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(Foto: Mariella Gittler)
„Wir kämpfen gegen Mozart!“ – was nach überspitztem Zynismus klingt ist für Musikschaffende in Österreich seit Jahrzehnten bittere Wahrheit: Ein Land, hin und hergerissen zwischen Tradition und neokulturellem Fortschritt. Staatliche Kulturfördergelder bekommt der, der Touristen anlockt (Stichwort: „Mozart-Tourismus“), der Klassikliebhaber in die heiligen Hallen von Salzburg, Wien und Bregenz strömen lässt. Österreich versteht sich blendend darauf, das in der Vergangenheit geschaffene Kulturpotenzial zu vermarkten und zu monetarisieren – ohne Frage eine Leistung, von der Deutschland einiges lernen könnte – doch bleibt die zeitgenössische Musikkultur ein eher ungeliebtes Stiefkind.
„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben“, bringt Albert Einstein die Sorgen vieler junger Musiker in Österreich auf den Punkt. Die nationale Musikförderung ist schwach aufgestellt, die Medienlandschaft bietet kaum Ansatzpunkte für Alternativen zu internationalem Mainstream und Schlagerdisko, das österreichische Musik(selbst)bewusstsein ist seit Jahren ein zartes Pflänzchen. Klingt alles negativ, alles schlecht und nach totaler Apokalypse? Im Gegenteil. Der Wiener Widerstand sudert (= öst. für meckern) zwar genauso gern über die Gesamtsituation, wie man es dem typischen österreichischen Hauptstädter nachsagt, formiert sich aber seit Anfang des Jahrtausends zunehmend erfolgreicher gegen die Vernachlässigung durch Vater Staat und Mutter Medien. Dass schon einige Schlachten gewonnen, wenige verloren und andere noch lange nicht ausgefochten sind, zeigten Gespräche mit Wiens interessantester Bookingagentur, dem Chef eines Indielabel-Urgesteins, einer erfolgreichen Musikexporteurin und einer Band, die gar nicht so österreichisch klingt.
Ein Text über einen langwierigen Prozess, dem sich eine ganze Reihe junger, kreativer Österreicher allen Mozarttouristen zum Trotz aussetzt, um Jugendkultur und Musikbewusstsein zu schaffen.
Egal wo man sich in Wien auf einen Kaffee (sprich: Kaffeeee) trifft, um über die Musikszene und Jugendkultur zu reden, das „Problem“ wird überall zum offensichtlichen Begleiter: Die kulturelle Tradition, wortwörtlich in Stein gemeißelt in Form von historischen Palästen, Prunkbauten, Touristenmagneten. Wien zeigt sich vom Bordstein bis zur Skyline als sauber, ordentlich, fast pedantisch detailverliebt und Stolz auf die kulturelle Geschichte des Landes und im speziellen natürlich der Stadt selbst. Für mich als Tourist mit einer Schwäche für prunkvolle Geschichte, noch dazu aus dem dreckigen Berlin eingeflogen, war Wien eine Welt der sauberen Sitzbänke und geleerten Mülleimer, die mich zwischen Stephansdom und Museumsquartier schlichtweg begeisterte. Wie mich jedoch das ausgiebige Studium von Science-Fiction Filmen gelehrt hatte, gibt es in sterilen, sauberen Welten häufig keinen Platz für Jugendkultur, geschweige denn für jungen Punkrock – zumindest gibt es keine Folge von Star Trek, die mir bekannt wäre, in der eine Band die Brücke von Picard zerlegt hätte. Clubs, Bars und nichtstaatliche Kultureinrichtungen, die als kleinste Keimzellen einer Musikszene gelten, kämpfen in Deutschland allerorts gegen das „Prenzlauer-Berg-Syndrom“, die voranschreitende, böse Gentrifizierung, den Kampf um die Lücken, die sie einst selbst geschlossen hatten – in Wien waren diese Lücken zu keinem Zeitpunkt im großen Stil vorhanden. Wohin also mit der ganzen alternativen Musikkultur?
