Akustikgitarren anstatt fetter Beats und gediegene Garderobe an Stelle von Hoodies und breiten Hosen: die deutsche Hip Hop Szene wird erwachsen – und sagt dem Rap “Lebe wohl”.

Das Jahr 2009 steht musikalisch gesehen für Elektropop und Supergroups, für ein Anhalten des 80er Revivals und noch mehr Indiepop verkleidet in Röhrenjeans und Emo-Frisur. Es steht aber auch für das immer weiter fortschreitende Aussterben der deutschen Hip Hop Szene – kreative Köpfe und früher ausschließlich auf Jams und Rap Sessions anzutreffende Künstler wie Max Herre, Jan Delay oder auch Clueso haben sich musikalisch weiterentwickelt – (für viele bedauerlicherweise) in eine völlig andere Richtung. Besonders beliebt scheint dabei das klassische Songwriting mit Gitarre zu sein.

Der Jüngste hat es allen vorgemacht – und damit auch den meisten Erfolg. Clueso wendete sich jedoch schon eher vom Hip Hop ab. Nur Wenige kennen den Erfurter noch aus dem reinen “two turntables and a microphone” Bereich. Schon auf der ersten Platte waren gesungene Refrains fester Bestandteil der Songs, zum Rap kam der inzwischen 29-jährige ohnehin nur durch sein Umfeld. Trotzdem ist er immer noch Teil der Szene und tritt des Öfteren mit Fanta 4, Flowin Immo oder Blumentopf auf. Seine Leidenschaft gehört aber dem Gesang: „Ich habe einfach mehr gesungen, weil es mir am Herzen lag.“ – Was bei Clueso absolut glaubhaft ist und durchweg natürlich wirkt, scheint bei vielen anderen eher unverständlich und vor allem eher erfolgschädigend als -bringend.

„Ich will nur, dass ihr wisst, dass ich mein Bestes geb, denn Rap ist mein Talent und meine Identität“ (Erste Schritte) Inzwischen hat Max Herre noch ein anderes Talent entdeckt und sich somit eine neue Identität erschaffen – nämlich die des Frauenherzen brechenden Singer/Songwriters, der mit Akustikgitarre, Schal und charmantem Lächeln an Stelle von kreativen Rhymes, Muskelshirt und Augenzwinkern überzeugt. Denn dass er immer noch einer der besten deutschen Musiker ist, hat er mit seinem zweiten Soloalbum „Ein Geschenkter Tag“, auf dem er sich ausschließlich auf das Songwriting beruft und sich komplett vom Hip Hop verabschiedet, gezeigt. Max Herre ist der neue King vom Prenzlauer Berg – entgegen seinem gleichnamigen Song aber ganz ohne ironischen Beigeschmack. Seine ersten Schritte ist der Stuttgarter vor über 10 Jahren mit „Quadratur des Kreises“ und seinem Freundeskreis gegangen – im Jahr 2009 jedoch zeigt sich Max Herre sehr erwachsen und reflektiert. Der Weg vom Rapper zum Sänger hat sich schon früher herauskristallisiert, wie er auch selbst betont: „’A-N-N-A’ ist ein richtiger Song, ‘Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte’ auch. Das sind Folk-Samples, die eine ganz klare Instrumentierung haben. Da gibt es dann auch keinen richtigen Bruch für mich, was zeigt, dass das alles nicht so weit voneinander entfernt ist.“ Max Herre gehört also immer noch zu den Guten: egal ob Beat oder Akkord – „Mit Dir steht die Zeit still“.

Auch Jan Delay hat einen Weg gefunden, den Genrewechsel nicht mit einem peinlichen Flopp, sondern mit Stil zu vollziehen. Den Hamburger findet man schon seit einigen Jahren eher als Frontmann der Funk-Band Disko No. 1 anstatt hinter/vor/neben dem DJ-Pult wieder. Schick – mit Hut und Anzug – hat auch der ehemalige Beginner ähnlich wie Max Herre eine stilistische Wandlung vollzogen. Vielleicht könnte man also wirklich behaupten, sie seien erwachsen geworden. Ohne Hip Hop. Mit tatkräftiger Unterstützung von seiner Band und den drei Background Sängerinnen, die immer dabei sind, hat Delay mit „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ ein wenn schon nicht stimmlich nicht jedermanns Sache, so doch durchaus funkiges und tanzbares Album geschaffen.

