Selbstverständlichkeiten gibt es für Ruban Nielson keine, das Leben sei ein einziger Kompromiss. Wie gut dass er mit Unknown Mortal Orchestra die Band gefunden hat, die genau nach seinem Geschmack funktioniert – im motor.de-Interview erklärt der nimmermüde Songwriter, warum das neue Album „II“ ein Soundtrack zur Selbstfindung geworden ist.

Die Geschichte beginnt lange vor Unknown Mortal Orchestra. Mit The Mint Chicks hatte Ruban Nielson früh in seinem Leben die Chance es ernsthaft mit der Musik zu versuchen. In der Heimat Neuseeland gegründet, schaffte die Combo schnell den Sprung in die Professionalität, begeisterte ein namhaftes Label für sich und ebenso flink schrieben die ortansässigen Magazine über den Act, dem viele eine große Karriere vorgesagten. 2001 erschien das Debüt „Fuck The Golden Youth“ und heimste hervorragende Kritiken ein: Der flinke Power Pop, mit wilden Gitarrenläufen zubereitet, schien allseits zu begeistern und auch im Anschluss konnten die zwei Nachfolger das Niveau halten. Doch gerade als die Sache über die Landesgrenze hinaus ging, zog die Band eigenhändig die Notbremse, denn das Brüdergespann Kody und Ruban Nielson konnte sich nicht mehr über die musikalische Weiterentwicklung einigen.

„Wir hatten keinen Krach, nur passten meine Demos Kody kaum in den Kram. Er fand den Cut zu groß, der mir vor Augen schwebte und meinte offen und ehrlich zu mir, dass es vielleicht besser wäre, ich würde die Sachen alleine umsetzen“, erzählt Ruban Nielson heute gefasst und scheint ein bisschen glücklich darüber zu sein. Immerhin sei er damals jung gewesen und im Zuge der Unerfahrenheit ist die Wahrscheinlichkeit ja hoch, dass sich der Musikgeschmack grundlegend ändern könne – fügt er verständnisvoll hinzu und meint, dass Unknown Mortal Orchestra anfänglich nur der Versuch gewesen sei, sich anderen Möglichkeiten zu widmen und zu schauen, ob es überhaupt hinhaut. Das psychedelische Moment, welches von nun an immer öfter in seinen Songentwürfen auftauchte und dann 2011 das gleichnamige Debüt dominierte, für dessen Aufnahmen Nielson Neuseeland den Rücken kehrte und seinen Wohnsitz nach Portland/Oregon verlagerte.

Kaum angekommen, holt er nun für den zweiten Streich „II“ noch weiter aus und erklärt uns im motor.de-Interview, was für ihn als Musiker in einer Band wichtig sei, warum in der Ruhe die Kraft liegt und wie man einen inneren Konflikt am besten löst.

motor.de: Es ist das erste Mal, dass du für Interviews längere Zeit in Deutschland verweilst und dein Terminkalander scheint gut gefüllt. Freut dich das?

Ruban Nielson: Auf jeden Fall. (lächelt) Genau dahin sollte es auch mit The Mint Chicks gehen und dass dies nun mit Unknown Mortal Orchestra klappt, ist natürlich ein Traum. Allerdings hat das noch lange nichts zu sagen, die Leute müssen meine Songs mögen und dieses Feedback gilt es nun zu erreichen.

motor.de: Vom Sound her ist „II“ die Weiterentwicklung deutlich anzuhören. Fiel es dir schwer, deinen Kollegen dies zu verklickern? Gerade wenn man an die Zeit mit The Mint Chicks zurückdenkt.

Ruban Nielson: Das darf niemand so ungeheuer hochkochen. Ich bin 32 Jahre alt und als The Mint Chicks starteten, wollte jeder von uns einfach nur, dass das hinhaut. Man dachte eben nicht zehn Jahre im Voraus. Naiv, wenn du so willst, aber es ging uns mehr um den Moment und nicht um dass, was kommen mag.

motor.de: Denkst du inzwischen anders über die Zukunft deiner aktuellen Band?

