Turbostaat nehmen ihren Proberaum mit ins Studio und pennen beim Revolutionsführer.

Turbostaat im Studio mit Produzent Moses Schneider (ganz links)

Flensburg hat mehr zu bieten als Karteien über rüpelhaftes Fahrverhalten und kistenweise Bierflaschen mit Plopp-Verschluss. Redet man von Deutschpunk kommt man um diese Stadt nicht herum, denn sie ist die Wahlheimat der Band Turbostaat. Seit 1999 “ballern”, wie Gitarrist Roland zu sagen pflegt, sie durch die Republik. Im norfriesischen Husum begann damals alles, aus mehreren Punkbands entstand Turbostaat und es folgte der Umzug nach Flensburg. Jetzt veröffentlichen sie ihr viertes Album und können das, wovon sie in der Punkrockjugend immer träumten: ausverkaufte Hallen füllen und von ihrer Musik leben.

Mit der Platte “Das Island Manöver” stechen die fünf Jungs ab dem 9. April in die raue See der deutschen Bühnengewässer – der Sommer wird für Turbostaat kein Urlaub, sondern Arbeit. Der Tourplan ist straff, die Motivation groß und eine Woche Urlaub reicht ihnen eigentlich auch aus, sagen sie. Wir trafen uns mit den beiden Gitarristen Marten und Roland. Über den Dächern von Leipzig sprachen wir über die neue Platte, ihren Kumpel Glufke und riesige Kassettenrekorder.

motor.de: Jungs, mehr oder weniger frisch aus dem Studio entlassen – wie fühlt sich das an?

Roland: Das ist leider gar nicht mehr so frisch. Im Studio waren wir Ende September, Anfang Oktober. Das doofe an einer Plattenproduktion ist ja immer, dass die Scheibe erst Ewigkeiten später rauskommt. Die Platte lag im Herbst schon bei uns zu Hause und wir dachten, jetzt könnte man das Ding eigentlich gleich raushauen. Aber der ganze Käse muss ja erstmal angeschoben werden. Wir freuen uns jetzt einfach wahnsinnig, dass das Album endlich veröffentlicht wird.

motor.de: Erzählt doch mal einen Schlag aus dem Studio. Waren die Aufnahmen dieses Mal stressiger als sonst? Was habt ihr im Vorfeld anders gemacht?

Marten: Wir haben vorher nicht so krass geprobt, sondern bereits während dem Songwriting darauf geachtet, in wie weit sie spielbar sind und funktionieren.
Roland: Jetzt war die Aufregung einfach weniger groß. Der Vorgänger hatte noch Stellen, wo man dachte: “Mensch da muss ich mich anstrengen, das auch vernünftig zu spielen.” Das gab es dieses Mal gar nicht mehr. Wir haben die Platte jetzt genau wie “Vormann Leiss” live eingespielt. Die Aufnahmen damals zeigten uns, dass das genau die Art ist, die wir wollen. Die ersten Alben nahmen wir im Vergleich dazu Step by Step auf, also jedes Instrument für sich. Wenn da Schnitzer dabei waren, konnte man die einfach ausbessern. Das ist jetzt spannender.

motor.de: Man kann sich das also so vorstellen, als würdet ihr einfach euren Proberaum mikrofonieren und dann aufnehmen – klingt ja wie früher.

Roland: Ja, ein bisschen schon. Wir haben uns, wie auch live, in eine Reihe gestellt: Das Schlagzeug stand in der Mitte, links und rechts dann zwei Bassboxen, Marten stand auf der einen und ich auf der anderen Seite. Jan hatte dann noch so eine kleine Kabine um sich herum, damit nicht der ganze Müll mit auf den Gesang kommt. Und dann haben wir einfach so gespielt, wie eben im Proberaum oder bei Konzerten.

Studio “Chez Cherie” in Berlin Neukölln, Setting Turbostaat

motor.de: Die Produktionsumstände ähneln sich also. Gibt es denn etwas, was euch an dem jetzigen Ergebnis besser gefällt?

Roland: Der Klang auf jeden Fall, der ist wärmer geworden als auf “Vormann Leiss” – das gefällt mir gut. Damals sprach Moses (Moses Schneider – Produzent, Anm. der Redaktion) noch immer davon, er wolle für die Aufnahme den größten und teuersten Kassettenrekorder der Welt bauen. Er wollte unbedingt diesen speziellen Sound haben, naja ein bisschen besser natürlich. Aber jetzt dachte er sich wieder eine andere Variante aus und mit dieser sind wir alle sehr zufrieden.

motor.de: Vielleicht schwer zu sagen, aber gibt es unter den 12 neuen Songs einen besonderen Bandliebling?

Roland: (überlegt) Ich denke, das ist von Typ zu Typ verschieden. Aber so ein bisschen können wir uns doch auf “Das Island Manöver” verständigen, oder? (kuckt Marten an)
Marten: Naja, bei mir ist das nicht so, dass ich von den zwölf Liedern eines besonders herausheben könnte und sage: “Das, ja DAS ist es!”
Roland: Stimmt, das kann ich eigentlich auch nicht.

Marten Ebsen (links) und Roland Santos (rechts)

motor.de:  Wie war und ist für euch generell die Zusammenarbeit mit Moses Schneider? Hat er euch anfangs viel kritisiert?

