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Eigentlich lief bei „Stadt der Angst“ alles super, aber wirklich entspannen konnten sich die fünf von Turbostaat nicht. Mischgefühle über eine ungewisse Zukunft lagen wie dunkle Gewitterwolken über dem Album.
(Foto: Clouds Hill)
Das fünfte Album ist draußen, aber Angst, dass sie bald zum alten Eisen gehören, brauchen die Nordmänner von Turbostaat noch lange nicht zu haben, scheint doch ihr neustes Werk „Stadt der Angst“ aktueller zu sein, als ihnen vielleicht lieb ist. Dennoch ist Angst ein zentrales Thema der Platte. Melancholie und Hoffnung gehen auf ihr Hand in Hand. Turbostaat haben zwei turbulente Jahre hinter sich, die letztendlich im neuen Album ihren Abschluss fanden. Wenn auch in weiser Voraussicht geplant, war nie so wirklich alles in Sack und Tüten. Oft schien der nächste Schritt mehr als fraglich. Also nix mit entspannt zurücklehnen und mal nebenbei ein neues Album machen. Weg vom Major Warner Music zum Hamburger Label Clouds Hill Records, das Management gekickt, die Band an mehreren Standorten verteilt – das waren alles keine leichten Herausforderungen, die Turbostaat mit Bravour und 15-Track-Doppel-LP gemeistert haben. Summa cum laude sozusagen.
motor.de: hat sich mit Bassist Tobert Knopp getroffen, der das Interview durch krankheitsbedingten Ausfall von Gitarrist und Texter Marten Ebsen allein bestreiten musste und mit ihm Inhalte, Hintergründe und die Dinge zwischen den Zeilen besprochen. Tacheles bitte…
motor.de: Du und Marten haben ja zusammen den Großteil eures neuen Albums geschrieben.
Tobert: Bei uns ist das so: Marten schreibt eigentlich fast immer die Texte und denkt sich Lied-Ideen aus. Auf Letzteres haben wir alle in der Band Einfluss. Bei „Stadt der Angst“ ist das Ganze etwas enger zusammengerückt. Marten wohnt in Berlin, ich in Hamburg und die Band probt in Schleswig alle 2 Wochen so 3-4 Tage am Stück. Marten und ich pennen dann halt auch da und verbringen viel Zeit zusammen mit den ganzen Ideen, die wir dann Tag und Nacht bequatschen.
motor.de: Und dann geht’s mit fertigen Songs ins Studio.
Tobert: Ja, wir spielen unsere Platten grundsätzlich live ein. Man kann das wie so eine Art Theater-Aufführung betrachten. Wir üben das alles vorher, schrieben die Lieder komplett fertig, treffen uns mit Moses, unserem Produzenten, schauen ob es da Einwände gibt, finden ein Form, die sitzt und dann erst gehen wir ins Studio und spielen das Programm ab. Keiner von uns ist ein Freund davon, sich ins Studio mit Kopfhörern und Gitarre vor ein Mischpult zu setzen und dann rumzuprobieren.
motor.de: Ist das im Endeffekt dann auch weniger frustrierend?
Tobert: Naja, du hast halt vorher die ganzen nervigen Sachen. Aber ehrlich gesagt sind für mich die Zeiten schon lange vorbei, wo man sich für Wochen in einem Studio einschließt und sich dann was aus den Fingern saugt. So haben wir das zumindest noch nie gemacht und so wollen wir das auch nicht machen.
motor.de: „Stadt der Angst“ beginnt gleich mit „Eine Stadt gibt auf“, aber um welche Stadt es sich handelt, bleibt offen. Wollt ihr bewusst so kryptisch und variabel sein, gerade im Vergleich mit alten Songs, wie „Insel“?
