Las Vegas hat eine kleine Schwester und deren Name ist Reno. Klar, schon mal gehört hats jeder, aber so richtig kann man am Ende mit den 4 Buchstaben nichts anfangen.
Elvis sang Viva Las Vegas, Britney Spears machte in der „Little White Chapel“ den ersten Schritt zu ihrem Untergang und Thompson verdammte Vegas mit „Fear And Loathing“ zum Synonym des Scheitern des amerikanischen Traums.
Las Vegas trägt viele Geschichten auf dem Rücken und dabei hat auch Reno eigentlich all das, wofür Sin City berühmt ist: legales Glücksspiel, Clubs, die Möglichkeit spontan „Ja“ zu sagen und jede Menge bunte Lichter. Aber trotzdem ist Reno kein Ziel an sich- Reno liegt halt auf dem Weg.
In den Kasinos trifft man Einheimische, die nach der Arbeit eine Runde nach der anderen, roboterähnlich und im Sekundentakt, 1 ct – Münzen in die Slot-Machinen werfen, spielfreudige Bewohner des nördlichen Kaliforniens, die keine Zeit für einen 8- stündigen Roadtrip durch die Wüste haben oder auch gelangweilte Väter, die eine Pause von ihrer Familie brauchen, mit der sie gerade am Lake Tahoe entweder Bade- oder Skiurlaub machen.
Das Reno aber genauso ein Schauplatz für wunderbare Erzählungen sein kann, wie die große Schwester, beweist Willy Vlautin. Nachdem er in seinem Debüt „North Line“ seine Hauptfigur alle Vegas- Horrorszenarien durchspielen ließ, platziert er die Protagonisten in seinem zweiten Buch „Motel Life“ in „The Biggest Little City In The World“:
Frank und Jerry Lee sind Motelnomaden. Sie wandern von einem Motel zum anderen: Vom Sudro ins Flamingo, ins Days Inn. Nach dem Tod ihrer Mutter schmeißen beide die High School und verdienen sich als Tagelöhner die Motelmiete und den Whiskey.
Als Jerry Lee einen kleinen Jungen umfährt, fliehen die Brüder aus Reno. Auf ihrem Roadtrip hören sie Willie Nelson Tapes und erzählen sich Geschichten. Geschichten in denen all das passiert, was in Reno nie möglich gewesen wäre.
Zugegeben, eine Story, wie man sie schon oft gehört hat. Durchgekaut und in allen literarischen Formen wieder ausgespuckt.
Aber Willy Vlautin machts anders. Einfacher. Kein Schnickschnack, keine großen Metaphern und literarische Eigenheiten. Er besinnt sich auf das Wesentliche und schafft beim Schreiben eine Atmosphöre, die einem auch nach dem Lesen nicht loslässt. Vlautin muss das Leiden der Protagonisten nicht ausschmücken, er schafft es allein durch die Erzählungen Jerry Lees ein klares Bild vom Zustand der Brüder zu machen: Desolat, gescheitert und trotzdem ist da keine Spur von Absolution zu finden. Das die meisten Motels abgeranzt sind und wie die Gesichter gezeichnet von übermäßigen Alkoholkonsum aussehen, wissen wir. Und deshalb Bedarf es keinerlei unnötiger Ausschweifungen in derartige Beschreibungen. Die Brüder sind sich ihres Zustandes bewusst und trotzdem zum Scheitern verurteilt.
Las Vegas ist bekannt wie ein bunter Hund- jeder, der noch nicht da gewesen ist, kann mindestens ein Hotel oder andere Attraktion auf dem Strip benennen.
Las Vegas ist so berühmt, dass neben all dem Glitz und Glamour die reale Welt, die Menschen, die die Stadt machen zu dem was sie ist, vergessen wird. Vlautin hat mit der Wahl von Reno eine perfekte Location getroffen, um Leute zu zeigen, die unter all dem Gefunkel untergehen und manchmal viel mehr zu erzählen haben, als A-Z Celebrities, die sich am 1000 $ teuren VIP-Tisch (Getränke natürlich ausgenommen), volllaufen lassen und am nächsten Tag eben nicht „What Happens in Vegas, stays in Vegas“ unterschreiben können.
No Comment