Roland: Nein, hat er nicht, das ist nicht seine Art. Er ist nie reingekommen und meinte: “Leute, das geht so nicht, das muss jetzt mal anders gemacht werden!” Die Lieder waren ja vorher schon alle fertig und er war einverstanden damit. Wenn er überhaupt etwas gesagt hat, dann waren das lediglich Ideen für unterschiedliche Herangehensweisen. Aber er ist nicht durchgegangen und hat das Lied umgepflügt.
Marten: Wir haben mit ihm schon so ein, zwei Sachen verändert. Aber im Großen und Ganzen hat er schon mehr die Aufnahmeleitung gemacht – quasi alles ran geschafft und sich das Konzept für Aufnahmen überlegt.

motor.de: Also wurde wenig gemäkelt?

Roland: Genau. Ich glaube bei den Beatsteaks zum Beispiel war das anders. (lacht) Da ist er sehr früh mit in den Proberaum gegangen. Bereits als sie ihre Songs geschrieben haben, hat er gelegentlich eine Meinung dazu gehabt – also quasi als sechstes Bandmitglied. Bei uns hat aber er immer gesagt: “Ihr macht die Lieder selbst!”

motor.de: „Pennen bei Glufke“ – das ist ja eure aktuelle Single samt Video. Was hat es eigentlich mit diesem Namen auf sich – ist Glufke real oder ein Phantasieprodukt?

Roland: Den gibt es wirklich, er woht in Regensburg. Der ist super! Gestern hat er auf unserem Facebook-Profil einen Komentar hinterlassen. Da haben sich irgendwelche Leute über Semester und Uni und so ‘nen Käse unterhalten. Glufke schrieb dann in die Diskussion rein: “Studenten – Der Rost am Schwert der Revolution!” (lacht herzhaft) Das fand ich sehr gut. Glufke, das ist ein geiler Typ.

motor.de: Apropos Rost am Schwert: “Eingesperrt sind wir immer noch, es beruhigt uns sogar, dass es so ist.” Wie genau meint ihr das und was konkret kritisiert ihr damit?

Marten: E ist ja so: Man ist eingesperrt, häufig kommt man sich vor wie in einem Knast. Aber andererseits bietet einem das Ganze auch eine Art von Sicherheit. Genau das ist der Punkt: Du bist nicht frei, aber es beruhigt dich auch. Somit ist das natürlich auch kritisch gegen jeden selbst gerichtet, da man das Gefängnis häufig selbst wählt, um Sicherheit zu haben.

Turbostaat 2010: “Geiler geht doch gar nicht

motor.de: Die Jägermeister Rock:Liga ist zur Zeit ja ein heiß diskutiertes Thema. Was ist eure Meinung zu dieser Art von Veranstaltungen?

Marten: Wir finden diese Wettbewerbe einfach beschissen. Musik, oder generell Kunst und Wettbewerb – das passt einfach nicht zusammen. Großer Mist ist das, wenn du mich fragst.
Roland: Für viele mag das ja interessant sein und Spaß machen, aber wir halten nichts davon.
Marten: Das ist auch echt immer so ein Thema mit diesem Markensponsoring. Damit man was auf die Beine stellen kann, macht man sich in dieser Welt immer Gedanken, wie man an das Geld dafür kommt.
Roland: Und bei den großen Festivals ist das ja im Grunde nicht anders – die beziehen auch massig Gelder von dicken Firmen. Gerade die braune Brause ist da ja immer sehr spendabel. Allerdings finde ich es scheinheilig zu sagen, man könne genau deshalb nicht auf solchen Festivals spielen.


motor.de: Wenn ich mich richtig erinnere, habt ihr ja auch schonmal bei Rock Am Ring gespielt.

Roland: Ja stimmt und das hat wirklich Spaß gemacht. Wir sind damals mit keinen Erwartungen hingefahren und es war überraschend gut. Man muss dazu sagen, dass das unsere Plattenfirma ausgehandelt hatte. Eigentlich stand damals schon das gesamte LineUp fest, aber der Veranstalter hat uns dann irgendwie noch einen Platz freigeschaufelt. Wir sind da mit dem Wissen hingefahren, dass uns dort keiner kennen sollte, oder halt zumindest nicht so viele. Aber das Zelt, in dem wir spielten, war dann ziemlich voll und die Leute haben voll mitgemacht. Wir hatten fast nur neue Songs dabei, sieben oder acht unveröffentlichte Songs. Trotzdem sind die Leute abgegangen. Das war echt schön.

motor.de: Festivals kommen ja nun dank der schöneren Jahreszeit auch endlich wieder. Was sind denn Turbostaats Pläne für den Sommer?

Roland: Wenn ich an den Sommer denke, dann auf jeden Fall an Konzerte. Vor der Festivalsaison spielen wir bereits zwei Touren und im besten Falle wollen wir dann, bis auf vielleicht eins, zwei Urlaubswochen, auch jedes Wochenende unterwegs sein.
Marten: Wir haben bis jetzt ja auch fast nichts gemacht, diese paar Konzerte zählen nicht. Ich habe richtig Lust, wieder unterwegs zu sein.
Roland: Letztes Wochenende spielten wir zwei Konzerte in Leer und in Solingen. Als wir losfuhren, war das ein tolles Gefühl. Ab in den Tourbus und los, da dachte ich so: “Geil, jetzt passiert wieder was, es geht wieder los!” Ich freu mich drauf!

Interview: Alex Beyer