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Jade Bird hat Angst vorm Fliegen. Aber nur solange ein Album noch nicht fertig ist, denn das wäre für sie der schlimmste Zeitpunkt um abzustürzen. Als Jade uns das erzählt ist sie kurz davor in Berlin gelandet – im Gepäck hat sie ihr neuestes Album “Different Kinds of Light”, das letzten Freitag erschienen ist. Die britische Künstlerin, die inzwischen die USA ihre Heimat nennt, ist eine der interessantesten Indie Künstlerinnen ihrer Generation und erinnert an grandiose Künstlerinnen wie Patti Smith oder Joan Baez. Ein Gespräch über Lebenserfahrung, Jades Schreibprozess und gefährliche Narrative.
Motor.de: In deinem Pressetext steht, dass du an dir selbst feststellst, wie sehr sich dein Schreibstil seit deinem letzten Album verändert hat – woran denkst du liegt diese andere Perspektive beim Schreiben?
Jade: Am Ende ist es wahrscheinlich einfach die Reife, die die Zeit mit sich bringt. Ich mein, du wächst als diese eine Version deiner selbst auf und mit der Zeit triffst du diese ganzen anderen Menschen und lernst so unfassbar viel – ich hab das Gefühl, mein Leben zwischen 20 und 23 war eine ganz eigene Welt für sich. Ich fühl mich einfach wie eine ganz neue Person und ich glaube, dass das Schreiben einen großen Teil dieser Entwicklung überhaupt erst hervorgerufen hat, denn es hat mir einen besseren und vor allem reflektierten Blick auf das Leben gegeben.
Motor.de: Manche Songs auf dem Album, z.B. “Headstart”, thematisieren auch die verschiedenen Versionen, die wir werden, wenn wir mit bestimmten Menschen sind – was ist eine Version deiner selbst, die du sehr gerne magst und welche würdest du gerne ausschalten?
Jade: Ich hasse es, dass ich teilweise sehr selbstbezogen sein kann. In den letzten Jahren habe ich viel daran gearbeitet empathischer, hilfsbereiter und geduldiger zu sein und ich glaube, es ist mir auch ganz gut gelungen.
Motor.de: Würdest du sagen, dass dieses Album politischer ist als dein Debüt?
Jade: Es hat auf jeden Fall viel Wut in sich, die sich aus meinen Erfahrungen als junge Frau herausgebildet hat. Der Song „I’m Getting lost“ thematisiert zum Beispiel, dass ich als Frau die Städte zwar tagsüber bestaunen kann, aber nachts aus Angst vor den Konsequenzen mich lieber klaustrophobisch einsperre.
Motor.de: Den ersten Song des Albums hast du in Japan geschrieben – Was für einen Einfluss hat die Umgebung, in der du einen Song schreibst, auf den Schreibprozess?
Jade: Ich schreibe sehr wenig über Landschaften, sondern eher über Menschen. Dementsprechend inspirieren mich die Geschichten, die ich in den verschiedenen Städten höre – wobei ich auch gar nicht wirklich dabei sein muss. „red, white and blue“ schrieb ich zum Beispiel in New York State, aber mein Freund war zu dem Zeitpunkt in Virginia, um eine Gitarre zu kaufen. Der Mann, von dem er die Gitarre kaufte, war ein Kriegsveteran, was er aber erst später herausfand. Mein Freund ist dann mit dem Mann im Auto gefahren und es wurde sehr dunkel, als mein Freund merkte, dass der Mann extrem heftige PTSD Symptome hatte, er halluzinierte zum Beispiel während des Fahrens. Als mir mein Freund die Geschichte erzählte, war ich sehr berührt von ihr. Ich hatte nicht vor die Geschichte nieder zuschreiben, es war einfach der letzte Tag in meinem Raum, mitten im Schnee. Ich glaube, deshalb versteht man auch nicht gleich, worum es in dem Song geht, weil ich es auch nicht direkt wusste.
Motor.de: Deine Songs leben auch von den sehr poetischen Texten – Was hat dich zur Musik geführt und nicht zu einer anderen Kunstform?
Jade: Ich hatte eine recht konfliktreiche Kindheit und als ich 12 war, fand ich die Gitarre und es war einfach, als hätte ich einen Stift gefunden, um alles zu verarbeiten – egal wie klischeehaft das klingt. Ich hatte schon immer viel geschrieben, Kurzgeschichten, Gedichte, einfach alles, aber irgendeine Magie zog mich einfach zur Musik.
