Der Alltag in Berlin ist geprägt von Lärm und Hektik – jeder kennt das Klappern der Absätze auf dem Asphalt, während man dem Bus hinterher rennt – kaum einer von uns hat nicht schon einem minder begabten Musiker in der S-Bahn einen sofortigen Stimmband-Schwund gewünscht.
Aber wie hört es sich an, wenn man sich Mal die Zeit nimmt, um die Geräusche der Stadt als Rhythmus, den Lärm als Musik wahrzunehmen?
Wie klingt Berlin, wenn man einfach mal anhält und zuhört?
Wir haben 7 mehr oder minder geliebte Orte in Berlin besucht und zugehört.
Kottbusser Tor:
Es gibt kaum einen Platz in Berlin, der die Abgründe dieser Stadt so sehr reflektiert, wie das Kottbusser Tor. Er ist Transitort für Horden von Erasmus Studenten und Feier Touristen, Sammelzentrum für Obdachlose, Punks und Drogendealer, Mekka für Kleinkriminelle und Taschendiebe. Es gibt kaum einen Ort, der so viel Moloch und Menschen zusammenführt, wie das Kottbusser Tor. Deswegen: Tu das, was du sonst nichtmal tust, wenn du mal wieder auf deine verspätete Freundin wartest. Verweile. Atme den Gestank der Pissecke auf dem Mittelstreifen des U-Bahnhofs, während du das zehnte Mal gefragt wirst, ob du Drogen hast oder welche kaufen möchtest. Lass dir von einem der pöbelnden Punks ein Bier öffnen und stell dich an der Sparkasse in die längste Schlange besoffener Touristen. Beobachte sie wohlwollend beim verzweifelten Versuch, ihre Karte zu überziehen. Spüre dabei, wie sich das Vibrieren der U-Bahn und der vorbeifahrenden Autos im Kreisverkehr, mit den wummernden Bässen von Ho9909 verbindet:
Ku’Damm:
Wer auf dem Ku’Damm verweilt, sollte vorher dringend in den Ganzkörperspiegel seines verglasten Penthouses geguckt haben, denn in der Flanierstraße von “Upper West” flaniert man nicht wirklich, man lässt sich blicken. Generell wird auch gerne auf’s Laufen verzichtet – stattdessen tut man so, als sei der gemietete Ferrari, mit dem man seit 3 Stunden auf und ab fährt, eigentlich nur der Shuttle zum Heli nach LA (obwohl man diese Ecke Berlins nicht umsonst Charlottograd nennt – Pelz ist hier gerne gesehen, trotz der Temperaturen in LA…). Wenn ihr zufällig der Russischen Sprache mächtig seid, aufgespritzte Lippen und/oder gemachte Brüste habt, sollte eurem Fame-Day am Ku’Damm nichts mehr im Weg stehen:
Tempelhofer Feld:
Zum Tempelhofes Feld passen am besten sphärische und treibende Sounds. Wenn der urbane Hip-Berliner Zeit findet, geht er hier Joggen – “so i keep on Running”, das macht übrigens zu jeder Tageszeit Spaß und man geht sich trotz unzähliger Kinderwägen und Picknickern kaum auf die Nerven, weil das Areal durch seine Größe alle einsaugt, die sich ihm nähern. Hier befindet sich auch einer der weniger Orte in Berlin, bei dem man den Sonnenauf- und Untergang sehen kann. Ziemlich sphärische Großstadtromantik kommt besonders in den Abendstunden auf:
Rosenthaler Platz:
Es gibt wohl keinen größeren Umschlagplatz für die kreative Elite Berlins. Niemand weiß warum sich vor 6-7 Jahren Agenturen jeglicher Ausrichtung um den Rosenthaler Platz geschart haben, als hätte Nike Freietats für die ersten 50 Mietsteigerungen ausgeschrieben. Fakt ist, dass ihr euch hier beim Go-See im “St. Oberholz” Gedanken darüber machen solltet, wer was über seinen Mac-Book Apfel geklebt hat. Ihr könnt natürlich auch im Hipster Hang Out “Daluma” viel zu viel Geld für das Gefühl von total Detox zahlen, während die Gäste sich beim Instagram-Follower Abgleich auf ihren Smartphones mit Elektrosmog verstrahlen. Wenn euch das alles nicht zusagt, setzt euch doch einfach in den Weinbergspark und beobachtet die Hate-Show der Creative Economy:
Tiergarten:
Der Tiergarten ist der größte Park in Berlin. Er ist vielmehr Wald als Park. Hier sollten wir viel öfters unseren inneren Geist Freiraum geben und dem Motto “Give me your Time, open your Mind” von GOAT folgen:
Alexanderplatz:
Der Alexanderplatz ist der hektischste und anstrengest Ort in Berlin. Wir kennen keinen Berliner, der von sich behauten kann, dass er sich hier schonmal freiwillig länger als nötig aufgehalten hat. Doch boxt man sich erfolgreich durch die Touristenhorden und stellt sich für 3 einhalb Minuten an die Weltzeituhr, versinkt im Treiben und hört “Leaves” von Nicolas Jaar, spielt sich die Außenwelt als eine Art Film in Zeitraffer ab, bei dem du aus der Kameraperspektive schaust.
Warschauer Brücke:
Auf der Warschauer Brücke laufen wir meistens nach einer durchfeierten Nacht nach Hause oder beginnen den Abend gemeinsam mit euphorisierten Massen, die das Stahlkonstrukt zum Schwanken bringen. Eine Stimmung des Aufbruchs ist in der Luft, ob in Vorfreude auf die warme Dusche, Netflix and Chill oder der Abend des Lebens in einem der unzähligen umliegenden Clubs.
Natürlich ist die Warschauer Brücke und das angrenzende RAW Gelände seit einigen Jahren beinahe zu einer Art Reeperbahn der Drogen- und Gewaltstraftaten geworden, trotzdem erinnern wir uns gerne an unser 16-jähriges Ich, das glaubte, ihm gehöre die Welt, als es hier nach seiner ersten echten Partynacht breit grinsend dem Sonnenaufgang entgegen lief.
BILDER: VIKTORIA RENNER
Uhren: Lilienthal Berlin
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