Letztes Jahr war der Husumer Vierer noch mit Casper unterwegs, aber seit das vielbeachtete Debüt “Die Natur Greift An” erschien, kriegt das Quartett die Hallen auch allein voll. Für motor.de schreiben Vierkanttretlager ihre Eindrücke nieder. Heute: Potsdamer Shantys, Leipziger Folter und Nürnberger Spezialitäten.
Nach entbehrungsreichen Tagen mit zu viel Schlaf und zu gutem Essen, legt die alte Dame Vierkanttretlager wieder ab um einen kleinen Teil der Welt zu besegeln. Schön. Nun also Potsdam. Auf der Autofahrt machen wir uns mit einer Folge “Die coolen Kicker” warm. Die coolsten Kicker heißen Dirk und Detlef und sind zwölf. Der Autor war wohl lange nicht mehr für Recherche auf dem Bolzplatz. Dann tanken wir auf der verstecktesten Tankstelle Europas. Die Fahrt ist sonst ereignislos. Die Coolen Kicker dürften ihren Platz hoffentlich behalten, so ganz hat das niemand mehr aufgenommen. Die gute Fee, die uns das Hörspiel geschenkt hat, hat uns außerdem einen ganzen Sack voll mit Spiel, Spaß und Sport gepackt. Wir haben Freude und kauen Kaubonbons. Als wir in Potsdam angekommen sind will ich einen Crêpe kaufen. Ich begrüße die Verkäuferin mit einem herzlichen “Moin”, sie sieht mich fragend an und fragt ob ich gerade erst aufgestanden wäre.
Der Norden liegt schon hinter uns. Wir sind wieder auf Tour. Auf dem Weg zu unserem Potsdam-Veranstalter und Herzensfreund Pori Makkeroni, maskieren wir uns aus der Wundertüte als Schmetterlinge und Prinzessinnen. Als wir das Auto parken, bemerken wir, dass wir nun maskiert vor einer Bankfiliale stehen. Wir hoffen noch schnell nicht von eifrigen Passanten für Bankräuber gehalten zu werden und verschwinden. Wir sitzen bei Pori und gucken uns Boning und Dittrich im Internet an, während Pori versucht zu arbeiten. Wir trinken Kaffee, danach Eistee und fahren zum Waschhaus. Dort wartet eine nette englische Band auf uns. Vor unserem Konzert gehen wir ans Wasser. Es ist ein schönes Wasser, auch wenn wir uns nicht ganz sicher sind wozu es gehört. Ein kleines Boot hat am Steg festgemacht und seine alte Bestimmung aufgegeben, um ab jetzt eine Kneipe zu sein. Wir hören ein Akkordeon und sieben Stimmen. Wir schleichen die Stufen zum Unterdeck hinunter und sehen tatsächlich sieben amtliche Herren, die um einen Tisch sitzen, auf dem Bier und Salzstangen stehen – dazwischen Muscheln. Sie singen, wir setzen uns in respektvollem Abstand und hören zu. Sie sparen nicht an Gassenhauern und scheinen auch immer mehr und mehr Freude daran zu haben ihr Publikum zu unterhalten. Wir trinken glücklich daneben. “Mein Zuhause ist die See” singen sie alle. Man will es ihnen fast glauben. Wir grüßen seemännisch und gehen mit einer tiefen Verbeugung vor den Shantyqualitäten Brandenburgs. Im Waschhaus ist es heiß und voll, uns gelingt ein schöner Einstand in den Touralltag. Der Rest des Abends verschwimmt wüst zwischen Lippenstiftgemälden und Importmexikaner. Dann eine Fanta an der Tankstelle, eine Wärmflasche und Tiefschlaf.