Tatjana Domany erwartet mich im Außenbereich eines Kaffeehauses, getrunken wird ein g'spritzter Apfelsaft und wir rauchen Filterzigaretten – klingt beides noch nicht nach alternativer Jugendkultur. Dass Domany jedoch einen nicht unwesentlichen Teil zum „Kampf gegen Mozart“ beiträgt, wird schnell deutlich, schaut man in den Lebenslauf der jungen Wienerin. Nachdem sie die Labelarbeit an den Nagel hing, arbeitet Domany nun seit gut zwei Jahren für den Austrian Music Export, eine Gemeinschaftsinitiative vom Österreichischen Musikfonds und dem Music Information Center Austria, kurz 'mica'. Ihre kleine Geschäftsstelle wickelt im Prinzip die Geschäfte ab, die in Deutschland die Initiative Musik bearbeitet: Nationale Künstler bekommen Support für Auftritte im Ausland, Festivalshowcases wie beim Eurosonic 2014 (bei dem Österreich Schwerpunktland ist, wir berichten) werden organisiert und es gibt Produktionsförderungen für Musiker und Netzwerkarbeit mit Labels, Vermarktern und Künstlern.
Was wie das gelobte Land klingt, lässt sich dank der mangelnden finanziellen Ausstattung der Initiative jedoch schnell relativieren. „Wir sind finanziell leider noch nicht in der Lage, einer Band eine komplette Europa- oder Auslandstour zu ermöglichen. Deshalb konzentrieren wir uns eben eher auf Showcases wie zuletzt beim Reeperbahnfestival – das notwendige finanzielle Volumen ist hier überschaubarer“, so Domany fast entschuldigend. Dabei gibt es für Entschuldigungen keinen Grund. Dass diese eher aus der Not geborene Strategie durchaus aufgehen kann, beweist die Band Elektro Guzzi. 2012, also im ersten vollen Geschäftsjahr des Austrian Music Exports, begeisterten die Österreicher bereits beim Eurosonic Festival und konnten danach den Sommer auf großen Festivalbühnen verbringen – positives Feedback gab es da aus aller Herren Länder. Die Marschrichtung stimmt also. Um das Marschtempo in Zukunft ebenfalls zu erhöhen, werben Domany und ihre Kollegen an den verschiedensten Stellen um Fördergelder. Der bisher durchaus überschaubare Etat des Austrian Music Export setzt sich aus einer breiten Fördergemeinschaft zusammen, die aus staatlichen Institutionen und einzelnen Projektpartnern besteht. Das Budget für das Hauptzugpferd 'Tour- und Showcasesupport' beläuft sich auf magere 10.000 € im Jahr – jeder, der schon einmal auf Tour war oder mit Musikern zu tun hat, weiß, wie verschwindend gering diese Summe ist. Für konkrete Projekte werden allerhand Zusatzfinanzierungen angefragt – ein 'Klinkenputzen' und 'Werbetrommelrühren' im Namen der jungen Musikkultur. Was nach einer undankbaren Aufgabe klingt ist für Domany jedoch der erste Schritt auf dem Weg mit dem Ziel „die gesamte Musiklandschaft zu stützen. "Wir wollen, dass die Label mehr Spielraum haben und die Künstler mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Wir wollen das ganze Netzwerk engmaschiger gestalten.“
Dieser Ansatzpunkt, obwohl nicht neu erfunden, scheint selbst für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Anstatt die große Geldgießkanne wahllos über der Szene auszuleeren, wird die Verzahnung der bestehenden Label-, Förderungs- und Szenestrukturen in den Mittelpunkt gerückt. Abgesehen davon, dass die große Geldgießkanne ohnehin nicht zur Verfügung steht, scheinen die Österreicher auch hier am richtigen Strang zu ziehen. Laut Domany geht dieses Konzept zumindest in Wien auf: „Obwohl es der Musikwirtschaft nicht gut geht, das ist in Deutschland nicht anders, ist die Stimmung gerade unter den kleineren Firmen mit unterschiedlichsten Musikrichtungen hier sehr gut. Es gibt da sehr wenig Konkurrenzdenken, sondern eben eher diese netzwerkartige Zusammenarbeit, man hilft sich untereinander auch mal im Sinne einer Band. Das ist eine positive Entwicklung hier.“ Der Grund für diese positive Entwicklung lässt sich selbstverständlich nicht allein in der eher strukturellen Arbeit des Austrian Music Export finden. Ebenso wichtig ist das Aufkommen einer Art Querdenkertum von Kreativrebellen und Kulturnörglern, die, höflich ausgedrückt, mit dem „alten“ Kulturgut um Mozart und Falco zwar keine Probleme hatten, denen die immerwährende Assoziation der österreichischen Musikkultur mit oben genannten Künstlern dennoch, unhöflich ausgedrückt, gehörig auf den Sack ging.
