? "Ach, das ist auch nur ein Image, wie jedes andere auch! Es hat sich schon fast verselbstständigt. Tua das Genie, der müsste eigentlich ein Star sein blablubb. Komplimentiert mich alles und ich freue mich darüber. Aber ist eben auch nur ein Image: der Geheimtipp Tua. Ich frage mich nur, was damit passiert, wenn ich tatsächlich mal den großen Wurf mache." Na ganz klar: dann ist es Mainstream und Ausverkauf. "Genau das ist das Ding! Es ist wunderschön so einen Geheimtipp-Status zu haben und es streichelt mein Ego. Ich werde aber sicherlich nicht immer nur totale Underground-Entwürfe machen. Irgendwann werde ich sagen: so jetzt bringe ich das Ganze mal bisschen auf den Punkt." Für einen Künstler ist es wahrscheinlich auch kein Dauerzustand, auf Ewigkeit die idealistische Nummer durchzuziehen?! "Vielleicht kann es das auch sein. Ich hab mich noch nicht entschieden. Vielleicht mache ich für immer die idealistische Nummer."
Rap ist schon eine ganze Weile nicht mehr Tuas #1. Sein musikalisches Pendel schwingt irgendwo zwischen Doubletime und Bariton. "Eine Generalsabsage an Rap kann ich sicher nicht machen. Das wäre ja auch Blödsinn. Aber Rap ist seit Jahren nicht mehr meine einzige Ausdrucksform. Ich habe glücklicherweise die Möglichkeit, dass wenn ich irgendwas im Kopf habe – ein Gefühl oder Thema – ich mich entscheiden kann, ob ich darüber singen oder rappen möchte oder ganz die Klappe halte. Und das spiele ich in vollen Zügen aus. Und dabei ist es einfach so passiert, dass mir Rap oft nicht als das Richtige vorkam." Was macht das Singen denn so viel spannender als das Rappen? "Man hat andere Möglichkeiten. Man muss beim Singen auf andere Dinge achten. Man kann vor allem im Deutschen nicht jedes Wort geil singen. Deswegen muss man eine andere Art von Sprache auspacken, weil man weniger Worte benutzt. Man kann natürlich auch 32 Takte pro Track singen und dabei einschlafen vor Langeweile. Ich persönlich mag am Singen, dass man sich auf das Wesentliche beschränken kann. Das geht beim Rappen nicht immer. Rap is so inflationär und explizit, alles geht ins Detail. Beim Gesang kann man die Dinge auf das Wesentliche runterstrippen und es dadurch abstrakter halten."
Eigentlich wäre der nächste logische Schritt Stevia auch auf die Bühne zu bringen. So wie Maeckes mit seiner Gitarre loszieht, könnte Tua sich mit seinem Klavier auf den Weg machen. Kommt es in Frage auch solo zu touren? "Ich hätte das für Stevia tatsächlich machen sollen. Aber es war einfach nicht drin für mich. Da kam mir mein perfektionistischer Gedanke wieder dazwischen. Ich dachte mir: entweder ganz oder gar nicht! Es gab schon Dates und alles. Und dann hab ich mir den restlichen Ablauf meines Jahres angeguckt, inklusive Orsons-Album machen. Ich werde dieses Jahr niemals die Zeit und die Kapazitäten aufbringen können, um es richtig geil zu machen. Und dann hab ich mir gedacht scheiß drauf. Aber irgendwann…"
… geht Tua auf Tour – mit einem riesen Welthit und 14 Nightlinern. Ob auch dann wieder die Frage kommen wird: warum ist dieser Typ eigentlich noch kein Star?!
Julia Ramonat
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