Reichlich früh beginnt der nächste Tag. Den Seeblick unseres Zimmers können wir nur genießen, während wir uns hastig die Socken überstreifen. Das Frühstück findet im urigen Wintergarten unserer Pension statt. An der Wand hängen Blitzerfotos des Wirts, der schenkt uns widerwillig Kaffee ein und versteckt die Kanne dann wieder hinter seinem Rücken. Der Tag genügt seinen Vorzeichen. Sofort regnet es, wir stehen im Stau. Mit letzten Kräften stürmen wir nass das Radiogebäude in Leipzig. Weil wir unser erstes Frühstück vergessen habe, nehmen wir ein zweites ein, was fast so gut schmeckt wie es kostet. Eigentlich sind das nur Brötchen mit Loch. An die Wand unseres Hotelzimmers hat jemand mit fragwürdigem Geschmack eine Frau mit flammenden Haaren und schwarzer Lack Garderobe gemalt. Ihr gegenüber hängt ein Petruskreuz mit Fesselgelegenheiten. Wir sind ein wenig verstört, auch als die nette Dame am Schalter sagt, sie könne uns bei Bedarf auch die zugehörigen Fesseln leihen. Da verschwinden wir, suchen unser Heil im Club, finden es dort auch nicht. Man hat uns später erwartet, die Anlage sei noch nicht eingebaut. In den nächsten Stunden ein großes Warten und Durcheinander. Zur besänftigung gibt es Pizza vom Partyfuchs, die so schwer ist, dass man sie in drei Gängen essen muss um Bewegungsfähig zu bleiben. Als wir spielen machen sich die 8 Stunden bemerkbar, die wir nicht geschlafen haben. Vieles gelingt uns, manches nicht. Wir haben Besuch von Exilhusumern, die uns von einer Diskothek erzählen in der man sich ein Zimmer nehmen und Geld abheben kann. Wir sind begeistert, vertagen den Besuch aber. Vielleicht bald also Cluburlaub. Wir schlafen tief in der Folterkammer.
Unsere Energien dürfen heute nicht vor die Tür.
In einem fein-fränkischen Hotel liegen wir im Bett und essen Bali Hot Nuts, eigentlich nur Erdnüsse mit Maggi, und Schokoladenkuchen aus dem Schraubglas. Dazu sehen wir internationalen Frauen beim Gewichtheben zu. Als die Deutsche an der Reihe ist, schlägt ihr Trainer ihr mit beiden Händen auf die Ohren. Wir bekommen Angst. Sie schreit, als sie die Bühne betritt, als sie sich die Hand bricht verzieht sie keine Miene. Vier Türkische Hanteljungen stellen sich vor sie und trippeln hin und her um die Kamerasicht auf die gefallene Heldin zu verdecken. Während eine Französin ihr Körpergewicht plus 20 für 3 Sekunden über ihrem Kopf hält, weint die Deutsche am Rand. Wir sind uns sicher, dass es nicht wegen den Schmerzen ist. Wir bekommen ein wenig mehr Angst. Frank der Weddingplaner war auch mal glamouröser, ein obdachloses RTL-Mädchen hat blütenweiße Markenschuhe. Vom Hotel zur Konzertstätte sind es zu Fuß weniger als 35 Sekunden, was für die Nacht verheißungsvoll und für uns gefährlich ist. Es gibt Hot Dogs aus Weingummi. Später essen wir Sushi beim Thailänder. Es ist gut. Wir warten, bis einer den “Tinte auf dem Füller”-Satz sagt und lachen ein bisschen zwischen den Wasabitränen. So ausgeschlafen und wohlgenährt haben wir wohl selten gespielt, wir sind froh, die anderen auch. An dieser Stelle möchte ich eine Dame vom Radio grüßen. Hallo, schöne Frau, Sie haben recht: scheinbar trinken wir sehr viel. Kein Grund zur Sorge aber, es gibt hier nämlich extra für uns Flensburger Pilsener und Friesengeist. Eine schöne Feier, wir betanzen all unsere tanzflurrelevanten Freunde. Vor dem Schlafen noch ein schlechtes Börek. Richtig, heute schreibe ich nur vom Essen, Trinken und Fernsehen. Ein guter Tag.
Euer Leif
Eure Vierkanttretlager
Den ersten Teil des Tour-Tagebuchs lest ihr »hier.
(Foto: Unter Schafen Records)
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