Ruban Nielson: Natürlich, ich gestalte Unknown Mortal Orchestra als offenes Projekt und hole Leute dazu. Wie zum Beispiel Greg Rogove von Priestbird im letzten Jahr, der gerade Zeit hatte und sich an den Aufnahmen zu „II“ beteiligen wollte. Weil ihm das Material gefiel. So hast du deutlich mehr Gestaltungraum, was ich mag und denke, es wird auch auf lange Sicht funktionieren.

motor.de: Musikalisch ist „II“ erstaunlich psychedelisch ausgefallen und enthält das ein oder andere Experiment. Es scheint trotzdem, als würdest du der Bewegungsfreiheit bewusst Grenzen setzen.

Ruban Nielson: (lacht) Muss ich, als Musiker darf man niemals den Hörer aus den Augen verlieren. Im Studio kann ein dreiminütiges Solo Spaß machen, weil die Atmosphäre stimmt und alle drauf abgehen – wie sieht es aber mit dem aus, der nicht in dieser Situation steckt: Will man so etwas zu Hause hören? Das sind die Fragen, die beim Songwriting wichtig sind. (denkt nach) Spätestens nach der Produktion bist du einer derjenigen, die es sich auch außerhalb des Studios anhören und dem bösen Erwachen vorzubeugen, ist für mich inzwischen selbstverständlich.

motor.de: Dann ist dir klar, dass die Inhalte neben den recht verspielten Tracks stark hervorstechen. Es wirkt, als wären sie in einem Moment der Erschöpfung entstanden – war dem so?

Ruban Nielson: (nickt) Die meisten Songs schrieb ich auf der letzten Tour, die für mich sehr gewöhnungsbedürftig war, weil es nicht in den üblichen Bahnen einer Mint Chicks-Tournee ablief. Obwohl die gesamte Verantwortung vom Soundcheck bis hin zu den Interviews bei mir lag und Stress bedeutete, fühlte ich mich oft einsam und hatte auch das Gefühl mich von meinem gewohnten Umfeld zu entfernen. Eigentlich entstanden die Sachen zuerst nur für den persönlichen Gebrauch, passten allerdings so gut zueinander, dass ich mir dachte: So muss „II“ am Ende klingen.

motor.de: Das Cover ist von Janet Ferrar entworfen und zeigt eine Frau mit durchsichtigem Gewand. Wird das in deiner Wahl-Heimat nicht für Unmut sorgen? 30 Seconds To Mars mussten einmal einen Löwen überkleben, weil er der US-Handelskette Walmart zu aggressiv schien.

Ruban Nielson: Wir haben mit einem Sticker schon für Abhilfe gesorgt und sind auch nicht 30 Seconds To Mars. Bei denen wird natürlich ganz genau hingeschaut, weil die in den großen Auslagen liegen – Unknown Mortal Orchestra nicht.

Unknown Mortal Orchestra – “Thought Ballune”

motor.de: Mit The Mint Chicks hast du in Neuseeland eine Reihe von Auszeichnungen abgeräumt – das zweite Werk „Crazy? Yes! Dumb? No!“ bekam den „New Zealand Music Award“ für das beste Album, beste Video und beste Rockalbum des Jahres 2007. Ist eine Live-Reunion für die ehemaligen Anhänger irgendwann denkbar?

Ruban Nielson: Ich habe letztens darüber nachgedacht und um ehrlich zu sein. Aus heutiger Sicht würde es keinen Sinn ergeben, denn alle ehemaligen Mitglieder sind mit neuen Projekten beschäftigt und haben gut zu tun. Falls sich das Ganze aber mal in ein paar Jahren anbietet und für jeden, der daran beteiligt ist, Sinn ergibt, würde ich mich für ein Gespräch nicht querstellen.

motor.de: Die kommende Tour mit Unknown Mortal Orchestra steht vor der Tür. Hast du ein bisschen Angst davor?

Ruban Nielson: (schüttelt den Kopf) Überhaupt nicht, inzwischen weiß ich ja, was mich erwartet und diesen Erkenntnisstand hatte ich beim ersten Mal nicht – da schmiss man mich ins kalte Wasser, wird dies Mal nicht passieren.


Text + Interview: Marcus Willfroth