Theoretisch könnten wir hier bei Motor alle längst Millionäre sein. Zusammen mit dem Designer Schwabel hatten unsere Kollegen von motor.de in Leipzig nämlich schon vor fast einem Jahrzehnt eine virtuelle Community an den Start gebracht. Motrocity hieß sie (nachdem wir vom Besitzer von Motorcity.de abgemahnt worden waren) und flashbasiert zuckelten dort Fans mit ihren Avataren durch künstliche Welten.
Ziemlich schnell waren es derer 21.000 und für mehr gab der Server und das Programm beim besten Willen nichts mehr her. Sie bezogen Wohnungen in Etagen, die den jeweiligen Fangruppen zugeordnet waren, zogen dort ihre virtuellen Haustiere groß und richteten sich mit Punkten, die sie mit Aktionen und durch Präsenz erwerben konnten, häuslich ein. Die künstliche Kneipe wurde zum Chatroom, das Kino zur Abspielstätte von Videoclips und Konzertmitschnitten.
Alle hatten ihren Spaß außer der Buchhalter bei Motor. Weder ließ sich die Flash-Programmierung wirklich aktualisieren oder gar erweitern (und deshalb nicht skalieren), noch konnte man den Traffic monetarisieren. In einer Zeit da die ersten Marken vor fünf Jahren verstanden, wie wichtig Banner für sie im Internet werden könnten, waren sie mental bei Werbung innerhalb künstlicher Welten noch lange nicht angekommen. Nur Amazon sah ein, dass hier auch ein Plattenladen von ihnen betrieben Sinn machen könnte. Der Rest der monatlichen Kosten von circa 3.500 Euro blieb schlichtweg ungedeckt.
Kurz bevor Second life ein Hype wurde, gaben wir auf und schalteten Motrocity ab. Uwe Schmidt, der Mann, der das für motor.de zu verantworten hatte, wurde schnell zu einem der bestgehassten Personen im Worldwide Web.
Besonders als er versuchte den ehemaligen Motrocity Jüngern die Funktionalitäten der Motor Community als adäquaten Ersatz zu verkaufen, drohte Lynchjustitz. Das ist bis heute in einigen Motorblogbeiträgen nachzulesen.
Die berechtigte Frage einiger User war, wieso die Abschaltung von heute auf morgen und ohne Vorwarnung geschah. Einige meinten, auf diesem Weg hätte man vorher diskutieren und Lösungsmöglichkeiten wie Bezahlmodelle finden können. Theoretisch hätte ja pro Person ein Beitrag von 2.-Euro im Jahr gereicht. Die Zahl hätte sich jedoch schnell verfünffacht, denn viele User lagen in ihren Wohnungen auch als Speicherplatzblockierende Karteileichen rum und wären sicher nicht als zahlende Unterstützer aktivierbar gewesen.
Bei Second Life zahlt auch keiner, aber dank der sich dort tummelnden Journalisten entdeckte es die Konsumgüterindustrie. Aber auch diese merkten, dass sich dort eigentlich nur „Journalisten und andere Perverse“ (Zitat eines Coke Managers auf einem Panel) herumtreiben und das, was Second Life ausmacht ist heutzutage sicher eher der hochspekulative, immer noch auf den Nachwehen des Hypes beruhende, Firmenwert. Der hätte uns für Motrocity aber schon völlig gereicht …
Die Stärke von Motrocity war, die Realität von Fans virtuell abzubilden und bespielbar zu machen. Die Schwäche von second Life ist, eine weitere Wirklichkeit für Menschen zu schaffen die mit der eigentlichen Realität bereits hadern. Twinity (www.twinity.de), ein neues Angebot aus Berlin, geht da eher den Motrocity-Weg und deshalb gehen wir da mit. Die Idee der Firma Metaversum ist, dort reale Städte als virtuelle Räume anzubieten. Sie fangen mit einer der spannendsten an: Berlin! Die Katasterdaten der Stadt wurden eingelesen die Gebäude nachgebaut. Mit Avataren lässt sich die reale Welt virtuell erleben. Wenn ihr die Motor Offices besucht, findet ihr mein Büro gleich links. Die Bilder an der Wand sind echt und der Schreibtisch steht genau dort, wo ich jetzt diesen Blog verfasse.
Natürlich gibt es auch eine Metaebene und die ist genau dort, wo sonst die Redaktion von Motor FM sitzt. Hier haben die Entwickler mit unserem Segen einen Club eingebaut. Wenn ihr euren Avatar fliegen lasst, seht ihr, dass er sogar in Form des Motorzeichens geschnitten ist. Ein Traum ist hier bereits virtuelle Realität geworden. Als eine der ersten Firmen, die hier mitmachen, fühlen wir uns nicht mehr ganz so schlecht dafür, dass wir Motrocity abgeschaltet haben. Aber doof war das dennoch, da gibt es keine zwei Meinungen…
Euer Tim
[…] auf die Idee kommt, eine (unsere) Website zu launchen und Anfang der 2000er die dazu passende avatarbasierte virtual community supported, muss ein gutes Händchen für kulturellen Fortschritt […]