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Categories: Kinokolumne

Von Ekel und Erkenntnis.

(Foto: Majestic Filmverleih)

Da sitze ich an einem schönen Sommertag bei Pils und Pizza in einem Biergarten und genieße die Sonne, als mein Handy über den Tisch vibriert. Am anderen Ende mein Chefredakteur. „Neuer Themenvorschlag: Feuchtgebiete, kommt bald in die Kinos, kennst du auch, mach das mal.“ In all meiner Wonne stimme ich zu und erquicke mich weiterhin am wohl verdienten Feierabend. Erst nach dem dritten Humpen dann die Frage: Feuchtgebiete? Das war doch hier mit Ekelsex, Schleimdetails und Roche und so. Widerlich. Doch alles sollte noch schlimmer kommen. 

Um es gleich vorweg zu nehmen, ich bin keine Frau die unter einem Männernamen schreibt. Ich bin ein Mann, mit Monstertrucks und Fitnessstudio und Bier und so. Ich habe das Buch nicht gelesen und bin kein Arzt für untenrum – ich bin sozusagen der unbefangendste Kritiker dieses republikzermürbenden Buches, welches nun  tatsächlich in die Kinos kommt. Und zwar heute. Inhaltlich muss den Meisten von euch wohl wenig erzählt werden. 

Roches Hauptfigur ist die junge Helen Memel, die in einer der unzähligen Promomails im Vorfeld der Veröffentlichung mit den folgenden Worten beschrieben wird: „Sie experimentiert beim Masturbieren gern mit Gemüse. Körperhygiene ist ihrer Ansicht nach weit überschätzt. Sie provoziert ihre Umwelt, indem sie ganz unmädchenhaft ausspricht, was andere nicht einmal zu denken wagen: Das ist Helen Memel!“
Klingt bis auf die Sache mit der Hygiene doch erst mal ganz gut. Dennoch scheint diese Geschichte rund um Helens Verletzung bei einer Intimrasur und der damit verbundene Krankenhausaufenthalt einen gesellschaftlichen Skandal darüber ausgelöst zu haben, wie weit (geschriebene) Kunst gehen darf und wie nah sich Roche tatsächlich an die Realität hält. Selbst die FAZ fragte sich vor gut vier Jahren: ist das nun der neue Feminismus oder sexistische Ekelpopliteratur? Und wenn nicht mal die Kollegen vom Fach diese Frage beantworten können, kann ich das dann?


(Foto: Majestic Filmverleih)

Feuchtgebiete, zumindest Buch und Film, sind für mich also ein unbeschriebenes Blatt. Dennoch kommt man um die Diskussion nicht herum, ob den alle Frauen nun plötzlich Hämorrhoiden haben, sich nicht waschen, Worte wie Muschisaft in den Mund nehmen und Fremde mit ihrem Würgereiz-Problem beim Blasen konfrontieren. In meinem männlichen Freundeskreis war schnell klar: so schlimm wie bei Roche ist das nicht, aber feengleiche Engel sind Frauen eben auch nur bis zur hauseigenen Türschwelle. Und dann wird die Frau eben wieder zum Mensch – und der ist bekanntlich bequem und auch mal schmuddelig. So die männliche Theorie. Wir waren stolz auf uns. Das hatten wir recht passabel eingeschätzt. Prost. 

Nachdem der Zauber des Belohnungsbieres jedoch verflogen war, stellte mich die einseitige männliche Sicht auf den „Fall Feuchtgebiete“ – wie ab sofort der Arbeitstitel lautete – nicht zufrieden. Ich musste an Insiderinformationen ran kommen. Da ich mir den Hausfrieden bewahren wollte und investigativer Journalismus vor meiner eigenen Badezimmertür halt machen muss, schied meine Freundin als Quelle der Information kategorisch aus. Und so musste ich die Strategie ändern: keine direkten Informationen von einer Frau, sondern taktisches Zuhören und Aussieben von potenziell wichtigen Infos während eines ganzen (!) Gespräches zwischen oder mit verschiedenen Frauen. Ein möglicherweise unmögliches Unterfangen – aber machbar, dachte ich.


