Brian Lane, Drummer der Band Brand New, dagegen wirkt hochvergnügt als wir ihn an einem – Verzeihung – arschkalten Samstagnachmittag vor dem Abschlusskonzert der gemeinsamen Tour mit Dashboard Confessional in der Tsongas Arena in Lowell, Massachusetts besuchen. Keine Spur von Depression auf seinem Gesicht. Und sowas will Rock-Star sein? “Ich glaube, einige unserer Fans wären enttäuscht, wenn sie sehen würden, dass wir eigentlich total langweilige Typen sind”, glaubt Lane. Von aufgeschlitzten Unterarmen oder Anzeichen übermäßigen Drogenkonsums keine Spur – ebensowenig von Liebeskummer, nicht erwiderter Zuneigung oder was man normalerweise sonst so braucht, um seine jugendliche Wut musikalisch angemessen ausleben zu können. Mutter und Vater Lane sind sogar eigens angereist, um Sohnemann an seinem großen Tag live aus dem Publikum zuwinken zu können. Nix mit Alkoholikereltern oder dergleichen. “Wir alle stehen unseren Familien sehr nahe. Dass sie so stolz und glücklich sind, ist das Größte für mich!”
Der Inhalt der Songs lässt ein ziemlich anderes Bild entstehen: “I was losing all my friends / Was losing some to drinking and some to driving / I was losing all my friends / And didn’t want them back”, so die erste Strophe von ‘Degausser’, einem der stärksten Songs auf ‘The Devil And God Are Raging Inside Me’, dem nunmehr dritten Album nach ‘Your Favorite Weapon’ und ‘Deja Entendu’.
Der Song entstand allerdings nicht auf einem Hochhausdach kurz vor dem Sprung, sondern ist vielmehr die Zusammenfassung einer anderthalbstündigen Jam-Session, die Gitarrist Vin Accardi mitgeschnitten hatte. “Keine Ahnung, was ‘Degausser’ bedeutet. Jesse (Jesse Lacey, Sänger und Gitarrist der Band) hat den Song so genannt und ich hab’s auch nicht im Wörterbuch gefunden…”
Nur so viel zum Interesse der Jungs am dramatischen Auftritt. Tatsächlich hat man mit Brian Lane einen äußerst höflichen und unterhaltsamen Gesprächspartner vor sich, der aber auch immer ein wenig den Eindruck eines unbedarften Jungen erweckt, der direkt aus dem Hause seiner Eltern geschlufft auf große Reise geschickt wurde. So groß wie die Reise seit der aktuellen Tour diesen Jahres wird, war sie allerdings noch nie: “Ich war noch nie in Europa! Wir freuen uns tierisch darauf!”, sagt der 25-Jährige und fügt ein wenig verlegen hinzu: “Mir wird immer wieder bewusst, dass ich eigentlich nie richtig aus New York rausgekommen bin und mal an einem anderen Ort gelebt hätte.”
Auch die Bandgeschichte spielte sich von Anfang an, an diesem Fleck ab. Verfolgen wir sie kurz ab dem zwölften Lebensjahr des kleinen Brians: “Ich bin überhaupt nicht in einer musikalischen Familie aufgewachsen. Bei uns im Haus stand immer ein Klavier herum, mit dem meine Oma sich die Zeit vertrieben hat. Ich hatte eine zeitlang Unterricht und habe es gehasst – wie wohl die meisten Kinder. Rückblickend bin ich froh, weil ich Noten lesen gelernt hab und das in gewisser Weise der Grundstein dafür war, dass ich mich überhaupt mit Musik auseinandergesetzt habe. Ich hörte also auf, was dann zur Folge hatte, dass meine Eltern immer, wenn ich mir gewünscht habe, ein anderes Instrument zu lernen, nur gesagt haben: ‘Ach, das ist doch nur wieder eine Phase..:’
Ich habe dann doch Schlagzeug-Unterricht ein wenig außerhalb genommen und dort habe ich dann auch Jesse, Vin und Garrett (Tierney, Bassist) kennen gelernt, die alle in einer anderen Stadt als ich aufgewachsen sind, und das war’s dann. Wir fingen an, miteinander abzuhängen und so ging alles los. Da ist keine große Story, die ich jetzt zum Besten geben könnte. Es geht nur darum, dass wir gerne unsere Instrumente spielen und Musik machen wollen. Ich wünschte, ich könnte jetzt etwas Cooleres erzählen, aber so ist es nun mal gewesen! Wir haben oft das Gefühl, in Interviews falsch dargestellt zu werden.” Einer der Gründe dafür, dass vor dem Release von ‘The Devil And God Are Raging Inside Me’ sehr wenig an Informationen über das neue Album nach außen gebracht wurde. “Wir wollten, dass die Musik für sich selbst steht. Außerdem waren wir sehr nervös, wie das Album ankommen würde. Das Ganze hat ehrlich gesagt viel besser geklappt als gedacht. Insgesamt haben wir so 30 bis 40 Songs geschrieben. Als wir dann endlich soweit waren, einige davon aufzunehmen, sind neun Demos irgendwie ins Internet geraten. Eine ziemlich komische Mischung von Songs, einige davon nur von Jesse in einem Badezimmer eingespielt. Unter diesen Umständen wollten wir die Demos nicht mehr auf dem Album und hatten gleichzeitig Angst, dass die neuen Sachen nicht so gut werden würden. Jetzt sind wir aber sehr glücklich mit dem Endergebnis!”
Für das Cover ist der New Yorker Fotograf Nicholas Prior verantwortlich. Das Foto existierte bereits, obwohl es perfekt auf den Albumtitel abgestimmt scheint, der auf ein Gespräch Jesses mit einem schizophrenen Freund anspielt. Die Band entdeckte es auf einer Ausstellung Priors, man stellte fest, dass es sich dabei um das perfekte Albumcover handeln würde und die Sache war geritzt.
Nach der langen Wartezeit auf den dritten Langspieler scheint der Band plötzlich alles leicht – und zuzufallen: Nicht viele können von sich behaupten, zusammen mit Dashboard Confessional im ausverkauften Madison Square Garden gespielt zu haben. Kaum vorzustellen, was für eine Sause das in Europa wäre, wo keine unsäglichen Security-Mitarbeiter jeden anbellen, der seine Hand zu hoch streckt. Aber so ist das nun mal, im fürchterlichen, großartigen, schizophrenen Amerika, wo der Teufel und Gott ihr Armdrücken noch lange nicht beendet haben.
Seraina Nyikos
BRAND NEW AUF TOUR
25.01. Berlin – SO 36
26.01. München – Backstage
02.01. Köln – Live Music Hall
02.02. Hamburg – Fabrik
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