30 Konzerte an einem Tag oder eine Couchsurfing-Tour: Die Band We Invented Paris steht für interessante Konzertideen. Da darf natürlich kein gewöhnlicher Interview-Ort serviert werden: motor.de sprach mit Sänger Flavian in einer Dönerbude.
Kaum ein Jahr alt, und schon haben die Vielspieler aus Basel, We Invented Paris, ein Live-Kontingent abgegrast, von denen sich große Namen ruhig eine Scheibe abschneiden könnten. Als Abschluss des Jahres brachten die umtriebigen Schweizer am 4. November ihr selbstbetiteltes Debütalbum heraus. Ihre Konzerte bilden einen charmanten Mix aus melancholischen Indie-Pop, rudimentäres Synthie-Geklimper und jeder Menge Herzschmerz. Gespielt wird dabei, wie und vor allen Dingen wo es passt. Sei es im Wohnzimmer oder im Club – der Frontmann steht buchstäblich im Zentrum. Flavian Graber ist der Mann, der hinter der Stimme der Erfinder steht. Und er hat nicht nur die Hauptstadt Frankreichs erfunden, er nimmt auch die Zuhörer mit auf eine Fahrt durch Europa, bei der die Schweizer Alpen am Fenster vorbeiziehen, während der Duft der irischen See in der Nase kitzelt. motor.de traf den Frontmann vor dem Auftritt zu einem Gespräch im berühmt-berüchtigten Leipziger Süden, das nur wegen des Treffpunkts ein wenig nach Döner roch.
motor.de: Ist das euer erster Gig in Leipzig?
Flavian: Also, ich war schon einmal in Leipzig. Das war vor drei oder vier Jahren. Da hab ich ein Wohnzimmerkonzert hier gespielt, als ich noch solo unterwegs war. Leider hatten wir heute nicht so viel Zeit, die Stadt zu sehen. Wir haben eigentlich nur den Ring gesehen.
motor.de: Was erwartet ihr von dem Gig hier?
Flavian: Den internationalen Durchbruch (lacht). Nein, ich bin sehr gespannt, weil wir hier noch nie gespielt haben. Da bin ich mal neugierig wer wohl noch auftaucht. Aber wir spielen ja auch noch mit Ewert And The Two Dragons.
motor.de: Ihr habt ja gerade eine Europa-Tour abgeschlossen. Dabei habt ihr aber nicht klassisch auf Bühnen oder in Clubs gespielt, sondern seid couchgesurft. Wie kommt man auf so eine Idee?
Flavian: Wir hatten dafür eigentlich zwei Gründe. Der erste Grund war, dass wir uns keine großen Konzerte leisten konnten und der zweite Grund war, dass uns auch noch keine Sau kannte. Es hat uns einfach keiner gebookt. Und so begannen wir dann, unsere Auftritte bei den Leuten im Wohnzimmer zu spielen. Und außerdem waren wir als Gruppe viel unterwegs. Wir hatten später die Idee: Wir sind zusammen unterwegs und können da was Geiles erleben. Und so kam uns der Gedanke, die Konzerte in die Wohnzimmer zu verlegen, wo dann 20, 30 Mann das richtig erleben und das weitererzählen.
motor.de: Wie kamen solche Konzerte zustande? Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, wenn man sich bei www.couchsurfing.org etwas raus sucht und dann sagt man: “Hier, pass auf, wir machen heute ein Konzert mit 20, 30 Zuschauern bei dir im Wohnzimmer.”
Flavian: Ehrlich gesagt, es war nicht so megaschwer. Es lief dann auch vieles über Bekannte und über drei Ecken. Und dann hat man bei einem Gig jemanden kennengelernt, der kannte noch jemanden, und so weiter. Da sieht man auch, wie klein die Welt doch ist. Wir haben eigentlich nie vor ganz fremden Leuten gestanden, die da voll skeptisch waren, sondern man kannte sich dann schon mit der Zeit.
We Invented Paris – “Tour Short Film”
motor.de: Ihr habt zwar schon gesagt, dass ihr so getourt seid, weil ihr nicht die Mittel für eine große Tour hattet. Aber habt ihr auch noch ein anderes Ziel verfolgt? Wolltet ihr so euren Bekanntheitsgrad erhöhen?
Flavian: Klar, das spielt da auch rein. Der Hauptgrund war aber, dass wir zusammen was erleben wollten. Und es war auch fantastisch. Wir hatten an sich vor einem Jahr noch nichts zu erzählen als Band. Dann sind wir sechs Wochen durch Europa getourt und wir hatten hunderte Geschichten. Da stand nicht mehr nur da: Hier kommt We Invented Paris aus Basel, sondern man hatte was Handfestes.
motor.de: Wie sehr benutzt ihr Kanäle wie Facebook, StudiVZ und MySpace für die Musik oder setzt ihr dann doch mehr auf die Mundpropaganda?