„Neben Mozart und Falco kennen die Leute in Deutschland vielleicht noch Austro-Pop und generell dann die elektronische Phase aus den 90ern. Aber das war es meistens auch schon. In den Nischen gibt es einige Bands, die sich einen Namen gemacht haben mit den typischen Klischees, aber das ist in jedem Land so, denke ich. Die international am meisten wahrgenommenen Projekte haben alle etwas sehr spezielles an sich, zum Beispiel Ja, Panik, "die auch einen sehr eigenen österreichischen Stil haben“, so Domany. Dass auch mainstreamige Musik aus Österreich kommen kann, zeigten zuletzt Klangkarussell mit Top-Chart-Platzierungen in Europa oder die schon länger in Deutschland durchaus erfolgreiche Christina Stürmer (2006 gewann sie den ECHO als Künstlerin Rock/Pop national – 'national' steht hier verwirrender weise für 'deutschsprachig'). Für Domany liegt die Stärke der österreichischen Musikszene allerdings in Zukunft klar auf den experimentellen Projekten und Nischengenres. Nicht nur weil die Musikkultur Österreichs durch vielfarbige Einflüsse aus Ost-, West-, Nord- und Südeuropa zu einem vielschichtigen und abwechslungsreichen sowie wahnsinnig kreativen Output gelangt ist, sondern auch, weil die Beschaffenheit der Musikindustrie im Land kaum anderes zulässt. „Die Etablierung eines österreichischen Mainstreamacts erfordert wesentlich mehr Marketingkraft als die hier ansässigen Indielabel aufbringen können und die Majors gewillt sind, in ein österreichisches Projekt zu investieren“, erklärt Domany. Wer Christina Stürmer als Gegenbeweis anbringen will, dem sei hier der Wind aus den Segeln genommen: Auch sie wurde gecastet – hat also mit der Musikerförderung von der Wurzel an nichts zu tun.
Die Zukunft der österreichischen Musik liegt also bei all den schon angesprochenen Querdenkern, Rebellen und Nörglern, die sich von ihrem Rückzug in musikalische Nischen zurückziehen und eine neue Musikkultur aktiv gestalten wollen – neu darf sie sein, aber trotzdem authentisch und österreichisch. Und irgendwann muss sie sich zumindest für Künstler und Label auch finanziell lohnen.
Ein Spagat, den Hannes Tschürtz seit 2001 mit seiner Firma ink.music vortrefflich meistert, ist eben dieser finanzielle Drahtseilakt zwischen dem Support von guter Musik und der Musik, die auch Geld in die Kassen spült. Umso besser, wenn gute Musik auch kommerziellen Erfolg hat – wie es bei Tschürtz häufiger der Fall ist. Allerdings nicht so häufig, wie er sich das wünschen würde. Wieder werde ich zu feinstem Wiener Kaffee (sprich: Kaffeee) eingeladen und fühle mich im gemütlichen Ambiente fast an Berlin erinnert. Die Büros von ink.music sind in einem unscheinbaren Altbau im 8. Bezirk von Wien, der auf den trefflichen Namen Josefstadt hört und im Vergleich irgendwo zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain liegt: Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle tummeln sich hier zwischen Kinderwägen und Straßencafés. 2005 erreichten die Grünen hier sogar die relative Mehrheit bei den Wahlen zur Bezirksvertretung. Ein kreatives, junges Umfeld also, das Tschürtz für seine Agentur ausgesucht hat. Diese Entscheidung trug in den letzten Jahren durchaus Früchte. Neben der eigentlichen Musikagentur gibt es eine Bookingabteilung, die mittlerweile europaweit circa 450 Konzerte vermittelt, ein eigenes Label namens 'schoenwetter schallplatten' sowie ein Ticketingdienst und eine Agentur für Fragen rund um Verwertungsrechte.
