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„Ich wollte Popmusik für Erwachsene machen“, erklärt Kai Wingenfelder, der Sänger der Band Fury In The Slaughterhouse, die Zielsetzung, mit der er an sein Soloalbum „Alone“ ging. „Ich wollte ein klassisches Popalbum machen, das aber auch modern klingt, mit Songs, die zeitlos wirken. Und ich wollte auch ein Album für die Leute auf-nehmen, die vor 15 Jahren mein Lieblings-Fury-Album ‚Mono’ gekauft haben, weil sie eingängige Songs wie ‚Radio Orchid’ schätzten.“ Mit „Alone“ dürfte ihm das gelungen sein. Die Songkollektion bietet wunderbar vielschichtige Popsongs, manche bunt schimmernd an der Oberfläche, aber immer mit Tiefgang, die Schönheit der Melancholie auslotend.
Es ist ein Aufbruch und ein anderer Weg, als der, den er in den letzten Jahren mit Fury gegangen ist. Nicht, dass „Alone“ das Aus für die Hannoveraner Band bedeuten würde, die zu den wichtigsten Deutschlands gehört. „Fury In The Slaughterhouse gibt es noch“, versichert Wingenfelder. Aber nachdem diverse andere Mitglieder Seiten-projekten nachgegangen waren, wollte sich der 47jährige endlich auch den lang gehegten Wunsch erfüllen und ein eigenes Album aufnehmen. „Ursprünglich war ich der Erste von uns, der die Idee mit einem Soloprojekt hatte“, erklärt er. In den letzten Jahren hatte ihn sein Verantwortungsgefühl davon abgehalten, seinen Plan konse-quenter umzusetzen: „Fury war immer Brot und Butter für uns. Die ganzen Jahre habe ich darauf geachtet, die Band zusammen zu halten“, sagt er, „und jetzt dachte ich: Nun bin ich mal dran.“
Bei Fury war er stets an das demokratische Bandprocedere gebunden, so Wingen-felder. Er habe zwar um seine Ideen gekämpft, aber dabei auch Rücksicht auf die Vorstellungen der anderen Mitglieder nehmen müssen. Sein Traum: Einmal ohne Kompromisse seine ganz eigenen Ideen weiter zu entwickeln und umzusetzen, neue Fähigkeiten zu entdecken, andere Dimensionen zu erkunden. „Ich wollte mich austoben und auch mal Sachen singen, die ich bei Fury nicht singen konnte, auf meine eigene Art.“
Er kratzte seine Ersparnisse zusammen, rief befreundete Musiker an und stellte eine Band zusammen, von der er schon lange geträumt hatte: „Ich mag die Furys. Aber ich fand es spannend, zum Beispiel mal mit einem anderen Schlagzeuger zu spielen, der einen komplett anderen Stil trommelt, einfach ein bisschen wilder.“ So kam der Drummer Stephan „Stoppel“ Eggert von der deutschen Band Tempeau ins Boot. Dazu passte wunderbar Wingenfelders Lieblingsgitarrist Jörn Heilbut von den Jeremy Days – „die waren in Sachen deutsche Popmusik immer meine Helden.“ Außerdem machte neben dem Keyboarder Roland Spremberg auch der Bassist Stephan Gade von The Land mit, der, wie der Sänger findet, „einen grandiosen Bass spielt.“ Fertig war die Band, von der er wusste: „Mit der kann ich effektiv arbeiten, taktaktak, wie ein Maschinengewehr.“ Die Entscheidung für den Aufnahmeort lag nah, im wahrsten Sinne des Wortes: „Ich hatte mir in der Nähe von Schleswig ein Haus gebaut und mir dort auch gleich ein Studio eingerichtet, um ökonomischer arbeiten zu können.“
Als nächstes stand die Songauswahl an. Ein deutsches TripHop-Album aufzunehmen, wie Wingenfelder es ursprünglich geplant hatte, verbot sich, „weil mein Bruder Thorsten kürzlich eine deutsche CD herausgebracht hatte.“ Die Verwirrung wäre zu groß gewesen, vermutet er. Also Englisch, das kam seiner derzeitigen Vor-stellung eines Albums mit internationalem Appeal eh am nächsten. Allerdings sollte es diesmal hauptsächlich Fremdmaterial sein. Warum? „Ich habe 20 Jahre lang immer alles selbst geschrieben. Ich bin ja bei Fury einer der Hauptkomponisten“, sagt er, „aber ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich das Gefühl hatte, es einmal anders machen zu wollen. Ein guter Bekannter gab mir den Tipp: ‚Lass dir Songs schreiben.’ Das hatte ich früher immer abgelehnt. Ich hab noch nicht mal in einer Coverband Fremdsongs gespielt. In meinem ganzen Leben nie.“
Aber es sollte ja ein Abenteuer sein. So wurde international ausgerichtetes Songmaterial gesucht und die Kompositionen, mit denen er sich wirklich identifizieren konnte, wurden eingespielt.