Tobert: Das Kryptische zieht sich eigentlich durch die ganze Bandgeschichte und wurde uns bei jeder Platte nachgesagt. Die Anspielung auf Husum bei „Insel“ war da eigentlich eher mal die Ausnahme. Marten schreibt schon ziemlich komplexe Texte. Witziger Weise hatte ich den Eindruck, dass auf „Stadt der Angst“ insgesamt eigentlich schon alles etwas konkreter geworden ist.
motor.de: „Es bringt nichts von außen zu sanieren“ – Kritik an scheinheiliger Gentrifizierung oder am Geschichtsrevisionismus?
Tobert: Ja, das Geile ist, dass ich die Texte ja nicht schreibe und Marten leider krank ist. Ich bin da wie ihr nur einer, der das interpretieren muss. Ich find auch Texte erklären total doof, aber beide Ansätze finde ich durchaus richtig.
Klar gibt es ein paar reale Bedrohungen und Ängste. So in meinem Fall: Ich wohne noch in Hamburg. Eine tolle Stadt aber unglaublich teuer. Ich werde höchstwahrscheinlich demnächst auch nach Berlin ziehen, aber hier wird es auch immer teurer. Das sind ganz weltlich Probleme. Ich finde es gut, dass ein Song wie „Eine Stadt gibt auf“ verschiedene Interpretationen zulässt und ihn jeder mal so in seinen eigenen Gehirnwindungen kreisen lassen kann.
motor.de: Ängste scheinen generell ein zentrales Thema zu sein. Die erste Single „Tut es doch weh“ zeichnet ein ziemlich auswegloses Bild („Manchmal glaubt man beinah selber, dass das alles so gehört“), dennoch ist die Stimmung ziemlich hoffnungsvoll. Das wirkt ein bisschen schizophren.
Tobert: Genau darum geht es auch – um Gegensätze und Mischgefühle. Da brauchst du nur uns als Band anschauen. Wir machen nix anderes als Musik und können davon leben. Dann haben wir diese Platte gemacht und wussten lange nach der Aufnahme der Songs noch nicht, wo wir damit landen, bei welcher Firma und was weiß ich. Und dieses Gefühl: Eigentlich hast du ein Album fertig, und dann nimmst du das auf und es ist hammergeil, hört sich toll an und alles klappt. Dann gibt es Nudeln und haufenweise Rotwein und man duscht mal wieder länger – alles super. Aber wenn die Faktoren außen herum nicht stimmen und so eine Unsicherheit da ist, dann hast du diese Mischgefühle. Und so ging es uns in den letzten 2 Jahren, dass wir auch oft genug Panik hatten und nicht wussten, wo wir hingehen.
motor.de: Ihr seid ja auch nicht mehr bei Warner, sondern bei einem kleinen Label. Man geht selten weg vom Major, ohne dass es Probleme gab.
Tobert: Ne, das stimmt. Das war auch ein großes Thema: Wir haben aus diesen Jahren beim Major-Label ganz viele gute Sachen gelernt, gerade organisatorisch. Deshalb haben wir vor anderthalb Jahren angefangen, diese Platte zu planen. Wir wussten, wann wir veröffentlichen und wann wir touren wollen. Aber dann stehst du da und sagst: So, ich hab alles gemacht, was ich kann, und jetzt? Ich hab mir was ausgedacht und es aufgenommen, wo ist der Rest? Wir waren in nem Hammerstudio mit Moses Schneider und alles lief perfekt und dann gehst du abends pennen und fragst dich, was passiert, wenn das zu Ende ist? Und dann war für uns klar: Alter, wir wollen diese Platte rausbringen und irgendwann die Rechnungen dafür bezahlen. Und dann kam irgendwann Pascal, ein guter Freund von mir und der Label-Manager von Clouds Hill. Mit dem haben wir uns hingesetzt, alles durchüberlegt und gesehen, dass das klappen kann, solange wir alles weiter so durchziehen, wie wir geplant haben. Wir machen jetzt wieder mehr selber, was Promo und Management angeht und sind sehr guter Dinge. Wir haben ne Doppelvinyl mit Booklet, Download-Code und CD für nen Spottpreis rausgebracht, die Tour steht und wir können die Tickets zu den günstigen Preisen anbieten, die wir wollten. Das war alles harte Arbeit, die sich aber gelohnt hat und ich bin stolz auf alle in der Band.
motor.de: Wenn wir gerade von Vinyl und CDs reden: Vor einer Weile sind ja die neuen GEMA-Tarife für DJs raugekommen. Ihr seid ja auch gezwungenermaßen bei dem Verein. Findet ihr das gut, was euer Vorstand da so entscheidet?