Motor.de: Ist die Gitarre dann soetwas wie ein Sicherheitsnetz für dich?
Jade: In manchen Fällen, in den einfachen Fällen, ja. Aber gerade auf dem neuen Album spiele ich auch oft die elektrische Gitarre und das fühlt sich alles andere als sicher an.
Motor.de: In deinem Song “Different Kinds Of Light” gibt es die Zeile „Living on time that is not ours” – Wie hat sich dein Gefühl zur Zeit durch deinen großen Erfolg in jungen Jahren verändert?
Jade: Ich habe oft das Gefühl, dass ich bereits hunderte von Leben gelebt hätte. Dadurch, dass ich als Kind einiges erlebt habe, fühlt sich für mich jeder Geburtstag wie ein Geschenk an. Ich hab aber nicht unbedingt das Gefühl, dass die Zeit verfliegt. Die „surviving not thriving“ Zeile in dem Song bezieht sich vor allem auf das touren, denn ich hatte angefangen, es als Selbstverständlichkeit wahrzunehmen. Wenn du dieselbe Show 200mal im Jahr spielst, macht es irgendwann nichts mehr aus, ob die eine Show jetzt die beste deiner Karriere war. Es ist, als würde dein Körper zwar physisch auf der Bühne stehen, aber eigentlich ist er komplett ausgeschalten und taub.
Motor.de: Wieso hast du begonnen auch mehr über fiktionale Menschen zu schreiben?
Jade: Es hat mich immer fast schon geärgert, dass ich nur über mich selbst geschrieben hatte. Ich hatte dadurch oft das Gefühl, dass ich eine gewisse Qualität schon Texter*innen nicht besaß. Ich hab ehrlicherweise aber keine Ahnung mehr wie es dann angefangen hatte, dass ich mehr aus anderen Perspektiven schrieb. Auf dem Album war der erste Fiktionale Song auf jeden Fall „1994“ und das ist letzten Endes eine Nacherzählung von Bonnie und Clyde.
Motor.de: Als Vorbilder benennst du oft Menschen wie Patti Smith – wünscht du dir manchmal deine Karriere hätte auch vor Social Media begonnen oder wie sind deine Gedanken zu diesen Plattformen?
Jade: Am Ende des Tages raubt einem Social Media vor allem Zeit. Ich habe viel darüber nachgedacht, über den Egoismus und co auf Plattformen wie Instagram, aber am Ende ist es vor allem eine Ablenkung. Wobei ich sagen muss, dass es mir immer mal wieder so vor kommt, als würde der Umgang mit den sozialen Medien gesünder werden – aber dann kam TikTok, von dem ich wiederum keine Ahnung habe. Aber ich glaube, am Ende ist es einfach dieses Streben nach Gemeinschaft, das die sozialen Medien so stark gemacht hat und das wird wahrscheinlich auch noch mal getriggert durch diese no hope Situation, die die Klimakrise mit sich bringt.
Motor.de: In deinem Pressetext schreibst du zudem auch das das Album auch über “the chaos of trying to get away from your past” ist. Würdest du sagen, dass Künstler*innen es schwerer oder einfacher haben sich ihrer Vergangenheit zu entlegen?
Jade: Ich habe das Gefühl, dass Künstler*innen die Tendenz haben, ihre Vergangenheit um alles um der Welt für immer mitschleifen zu wollen, weil wir uns im Chaos wohlfühlen. Ich mein, ich bin in der chaotischsten Karriere, die es gibt. Ich hab im Chaos oft das Gefühl im Auge des Sturms zusein. Während der Pandemie war das Chaos aber plötzlich verschwunden und es gab keine Inspiration mehr aus dem Chaos heraus. Ich musste mir eine geordnete Routine angewöhnen, um dennoch Inspiration finden zu können. Für mich war das eine ganz neue Erfahrung, da ich wirklich lange glaubte, nur im Chaos gute Arbeit vollbringen zu können. Das war bestimmt auch stark beeinflusst durch die Narrative, die wir bei Künstler*innen wie Kurt Cobain. Doch jetzt ist aus einem wesentlich gesünderen Lebensstil das Album entstanden, was meiner Meinung nach meine beste Arbeit bis dato ist.
Hier könnt ihr in “Different Kinds Of Lights” reinhören und hier geht es zu Jades Instagram Account.
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