Jan Delay – Oh Jonny
Die Kunst kann auch einfach darin liegen, Schwächen zu erkennen und vor allem anzuerkennen und diese dann so gut wie möglich zu überspielen – das jedenfalls hat der Hamburger erreicht, und wird so z.B. von Deichkinds Henning schon als Leader im Bereich des deutschen Funk angesehen:„In Deutschland ist die Poplandschaft relativ dünn besiedelt. Da ist es schnell sehr einfach sich ein breites Feld abzustecken, wie es Jan Delay gemacht hat. Der ist der Platzhirsch in dieser Art von Musik, und das wird ihm die nächsten zehn Jahre keiner streitig machen. Von daher ist das auch nachzuvollziehen und wenn es musikalisch seinem Ding entspricht, ist das recht schlau.“

Auch Deichkind selbst haben beim Hip Hop angefangen, wollen laut eigener Aussage jedoch nicht auf der Stelle treten: „Man kann sich nicht immer wiederholen, damit erreicht man keine Leute und hat auch keinen Spaß. Und man wird auch erwachsener, hat andere Erfahrungen, lernt dazu, hat neue Interessen. Deshalb ist es auch richtig, neue Wege zu gehen und nicht einem Klischee zu entsprechen, sondern einfach man selbst zu sein. Das muss man tun, wenn man sich als Band etablieren will. (…) Die Deutsch-Rap Szene ist einfach nur nachgemacht, und deshalb wollten wir nach fünf Jahren auch anders klingen und nicht nur nach den Amis. Wir hatten ganz viele andere Einflüsse, und das wollten wir auch zeigen“, so Philipp im Interview. Etabliert haben sich Deichkind ebenso wie Jan Delay auf einem ganz neuen Markt – mit ihrer Electric Super Dance Band sind sie in dem Maßstab Vorreiter der auf Electro-Pop gebauten Reimkultur.

Deichkind – Arbeit Nervt
Leider funktionieren die Experimente nicht für alle deutschen HipHopper. Denyo von den Beginnern beispielsweise wäre definitiv besser beim Rap geblieben. Bzw. ist es Denyo auch – das neue Ich kommt ja ganz bürgerlich: Dennis Lisk. Sein Debüt „Suchen & Finden“ legt die Anmerkung nahe, dass der Hamburger lieber weiter suchen sollte, denn gefunden hat er mit dem Singen nicht unbedingt das, was man als gute Musik bezeichnen könnte. Langweiliger Pop und eine eher mittelmäßige Stimme – im Gegensatz zu früheren Glanztaten wie „Füchse“, „Rock On“ oder „Fäule“ wirklich eine Qual. Bitte Dennis Lisk – „Lass los!“

Ähnliches gilt für Samy Deluxe – der ebenfalls aus Hamburg stammende Rapper floppte mit seinen plötzlichen Gesangseinlagen mindestens genauso, wenigstens behielt der aber seinen Namen und ändert auch die Art zu sprechen nicht – ein einziger Brei ohne Trennung von Worten oder anständiger Betonung: „is ja ganz normal dass die Leute nich verstehen was wir sagen.“ (Bis die Sonne raus kommt) – Stimmt. Den harten Rapper mit Cornrows hat man ihm aber ganz im Gegensatz zum Intellektuellen mit Pferdeschwanz und Brille wenigstens abgekauft. Einziger Hoffnungstropfen im Deluxe’chen Wermutsglas 2009 war sein immer noch überzeugender Freestyle-Einsatz beim Splash-Festival. Dementsprechend sollte Samy wider seinem mild-gereiften Sound des letzten Albums mehr vom eigentlichen Biss und Talent zum Besten geben.