Tobert: Nein gänzlich gar nicht! Das ist ein Riesen-Scheißverein. Dieser ganze Heckmeck, dieses dick gedruckte Quartalsmagazin – furchtbar alles. Das ist kein Verein für uns, die wir immer noch relativ kleine Leute sind, ohne da jetzt in eine Märtyrer-Haltung verfallen zu wollen, was ja auch gerade modern ist. Dieses ganze großkotzige Gepfusche, das die da machen ist nichts für Bands wie uns. Man muss auch sagen, dass das ein langes und komplexes Thema ist, das man mal nicht eben so abrollen kann, aber da muss sich echt was anderes überlegt werden. So wie das momentan läuft, ist es einfach albern und nicht mehr zeitgemäß.
(Foto: Clouds Hill)
motor.de: Und noch eine – vielleicht auch ungewollt – aktuelle Sache: „Hallo Echo, heiß sie willkommen / guter Reibach, gutes Gesicht / Freie Wilde in euren Hallen / Unterm Mantel die alte Idee“ (aus dem Song „Pestperle“).
Tobert: Also das, was passiert, ist ja nix Neues. Das war dieses Jahr nicht die erste Echo-Nominierung für diese besagt Band. Und wenn man in einer Punkband und mit antifaschistischen Ideen groß geworden ist, dann sind das alles Probleme, die dir von vorn bis hinten bewusst sind und nicht erst seit gestern existieren. Und es geht in diesem Lied auch nicht um dieses langweilige Bashing dieser Band, weil das total albern ist, auch wenn sie es verdient haben. Das führt aber zu nichts. Es geht darum, darauf hinzuweisen, das vor Jahren in Medienkreisen die Stimmen laut geworden sind, man müsse eine Band finden, die die Lücke schließt, die die Onkelz hinterlassen haben. Und da geht es nicht um den Inhalt, von wegen: Wir brauchen mehr Nazi-Ideen im Mainstream, sondern darum ganz klar so rechte und nationalistische Gedanken so zu verklausulieren, dass man das Thema als „edgy“ markieren kann, was bis zur Verklärung geht. Uns geht es darum, auf das Interesse der Medienwelt und des Mainstreams am Geldverdienen hinzuweisen, das soweit führt, dass sich die Leute in der Branche dann sagen: Ok, find ich jetzt nicht so gut, was die da sagen, aber da kann man halt eine Menge Asche mit machen, also ist das ja nicht so schlimm. Und wir finden, das ist ne Riesen-Arsch-Nummer, mit diesem Mist Geld verdienen zu wollen. Es gibt genug Leute, die sich heute schwarz ärgern, dass sie diese Band nicht unter Vertrag genommen haben, aber das hat halt der Mann gemacht, der auch Schnappi das Krokodil entdeckt hat. Der weiß anscheinend, wie’s geht.
motor.de: Wenn du überhaupt die Zeit dazu hast: Hörst du auch hin und wieder neue Musik?
Tobert: Eigentlich hör ich überwiegend nur alte Platten. Aber es gibt ein paar coole neue Sachen: Cloud Nothings find ich richtig gut. Dann eine Berliner Punk-Band von einem Bekannten, die sich Diät nennt. Das neue David Bowie Album natürlich – der Mann weiß einfach, wie es geht. Und die letzte Platte von Goat. Das ist so Afro-Psychedelic-Schweden-Hipster-Scheiße – aber trotzdem hammergut.
Text + Interview: Tim Hoppe.
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