Denn er weiß nicht, was er tut: Newcomer George Lewis Jr. legt mit seinem Alter Ego Twin Shadow ein sagenhaft ambitioniertes Debüt namens “Forget” hin und rätselt im Interview darüber, wie dieses Album eigentlich zustande kam.

“Ich hatte keine andere Wahl”, erklärt George Lewis Jr. und meint damit weder seine musikalische Karriere noch irgendwelche Hindernisse, die sich in seinem bisherigen Leben vor ihm auftürmten. Vielmehr mosert der Kopf hinter Twin Shadow über die Wahl seines Berliner Hotels, das eigentlich für die berühmten Labelkollegen von The National gebucht worden war – “doch die wollten plötzlich nicht mehr hier her, also blieb mir nichts anderes übrig und ich musste mit ihnen die Örtlichkeit tauschen, konnte nicht in meinem Lieblingsladen übernachten.”

Lewis kennt sich in der deutschen Hauptstadt aus, wählte zur Übernachtung bewusst ein Hostel nahe der Berliner Mauer, doch The National fanden ebenfalls Gefallen am Nachtquartier und so muss er nun hier nächtigen. Pech gehabt, murmelt es leicht zerknirscht zwischen seinen Lippen hervor und trotzdem sollte er sich nicht grämen, den Blick lieber gen Zukunft richten: Mit seinem Einmannprojekt Twin Shadow schickt der New Yorker nach zwei Jahren intensiver Arbeit ein Debütalbum ins Rennen, das bereits vor Veröffentlichung für allerhand Furore sorgt.

Das renommierte Time Out-Magazine wählte Lewis jüngst zu einem der “bestgekleideten Musiker New Yorks” und überschlug sich in einer ersten Rezension zu “Forget” vor Begeisterung: Mit einer “unverkennbaren Portion Eightiespop” im Gepäck, mixe der gebürtig aus Florida stammende Songwriter klassischen Folk mit sachter Akustik und faszinierende Arrangements mit brüchigem LoFi. So weit, so richtig. “Mich freuen solche Reaktionen wirklich sehr”, gibt sich der Macher zufrieden und spricht im Zuge dessen von einer Etappe, die nun beendet sei und automatisch neue Herausforderungen mit sich bringt.

Twin Shadow – “When We’re Dancing”

Doch der Reihe nach: Im motor.de-Interview rollt George Lewis Jr. die Geschichte von hinten auf, erzählt von Nebenjobs, die ihm die Musik ermöglichten, sein Leben in New York und warum die Frau von nebenan zwar sehr hübsch, zugleich aber schrecklich langweilig sein kann.

motor.de: Erstmal Glückwunsch! Wie fühlt man sich als einer der bestgekleideten Männer New Yorks?

George Lewis Jr.: (guckt verlegen) Ich weiß nicht, was denen bei ihrer Auswahl durch den Kopf ging, aber Kleidung spielt in meinem Leben nur eine nebensächliche Rolle. Wenn ich morgens meinen Schrank aufmache, greife ich nach dem erstbesten Shirt und mach mich auf den Weg. Mehr nicht.

motor.de: Würdest du dich als Musiker ähnlich beschreiben – nimmst du mit, was sich auf halber Strecke ergibt?

George Lewis Jr.: Ganz und gar nicht. Als ich vor drei Jahren mit Twin Shadow begann, hatte ich bereits eine erfolglose Karriere in einer Bostoner Punkband hinter mir. Ich verließ dafür extra meine Heimat Florida, schloss mich neuen Leuten an und stand nach fünf Jahren ziemlich ernüchternd da. Musikalisch war das zwar toll – wir machten genau den Sound, den ich seit Teenagertagen mochte: Bad Brains, frühe Hüsker Dü und natürlich The Clash – aber irgendwie haute das nicht hin.

motor.de: Aus dieser Sicht überrascht dein Debüt “Forget” umso mehr. Wie kam es dazu, dass plötzlich nicht mehr Punk, sondern Pop den Sound bestimmt?