Samy Deluxe – Dis wo ich herkomm
Dass es auch anders geht, zeigen Rapper wie Blumentopf – sie versorgen die deutsche Hip Hop Szene weiterhin mit intelligenten Reimen und haben mit Songwriting genauso wenig zu tun, wie mit Gangsta-Rap. Erfolgreich sind sie damit nach wie vor. Und was halten sie selbst von den Veränderungen?
Schu: [Ensetzt] „Ich finde das unmöglich! Das ist das schlimmste! Leute, die mit Rap anfangen müssen bis ins hohe Rentenalter Rap machen! Das ist unmöglich, wenn Leute sich denken, dass sie da was anderes machen können [lacht]! Nein, ich hoffe man hat die Ironie rausgehört! Jeder soll das machen, worauf er Bock hat! Ich bin jetzt auch schon alt genug um nicht mehr ganz genau eine Gruppe zu brauchen, mit der man sich identifizieren kann. Ich muss nicht sagen ‘Ich bin nur Rapper’ oder ‘Ich bin nur Metaler’. Es ist doch cool wenn das alles aufbricht, es wäre Schwachsinn, da irgend eine Grenze aufzustellen. Ich finde es schön zu sehen, wie sich die Leute entwickeln. Zum Beispiel bei Clueso oder auch bei Deichkind.“

Auch von der These Textors, der letztes Jahr mit Kinderzimmer Productions sein Abschiedskonzert gegeben hat, halten die Töpfe nicht viel. Ihm nach habe (vor allem deutscher) Hip Hop keinen Weg gefunden, sich sinnvoll weiter zu entwickeln, zu reifen – ein Grund, weshalb sich viele Musiker im Laufe der Zeit einem anderen Genre zuwenden (das komplette Interview mit Textor gibt es »hier). Roger ist hingegen davon überzeugt, dass die Hip Hop Kultur mit den Künstlern erwachsen wird: „Die Fantas sind doch ein gutes Beispiel! Die Musik ist eben so jung, dass die Leute jetzt erst anfangen alt zu werden. Hip Hop gibt es eben noch keine 40 Jahre. Das, was in den Medien groß ist, Battle-Rap oder ähnliches, will ich natürlich nicht unbedingt von einem 45jährigen hören. Aber wenn es einfach Hip Hop ist, das heißt rhythmisch gesprochenen Texte über einen Beat, dann kann man das lange machen. Es kommt darauf an, wie ehrlich oder interessant man das macht. Beim Rock n’ Roll hat auch niemand gedacht, dass man das über 25 noch machen kann, weil man dann sowieso an einer Überdosis stirbt. Wenn Max Herre also in zehn Jahren wieder ein Rapalbum macht, kann das sicher sehr erwachsen sein. Die Zeit wird das zeigen.“

Blumentopf – Horst
Die Akzeptanz von Hip Hop nicht nur als Jugenkultur wird also in Zukunft eine große Rolle spielen.
„Hip Hop ist einfach irgendwie was Jugendliches, was Verrücktes und wenn man ehrlich ist auch ein bisschen schwachsinnig [lacht]. Aber wenn man das Image, für das Rap jetzt steht, mal nicht mehr so Ernst nimmt, wird das auch später noch funktionieren“, so Kung Schu weiter. Blumentopf haben mit ihrer kürzlich beendeten Freestyle Tour auf anspruchsvolle Art und Weise gezeigt, dass deutscher Hip Hop nicht nur eine schlechte Kopie des amerikanischen Vorbilds sein muss. Der Wunsch nach mehr gutem deutschen Rap ist immer noch da – große Erwartungen liegen also auch auf dem neuen Album der Münchner, welches im nächsten Jahr erscheinen soll.

Ein anderes Beispiel derer, die dem Hip Hop treu geblieben sind, ist die Dortmunder Formation Too Strong. Mit dem Titel ihres aktuellen Albums liefern sie außerdem das richtige Motto: „Rap Music Is Life Music“. In diesem Jahr feierte die Band 20-jähriges Bestehen – ein Ende ist nicht abzusehen.

Viel Grund für Optimismus hat man derzeit in der Szene nicht – Xavier Naidoo, der selbst nicht rappt, jedoch Zeit Lebens im Hip Hop Umfeld arbeitet, meint trotzdem: „Es wird definitiv Hip Hop Opas geben!“ Für die Zukunft bleibt also nur zu hoffen, dass die intelligente deutsche Rap-Szene jenseits von Aggro Berlin nicht vollkommen ausstirbt und vielleicht einige der Genannten wieder zum Hip Hop zurück finden. Vielleicht eine FK 20 Reunion in 2017? Bis dahin gehen wir in die Retrospektive und legen unsere Ohren auf die Schiene der Geschichte…

Juliane Sondermeyer

Freundeskreis – Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte