Über verwöhnte Engländer, deutschen Techno und gesunde Konkurrenz: motor.de traf die Vessels auf ihrer Deutschlandtour.
Die 2005 in Leeds gegründete Experimental-Rockband Vessels macht es dem Zuhörer nicht immer einfach. Live beeindruckt das Quintett mit wilden Sound-Tüfteleien, schrägen Takten und endlosen Loop-Schleifen. Gleichzeitig wechseln die Musiker untereinander immer wieder die Instrumente. Letztendlich steckt hinter all dem aber eine übergeordnete Struktur, wie die beiden bisherigen Studiowerke “White Fields and Open Devices” und “Helioscope” beweisen. Bassist Martin Teff und Gitarrist Lee Malcolm über einflussreiche Kollegen, verschränkte Arme und Jungs, die auf Pedale stehen.

motor.de: Euer zweites Album “Helioscope” wurde im Februar veröffentlicht. Wie sind die Reaktionen bisher ausgefallen?

Martin:
Das Feedback ist generell sehr positiv. Es scheint aber so zu sein, dass die Leute die Platte entweder total vergöttern, oder sie finden es ganz ok. Dazwischen gibt es nicht wirklich etwas.

motor.de: Was bedeutet der Titel “Helioscope”?


Lee:
Als wir unser Debüt in Minneapolis in Nordamerika aufgenommen hatten, war es gerade tiefster Winter dort. Überall lag Schnee. “Helioscope” nahmen wir hingegen in Dallas/Texas auf, da war es wirklich schweinisch warm. Wir wollten also einen Titel, der das irgendwie widerspiegelt. Außerdem steht der Titel auch dafür, dass wir uns ein wenig vom traditionellen Postrock wegbewegt haben. Eine Veränderung der Perspektive, wenn man so will.

motor.de: Wie haben die Leute hier bisher auf euch reagiert, was habt ihr für einen Eindruck von Deutschland?

Martin: Was die Shows angeht, ist Deutschland ein besserer Ort als England. Die Leute scheinen sich hier mehr mit unserer Musik auseinanderzusetzen. In England sind die Menschen irgendwie gesättigt, was Livemusik angeht.
Lee: Der Unterschied ist, dass die Leute in England sehr verwöhnt sind. Und das ist jetzt aber nicht nur ein Phänomen, was wir allein beobachten. Bei vielen Konzerten stehen die Leute mit verschränkten Armen da und wollen beeindruckt werden. Wahrscheinlich sind wir Engländer etwas reservierter als die Deutschen, die offener für Neues zu sein scheinen.

Vessels – “The Trap” (live at Abbey Lodge)

motor.de: Letztes Jahr habt ihr eine Tour mit Oceansize gemacht, die sich ja mittlerweile aufgelöst haben.

Martin:
Das war nicht unsere Schuld! (lacht)

motor.de: Na gut, dann wollen wir das mal glauben. War Oceansize eine Band, die euch inspiriert hat?


Martin:
Ich denke, Oceansize ist eine Band, die wir alle gut finden. Es gibt da sicherlich viele musikalische Gemeinsamkeiten. Außerdem schätzen wir sie als Menschen und Kollegen sehr. Aber ich würde nicht sagen, dass sie ein großer Einfluss für uns sind oder waren. Müsste ich Künstler aufzählen, die uns inspiriert haben, dann wären das eher Bands wie Battles oder Do Make Say Think.
Lee: Wir haben natürlich viele Einflüsse. Wenn einer von uns irgendwo etwas entdeckt, dann gefällt es in 90 Prozent der Fälle auch den anderen Bandkollegen. Deswegen haben wir es wohl auch so lange miteinander ausgehalten.

motor.de:
Postrock ist ja gerade sehr angesagt. Wie seht ihr eure Rolle in dem Genre?

Lee:
Postrock hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass sich die Leute für instrumentale Musik öffnen. Nicht, dass es nicht früher schon instrumentale Musik gegeben hätte, aber man hat als Band in dem Genre natürlich die Möglichkeit, viel mehr auszuprobieren. Und das ist es auch, was wir machen wollen. Wir wollen neue Wege finden, wie wir uns ausdrücken und unsere Musik weiter voranbringen können. Aber generell sehen wir uns nicht als Postrock-Band. Wir wollen einfach das tun, was wir tun und gut dabei sein.
Martin: Es gibt Bands wie Mogwai oder Godspeed You! Black Emperor, die das Genre in meinen Augen bereits ausdefiniert haben. Und irgendwann werden vier Akkorde, Delay und tonnenweise Reverb auch langweilig. Wir wollen als Band vermeiden, in solche Strukturen abzurutschen. Außerdem kann es niemand wirklich besser machen als Mogwai.

motor.de: Wie läuft denn bei euch das Songwriting?