George Lewis Jr.: Als Boston und die Band keinen Reiz mehr für mich darstellten, zog ich nach New York um den Kopf frei zu bekommen. Allerdings ist die Stadt kein Ort, an dem du faul herumlungern kannst – alles sehr kostspielig und so wurde ich quasi gezwungen mich umzuorientieren.

motor.de: Du hast dich etwas vollkommen anderem zugewandt und für diverse Theater die Begleitmusik zu deren Aufführungen geschrieben – beeinflusste dies deine Hinwendung zum Pop?

George Lewis Jr.: (schüttelt den Kopf) Überhaupt nicht, weil ich stets eine Mauer zwischen mir und meinem Job zog. (denkt nach) Es ergab sich eher durch Zufall, dass ich plötzlich keinen Bock mehr auf die Bad Brains hatte und wieder anfing Musik zu hören, mit der ich als Kind aufwuchs: Janet Jackson, Prince und David Bowie. Ganz ehrlich, so fängt doch jeder an.

Twin Shadow – “Slow”

motor.de: Die Arbeiten an “Forget” begannen vor zwei Jahren unter Mithilfe von Grizzly Bears Chris Taylor. Man sagt, er sei schwierig – kamt ihr auf Anhieb klar?

George Lewis Jr.: Definitiv, Chris hat sich sofort auf meine Bedürfnisse eingestellt und meinte, dass er niemanden unter die Arme greifen würde, von dessen Musik er nicht hundertprozentig überzeugt sei. Zudem kann er sagenhaft gut kochen und da ich auf meinem Herd normalerweise nicht mehr als Wasser erhitze, haben wir uns auch so ziemlich gut ergänzt.

motor.de: Deine Songs funktionieren auf mehreren Ebenen. Zum einen wirken sie minimalistisch, besitzen einen klaren LoFi-Charakter – demgegenüber gibt es Streicher und hallende Drums.

George Lewis Jr.: Nichts davon war geplant, obwohl “Forget” eine Art Schlafzimmer-Produktion werden sollte. Durch meine Theaterarbeit bin ich es eben gewöhnt, Musik für eine große Bühne zu schreiben und versuchte diesen Ansatz so gut wie möglich zu umgehen.

motor.de: Verarbeitest du persönliche Erlebnisse in den Songs?

George Lewis Jr.: “Forget” ist definitiv ein sehr ehrliches Album. Das Leben als solches stellt dabei meine größte Inspiration dar und all die Reise, die ich in den letzten Jahren unternommen habe, kommen auch darin vor. Anderseits versuche ich die ganze Sache auf ein abstrakteres Level zu heben, denn so interessant der Alltag ist, er kann manchmal das Langweiligste überhaupt sein. Darum ist die Herausforderung, dass eigene Ich zu verschlüsseln, so dass niemand denkt: Toll, jetzt singt er, wie er den Müll herunterbringt und dabei seiner hübschen Nachbarin ‚Hallo!’ sagt. (lacht)

motor.de: Wo siehst du dich in zehn, fünfzehn Jahren? Oder interessieren dich solche Fragen nicht?

George Lewis Jr.: Ich bin jetzt 26 Jahre alt und habe bereits die Erfahrung gemacht, dass eine Karriere schief gehen kann. Falls das erneut passiert, würde zwar eine Welt in mir zusammenbrechen, demgegenüber weiß ich aber, dass es auch andere Wege und Möglichkeiten zur Entfaltung meiner Leidenschaft gibt. Einer der “Best dressed Man” von New York bin ich schon, also: Weiter geht’s!

Text und Interview: Marcus Willfroth

VÖ: 12.11.10

Label: 4AD/Beggars Group/Indigo

Tracklist:
1. Tyrant Destroyed
2. When We’re Dancing
3. Slow
4. Shooting Holes
5. At My Heels
6. Yellow Balloon
7. Tether Beat
8. Castles In The Snow
9. For Now
10. I Can’t Wait
11. Forget