Zum Beispiel die erste Single „When A Girl Goes Cold“. Der Song gibt in Kurzform eine Weisheit wieder, „die mir meine Frau mal in einem langen Vortrag erklärt hat: Frauen halten in einer Beziehung wesentlich länger den Mund als Männer. Aber wenn die Frau dann sagt: ‚Ich geh’, dann ist sie auch weg.“ Der Song ist Wingen-felders Tipp „an die Herren der Schöpfung: Nehmt die ersten Zeichen ernst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn man diesen Zeitpunkt verpasst hat.“
Das Stück hat seine Anwendbarkeit auf das richtige Leben schon bewiesen: „Eine Kollegin aus meinem Team hörte den Song, kopierte ihn gleich fünfmal und schickte ihn an ihre Ex-Freunde.“
Zwei Songs schrieb ein guter Bekannter, Michel Van Dyke, der schon der Gruppe Echt zu ihrem Hit „Du trägst keine Liebe in dir“ verholfen hatte. An Van Dykes Komposition „Last Days of Summer“ schätzt Kai Wingenfelder, „dass er eine ganz eigene melancholische Stimmung hat, die sehr fragil wirkt. Der Song erinnert mich an ‚This Is Not America’ von David Bowie und Pat Metheny.“ Mit „First Day Of My Life” lieferte Michel die große Ballade auf diesem Album. „Seine langsamen Songs passen einfach perfekt zu meiner Stimme.“
Die Aufnahmen zum Album „Alone“ waren eine spannende Erfahrung, sagt Wingen-felder, schon weil er plötzlich Songs sang, „die ich so nie geschrieben hätte. Das war eine komplett neue Baustelle für mich, eine große Herausforderung. Ich musste mich auf Phrasierungen einlassen, auf Melodiefolgen, die ich normalerweise so nicht in petto habe. Aber das Ganze hat Spaß gemacht.“ Und letzten Endes sei das Album eine Einheit, „weil wir nur Nummern aussuchten, die mir von der Stimmung und Emotion her am meisten liegen.“
Außerdem mussten sie zu seinen eigenen Kompositionen passen. Zum Beispiel zu „Glad You Know It Now“. Den Song schrieb er auf Mallorca. Vielleicht lag es an der mediterranen Umgebung, dass da plötzlich der Drang war, ein Lied über seine eige-nen Unzulänglichkeiten zu verfassen. „Das ist eine Art Lebensbeichte. Ich sage da: ‚Die Frau, die mit mir zusammen ist, hat es nicht immer leicht. Aber immerhin habe ich ihr nie vorgemacht, dass es leicht sein würde.’“ Der Titel „Love Is A Warm Gun“ erklärt sich selbst. „Da geht es um Sex. Mehr muss man dazu wohl nicht sagen.“
Das Solo-Album, von dem er so lange geträumt hat, ist fertig – produziert von Roland Spremberg, der gerade Ville Vallo ganz nach oben in die deutschen Charts katapul-tierte und Doppelplatin für das weltweit erfolgreiche Comeback-Album der Kultband a-ha an der Wand hängen hat.
Auf die faule Haut legen wird sich Kai Wingenfelder nach den Studioaufnahmen nicht. Im Sommer wird er sein Repertoire auf einigen Festivals live vorstellen. Im Herbst soll dann eine Clubtour folgen. Danach geht’s wieder mit Fury In the Slaughterhouse auf Tournee – diesmal als eine Art Jubiläums-Ausflug durch die Originalclubs, in denen die Band am Anfang ihrer Karriere vor knapp 20 Jahren aufgetreten war.
Außerdem sind weitere Projekte mit der Benefizorganisation „Beluga School For Life“ zugunsten von Tsunami- und Aids-Opfern in Thailand geplant – einer Organisation, die Waisen- und Schulhäuser baut. Die Arbeit dafür liegt Wingenfelder sehr am Her-zen. 2005 hatte er die Benefiz-CD „Home“ aufgenommen und damit immerhin so viel Geld aufgebracht, dass die „Beluga School For Life“ im thailändischen Na Nai fünf der Häuser bauen konnte.
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