Dieses 'Inkperium' stellt für Tschürtz das sicher, wofür Tatjana Domany und der Austrian Music Export werben: Ein umfangreiches Netzwerk aus Musikdienstleistern, um möglichst kostensparend aber nutzenintensiv selbst kleineren Bands eine möglichst große Bühne bieten zu können. Die Sisyphusarbeit, die der Arbeit mit Musik in Wien inne wohnt, bedingt sich durch die Beschaffenheit der Szene an sich: „Es gibt diesen Wiener Sound einfach nicht. Hier blubbert es in allen Ecken und wir haben eine sehr vitale Musikszene“, so Tschürtz. Viele Ecken haben eben auch viele Enden an denen man ansetzen kann – und laut Adam Riese steigt so möglicherweise auch die Wahrscheinlichkeit des internationalen Erfolgs, oder nicht? Wieso sich dieser jedoch genreübergreifend nicht einstellen will, liegt laut Tschürtz vor allem daran, dass die österreichische Musik sowohl im In- als auch im Ausland unterschätzt wird. „Der österreichische Musikmarkt ist klein und nicht unbedingt für seine spannende neue Musik berühmt, obwohl das Feedback für die Künstler international durchaus sehr positiv ist und die ausländischen Kollegen erstaunt darüber sind, was hier passiert“, erklärt Tschürtz. Österreich hadert hier in erster Linie mit sich selbst: Es fehlt an fähigen Managements, einer umfangreichen Förderstruktur und einer selbstbewussten Musikmedienlandschaft.
Ergebnis dieser Schieflage ist, dass talentierte österreichische Künstler entweder nach nationalem Erfolg ins Ausland gehen um den nächsten Schritt zu wagen oder erst im Ausland wirklich Erfolg haben – ein Umstand, der Tschürtz hinsichtlich der Zukunft österreichischer Musikkultur nachdenklich stimmt. „Wir haben beispielsweise Ja, Panik hier sieben Jahre lang betreut und dann hast du als Musikagentur und auch als Band irgendwann eine künstliche Hürde, die durch die Marktgegebenheiten bedingt ist. Die Band ist dann nach Berlin gegangen und hätte den Sprung, der eigentlich nur eine logische Entwicklung war, hier in Wien so nicht machen können.“ Eine dieser künstlichen Hürden ist neben der geringen medialen Durchschlagskraft der ansässigen Medien im Bereich Indiekultur der überschaubare Markt, der einer Band das weitere Wachstum schlichtweg versagt. Man müsse sich vorstellen, dass der beste Spieler der österreichischen Liga erst dann international wirklich als erfolgreich gilt, wenn er sich in der Bundesliga durchgesetzt hat. Und auch dann erst seine Schäfchen im Trockenen hat. Der Pragmatismus, mit dem mir Tschürtz dieses Beispiel verdeutlicht, erstaunt mich, zeigt aber ein weiteres großes Problem, mit dem sich österreichische Musik konfrontiert sieht: Deutschland.
Auch Tatjana Domany hatte dieses „Großer Bruder“-Prinzip in unserem Interview angesprochen. Österreichische Musiker müssen sich mit der zahlreichen deutschen Konkurrenz messen, die häufig über sehr viel mehr Marketingvolumen und wirtschaftlichem Unterbau verfügt als die Lokalmatadoren – die Rezeption innerhalb der österreichischen Musikszene ist daher unverhältnismäßig höher. Es klingt wie der ewige Kampf von David gegen Goliath und scheint zu einfach, um wahr zu sein. Dass es dafür mittlerweile jedoch kaum noch Gründe gibt, liegt auf der Hand, wird aber nur schwerlich in den Köpfen verankert. Die Floskel „ Es gibt keine Kleinen mehr“, die Fußballtrainer gern vor Spielen gegen vermeintliche Außenseiter in Mikrophone sabbeln, bewahrheitet sich womöglich auf dem Musikmarkt mehr denn je: Island, Schweden, Dänemark und Belgien sind nur wenige Beispiele für Länder, die in den letzten Jahren durch die Bank weg Garanten für qualitativ hochwertige Musikprojekte mit europaweitem Erfolg waren, obwohl die nationalen Musikmärkte zu den eher kleinen im Vergleich gehören. Das Problem Österreichs ist laut Tschürtz neben den schon angesprochenen strukturellen Förderungsproblemen auch ganz klar das Bewusstsein für nationale Künstler innerhalb Österreichs. „Es fehlt manchmal das Bewusstsein und Vertrauen, sich auch selbst als österreichische Band oder als Künstler zu sehen und so auch von anderen wahrgenommen zu werden. Das rührt vielleicht aus der Geschichte, die einige immer noch nicht verkraftet haben. Die Unterschätzung kommt dummerweise eher von Österreich selbst, erst dann von außen.“ Klar, wenn ich mich selbst unterschätze, unterschätzen mich auch die anderen – könnte die Quintessenz des Problems lauten.