Lee:
Ich schreibe viel Material zu Hause. Beim ersten Album haben wir noch viel gemeinsam gejammt, aufgenommen und wieder verworfen. Bei Helioscope habe ich dann einige Tracks komplett geschrieben und den Jungs präsentiert. Dann haben wir gemeinsam entschieden, was wir so machen und was nicht. So wurde die Sichtweise auf die Songs etwas objektiver und ich denke, das hat uns geholfen.

motor.de:
Live habt ihr immer eine Menge Effekt-Geräte dabei. Werden die alle wirklich gebraucht?

Martin:
Wenn wir das Zeug dabei hätten, um anzugeben, dann würden nur noch Kerle auf unsere Shows kommen, die Effekt-Pedale lieben und keine attraktiven Frauen mehr.
Lee: Nichts gegen Jungs, die auf Pedale stehen!
Martin: Nein, aber es ist so, dass wir wirklich alles davon benutzen, um verschiedenste Sounds zu erzeugen. Gerade die vielen Loop-Pedale sind wirklich nötig, um auch live das zu realisieren, was wir uns mit der Musik vorstellen.
Lee: Und dabei sieht es auch noch cool aus. (lacht)

motor.de:
Ihr kommt aus Leeds in England. Wie sieht es dort musikalisch aus in eurer Nachbarschaft?

Martin:
Die Szene in Leeds zeichnet sich vor allem durch viele kleinere Bands aus, die etwa auf unserem Level agieren. Es ist eine sehr produktive und gemeinschaftliche Atmosphäre, die da unter den Musikern herrscht, egal, was für Musik man macht. Außerdem gibt es einige sehr coole Locations. Empfehlen kann ich zum Beispiel These Monsters, eine aufstrebende Band. Deren Bassist ist der Fahrer auf unserer Tour. Außerdem gibt es in Leeds das Brew Records Label, wo unter anderem Kong sind.
Lee: Die Red Stars Pride sind auch gut, und die False Flags. Es herrscht wirklich eine gesunde Konkurrenz, gleichzeitig hilft man sich aber auch.

motor.de: Gibt es deutsche Künstler, die ihr mögt?

Lee:
Ich mag vor allem deutschen Techno. Chris Liebing, Sven Väth und Johannes Heil. Generell scheinen ja mittlerweile alle guten Techno-DJs in Berlin zu leben. Generell stehen wir alle sehr auf Techno. Das scheint das zu sein, was ihr Deutschen am besten könnt. (lacht)

Vessels – “A Hundred Times in Every Direction”

motor.de: Alle Engländer lieben Fußball. Wie sieht es damit bei euch aus?

Lee: Da gebe ich keinen fliegenden Furz drauf.
Martin: Da sprichst du mit der falschen Band. Ich mag es, Fußball zu spielen und ich schau mir auch mal ein Weltmeisterschaftsspiel an. Aber generell haben wir mit Fußball nichts am Hut, sind auch keine Fans oder so etwas. Ich glaube, unser Heimatverein Leeds United spielt mittlerweile auch sehr schlecht.

motor.de: Die Hochzeit von William und Kate war in Deutschland der Renner...

Martin:
Ich war sehr erfreut über die Hochzeit.
Lee: Das stimmt, ich habe ihn noch nie so erfreut gesehen, seit wir uns kennen.
Martin: Ich war wirklich sehr glücklich über die Hochzeit. Denn das bedeutete für mich, dass ich nicht auf Arbeit musste. Somit konnte ich den Großteil des Tages schlafen. Ich hab dann im Internet ein paar Bilder gesehen, hab mir die Hochzeit aber nicht angesehen.
Lee: Martin und Kate Middleton sind Facebook-Freunde!
Martin: In der Regel denke ich über ernstere und wichtigere Dinge nach. Ich finde es auch sehr befremdlich, dass die Deutschen so darauf abfahren. Ich habe auch von einem Freund hier gehört, dass er es mit den Kollegen auf Arbeit geschaut hat. Die Ironie ist dann, dass wir Engländer nicht auf Arbeit müssen, um die Hochzeit zu sehen, die Deutschen aber schon. Naja, die Monarchie ist eine überholte Institution, sie hat keinen wirklichen Sinn. Manche Leute mögen sie. Aber für mich ist das eine Verschwendung von Steuergeldern.

Interview: Anton Kostudis