​(Foto: Peter Hartwig/ Majestic)

Die Ergebnisse waren verstörend. Während eines Konzerts benutzte ich eine der Damen-Dixi-Toiletten – ein großer Fehler. Lautstark floskelten die beiden Mädchen in den Kabinen rechts und links neben mir über die Beschaffenheit ihrer Kackwürste (Wortlaut!), den Füllgrad ihrer Tampons und den Zustand ihrer Innereien. Wo war ich? Auf dem Männerklo? Im BigBrother-Container mit Zlatko? Unglaubliche Szenen spielten sich ab. Perplex verließ ich den Kasten und wartete auf die beiden Stimmen – zu groß war die Neugier, was für Frauen sich hinter solchen Aussagen verbergen würden. Dann, wie bei der Mini-Playback-Show mit Marijke Amado, die Verwandlung in der Zauberkugel: zwei bildhübsche, gutaussehende junge Frauen, vielleicht Mitte zwanzig, dezentes Makeup, offenes Haar. Feengleich. Jetzt zumindest. Meine Welt war verschoben, da kann man schon mal Kopfschmerzen bekommen. 

Kurz darauf war ich auf einer schlechtbesuchten Party, ich war wohl zu früh da, oder zu spät. Alle waren stramm wie zwölf Seemänner und tummelten sich mehr schleppend als tanzend im Wohnzimmer. Ich setzte mich auf den Küchenbalkon um in Ruhe zu rauchen, da betreten drei Frauen die Küche und lassen sich am Tisch nieder. Keine bemerkt mich. Perfekt. 
Nein, nicht perfekt. Im Anschluss war ich schweigender Zeuge eines zwanzigminütigen Vortrags über die Beschaffenheit des Muschischleims (Wortlaut!) vor, bei und während der Periode, lauschte dem Nachahmen des Klangs des ploppenden Geräuschs, wenn sich beim Herausziehen des Tampons das schon etwas fester gewordene Blut löst und in die Keramik ergießt und weiß nun, das anscheinend nicht wenige Frauen auf das Ausdrücken von maximal großen Pickeln auf den Rücken ihrer Lebensgefährten stehen. Die beschämenden Blicke eines vorzeitigen Rückzugs wollte ich mir nicht antun, und so blieb ich. Bis zum bitteren Ende. 

Nach weiteren, jedoch weniger gehirnbetäubenden Erkenntnissen über den Ekelfaktor Frau erklärte ich mein Streben nach Erleuchtung und Wissen für beendet. Aufschlussreich war es allemal, verstörend sowieso. Aber was hat mir das nun zum Thema „Feuchtgebiete“ zu sagen? Feminismus? Popkultur? Was wollte uns die Autorin damit sagen? Charlotte Roche hat, und das wird wohl auch im Film deutlich, eine Grenze (bewusst) überschritten, um anzuecken. In Carla Juri fand Regisseur Wnendt eine passende Besetzung, der Film hat laut ersten Preview-Zuschauermeinungen wohl genau das, was auch das Buch ausgemacht hat: Spaltungspotenzial.

Wie viel Wahrheit nun im Ekel, Muschisaft, Fäkaljargon und Hämmorrhoidenslang steckt, ist trotz meiner Erfahrungen an der Ekelfront nicht abschließend zu klären – denn eins ist klar: so entwaffnend ehrlich wie Helen Memel sind Frauen im echten Leben allenfalls auf Toiletten oder dann, wenn keiner zuhört. Ich habe also gelernt zuzuhören und trotz dem Diktat der „Feuchtgebiete“-Ära Frauen als feengleich zu sehen. Das beruhigt ungemein. Sobald ich mich erholt habe, gehe ich ins Kino. Vielleicht. Und gucke „Pain & Gain“ mit Wahlberg und Johnson. Knarren, Explosion, knallharte Gespräche. Was für Männer eben. 

Julian Weicht

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