Das mangelnde Selbstbewusstsein ist also hausgemacht: Der mit fast fünfzig Prozent quotenstärkste Radiosender Ö3 spielt fast ausschließlich internationalen Mainstream, im ganzen Land. Fast schon bezeichnend ist hier der Rückzug des Mutterunternehmens und größten österreichischen Medienanbieters ORF aus der Finanzierungsförderung für nationale Musikkultur vor einigen Monaten – der ORF ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Sendeanstalt, sollte doch also nach bestem Gewissen die nationale Musikkultur fördern? Zur Erinnerung: Auch wenn wir in Deutschland über die Ausgabenverteilung unserer öffentlich-rechtlichen Programme meckern, bestehen zumindest regional reichweitenstarke Jugendradiosender wie MDR Sputnik und Fritz (RBB), sowie Spartenkanäle á la ZDFneo um, zugegeben nur theoretisch, nationale Jugendkultur im Bereich Musik zu fördern. Allein der Ansatz dazu lässt natürlich keine Lobeshymnen zu, doch fehlt er beim ORF bis auf den alternativen Radiosender FM4 fast vollständig und lässt Fragen zur Zukunft einer ganzen Branche offen.
„Durch diese Interessenlücke entsteht der Eindruck, das importierte Musikthemen, internationale, mainstreamige Themen eben höher eingeschätzt werden als österreichische Künstler. Aus unserer Sicht gibt es einige Bands die das Zeug dazu hätten auch im Mainstream populär zu sein, wenn sie den entsprechenden Mediensupport hätten“, ärgert sich Tschürtz zu recht. Dieses Recht geben ihm beispielsweise Künstler wie Effi, Bilderbuch oder der Eigentlich-Österreicher Leftboy, denen im Ausland großes mediales Interesse zuteil wurde, welches erst dann wieder in ihr Heimatland „zurückschwappte“. Viele Bands kommen so über das überschaubare Szenenprestige nicht hinaus. Der Schritt in Richtung Ausland, meist Deutschland, scheint somit nur logisch und konsequent – vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, mit denen sich eine Band irgendwann auseinandersetzen muss. „Geht eine Band ins Ausland, verliert der österreichische Markt an Wertigkeit, was dazu führt, dass man sich auch in Zukunft selbst falsch einschätzt und das mediale Interesse weiterhin ausbleibt.“, fasst Tschürtz diesen Teufelskreis zusammen. Was wie ein Anrennen gegen Windmühlen klingt, ist in Wahrheit jedoch eine kleinteilige Arbeit mit mühsam erkämpften Fortschritten. Der schon angesprochene Radiosender FM4 verzeichnet zwar einen geringen landesweiten Marktanteil von unter vier Prozent, verzichtet dabei jedoch fast komplett auf die Mainstream-Charts und leistet wichtige Basisarbeit für die musikalische Nachwuchsszene. Bei aller Schwarzmalerei bleibt Platz für Humor. „Wir haben zwei Möglichkeiten als Label: Aufgeben oder verzweifeln“, lacht Tschürtz und hat zwar keine schnellen Lösungen, aber ein paar Strategien parat: „Wir haben das Label eigentlich immer sehr stark als Entwicklungsplattform gesehen und haben ein sehr breiten Anspruch an uns selbst. Dadurch, dass wir eben auch als Management und Verlag agieren, ist unser Ziel eher eine erfolgreiche Karriere zu entwickeln und nicht nur den einen großen Erfolg mit einer Platte zu haben.“ Da ist sie, die Lösung aller Probleme: Langfristige Qualität sichern um den eigenen Markt nach innen zu stärken. Das Selbstbewusstsein kommt von allein. An manchen Ecken ist es schon da. „Den Erfolg einer Platte würden wir natürlich auch mitnehmen“, grinst Tschürtz und bietet mir einen weiteren 'Kaffeee' an. Ich nicke. Die Aussichten sind gar nicht so schlecht, wenn sie nur halb so gut sind, wie der Kaffee hier schmeckt.
Julian Weicht
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