Flavian: Ich glaube es ist beides wichtig. Du musst heutzutage Facebook und Konsorten nutzen. Das ist schon sehr wichtig. Und wir hatten ja auch Timm, unseren Kameramann dabei, der dann so intime Momente als Kurzfilme von der Tour festgehalten hat. Das wollten wir dann auch einer breiteren Menge zugänglich machen und viele haben diese Filme bei YouTube entdeckt und die sehen dann auch die Sachen die wir erlebt haben. So gesehen ist das Web 2.0 sehr wichtig.
motor.de: Ihr macht unkonventionelle Konzerte, wie die Couchsurfing-Tour oder die Speedgigs (30 Konzerte an einem Tag). Ihr macht die Formel Bühne + Band = Show ein wenig obsolet. Denkt ihr, dass es für Musiker wichtig ist, sich nicht mehr klassisch dem Publikum zu nähren und wie kommt man auf solche Ideen?
Flavian: Ja, das wüsste ich auch gern (lacht). Die We Invented Paris-Familie, das ist ja nicht nur die Band. Da gibt es natürlich noch Leute drum herum. Und Julian Butz, unser Manager, und ich, wir sinnieren dann oft darüber, was wir für besondere Aktionen machen könnten. Und eine dieser Ideen war, möglichst viele Konzerte in einer Stadt zu spielen, um dann abends das Hauptkonzert voll zu kriegen und andererseits auch für die Aktion selber. Und was wir da erlebt haben, das war schon sehr witzig. Von tanzenden 50-jährigen Müttern, was eher peinlich war, bis zu einem Gewürzladen, in den nur zwei Personen waren, wovon einer blind war. Und der hat das so krass mit dem ganzen Körper erlebt. Das hat mich dann sehr bewegt – einfach so spezielle Momente. Da kann viel passieren an einem Tag.
motor.de: Ihr tretet bei Konzerten in wechselnder Besetzung auf. Ist es denn schwierig immer so einen Wechsel drin zu haben?
Flavian: Natürlich es ist schwierig, auf der einen Seite weil du immer neue Situationen hast und du versuchst einen Sound zu halten. Andererseits hält es das ganze sehr lebendig. Es ist sehr inspirierend. Du lernst immer wieder mit neuen Situationen umzugehen. Ich glaube das tut einem gut, wenn man sich so eine Flexibilität erhält. Aber es gibt so drei Mann, die die Grundbesetzung bilden. Trotzdem, gerade in diesem Sommer, hatten wir manchmal zwei, drei ganz neue Leute, mit denen wir noch nie gespielt haben. Wir haben dann nur zwei, drei Stunden vorher geprobt und dann sind wir aufgetreten. Das war schon krass.
motor.de: Jetzt stelle ich es mir aber besonders schwierig vor, wenn ihr das Album einspielt. Seid ihr da auch so vorgegangen?
Flavian: Nein, nein. Ich habe das Album mit meinem Produzenten vor einem Jahr aufgenommen. Da waren mitunter auch Musiker dabei, die heute in der Band spielen. Zum größten Teil habe ich die Sachen aber mit dem Produzenten eingespielt. Die Songs haben sich aber jetzt auf der Tour sehr viel weiter entwickelt und deshalb ist es nicht immer genau das, was man auf der Platte hört.
motor.de: Wie würdet ihr euren Stil beschreiben? Die Bezeichnung Indie-Rock finde ich nicht wirklich treffend.
Flavian: Ja, da hast du recht. Ich finde die Musik ist schon so eine Art Zugfahrtmusik. Man kann unsere Musik gut hören, wenn man Zug fährt und aus dem Fenster schaut. Das beschreibt es jetzt nicht stilistisch. Wir nennen das oft melancholische Lebensfreude. Dieses einerseits nachdenkliche, aber trotzdem nicht weinerlich Schwere.
We Invented Paris – “Iceberg”
motor.de: Wen würdet ihr auf eurem persönlichen Festival im Line-Up haben wollen?
Flavian: Also für mich wäre auf jeden Fall Radiohead dabei. Immer noch. Die sind schon saugeil. Death Cab For Cutie. Die habe ich mal beim Southside gesehen, als die noch nicht so berühmt waren. Dann vielleicht noch Elbow, die Live-Sessions, gerade mit dem Orchester haben mich sehr beeindruckt. Außerdem noch Feist oder Florence And The Machine. Und Timber Timbre will ich noch mal sehen. Und ich möchte Oasis sehen. Oder Noel Gallagher’s High Flying Birds. Das wird aber ein teures Festival. Naja, dann nehmen wir U2 noch rein und Metallica (lacht).
motor.de: Habt ihr außer Touren noch etwas ganz Verrücktes geplant?
Flavian: Nein, nach der Tour wollen wir das weitermachen, was wir gerade tun. Das ist schon verrückt genug. Man muss schon nicht ganz bei Sinnen sein, wenn man das dauerhaft machen will. Man muss da schon viel ausblenden, was da an Strapazen und Risiken drin liegt. Man darf auch nicht daran denken, wohin man noch kommen müsste, um wirklich damit mal Geld zu verdienen. Da sollte man schon ein wenig verrückt für sein. Oder was heißt verrückt, man muss sich dessen bewusst sein, sonst wäre man naiv und das sind wir nicht. Aber daran darf man nicht denken, weil das Touren eine Aufbauarbeit ist. Und wir haben eine verdammt erlebnisreiche Zeit.
Interview: Heiko Saul
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