Am 13. März startete der aus Schweden stammende Musikstreamingdienst Spotify auch im 13. Land, in Deutschland. Axel Bringéus ist “Director International Growth” bei Spotify und damit für neue Märkte in Europa zuständig. Ein Interview über die Ziele und Besonderheiten von Spotify, die Situation der Musikindustrie und die Bedenken gegenüber dem Streamingmodell an sich. Um die GEMA gehts leider nicht.

motor.de: Herr Bringéus, benutzen Sie noch einen MP3-Player?

Axel Bringéus: Nein. Ich bin seit 2007 bei Spotify und seitdem nutze ich nur Spotify.

motor.de: Warum erfolgte der Start von Spotify in Deutschland vergleichsweise spät? Es sind ja seit Dezember schon etliche Konkurrenten in Deutschland aktiv.

Axel Bringéus: Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt, der drittgrößte Musikmarkt der Welt, den hatten wir sozusagen schon lange im Visier. Und weil er so wichtig ist, haben wir uns da auch genügend Vorbereitungszeit erlaubt. Zum Beispiel um tolle Apps anbieten zu können, aber auch um ein Team vor Ort aufzubauen. Uns ist es halt sehr wichtig, dass wir dann starten, wenn wir genügend vorbereitet sind. Deshalb haben wir uns halt ein bisschen Zeit gelassen. Mit unserem Angebot werden wir “die Herzen” der deutschen Musikfans gewinnen können.

motor.de: Wenn man schon so selbstbewusst ist, um sich diese Zeit nehmen zu können: Was macht denn Spotify besser als die anderen?

Axel Bringéus: Das sollten natürlich die Nutzer selbst beantworten. Aber die Tatsache, dass wir einen unbegrenzten kostenlosen Service haben – man kann jedes Lied so oft hören, wie man will –, ist natürlich ein klarer Vorteil. Der Grund, warum wir so schnell gewachsen sind und auf allen Märkten, wo wir präsent sind, die Herzen erobert haben, ist, dass der Service so einfach und intuitiv ist. Man lädt ihn herunter und hat innerhalb von Sekunden Direktzugriff auf diese 16 Millionen Lieder.
Jetzt haben wir ja auch seit November eine Application-Plattform auf Spotify. Als wir anfingen, sahen wir uns eher als ein Musikprogramm. Aber bei dem rasanten Wachstum sehen wir uns eher als eine Plattform für Musik, eine Art Betriebssystem für Musik, wenn man so will. Was wir bei Spotify zum Beispiel nie gemacht haben, ist, selbst Playlists zu erstellen. Wir haben auch kein eigenes redaktionelles Material. Wir haben aber gesehen, dass viele andere Blogger oder Entwickler unsere APIs genutzt haben, um lustige kleine Programme und Webseiten zu machen. Wir dachten uns dann, warum laden wir die nicht ein, damit die diese Sachen auf unserer Plattform machen können? Deshalb gibt es jetzt auch zum Start in Deutschland diese deutschen Apps. So etwas haben nur wir.

motor.de: Es kann also auch jeder freie Programmierer auf die Schnittstellen zugreifen und selbst irgendwelche Apps mit Spotify-Content basteln?

Axel Bringéus: Wir haben verschiedene APIs auf der Plattform, auf die hat im Grunde jeder Zugriff, das soll offen sein, man muss natürlich die AGBs von Spotify beachten. Im Moment sind wir noch am Anfang, wir haben global so um die 20, 30 Apps. In der Zukunft soll das aber komplett selfservice sein.

motor.de: Warum gibt es diesen “Facebook Zwang”, dass man sich also nur mit einem Facebook-Account neu bei Spotify anmelden kann?

Axel Bringéus: Neben dem kostenlosen Teil ist das Soziale ein anderer wichtiger Eckpfeiler für uns. Wir haben uns von Anfang an – also noch vor der Facebook-Anbindung – gesagt: Musik ist sozial, Musik soll man über seine Freunde genießen, miteinander teilen, so wie ich als ich jünger war Mixtapes gemacht hab. Und wir haben dann wie alle anderen auch gesehen, wie Facebook die soziale Infrastruktur des Web entwickelt hat. Es ist die perfekte Partnerschaft zwischen dem größten sozialen Musikanbieter und der sozialen Infrastruktur des Internet. Wir sehen auch, wie toll unsere Nutzer diese soziale Aktivität finden. Die meisten teilen gern Musik über Facebook und entdecken Musik darüber.

motor.de: “Spotify Free”, das kostenlose Angebot, hat in dieser Form kein Konkurrent zu bieten. Der Grund dafür ist sicher, dass die GEMA-Tarife nach menschlichem Ermessen unentgeltliches Streamen in dieser Größenordnung betriebswirtschaftlich kaum ermöglichen. Wie macht das Spotify denn?

Axel Bringéus: Das ist nicht nur in Deutschland so. Generell kommentieren wir die Verhältnisse zu den Verwertungsgesellschaften leider nicht.

motor.de: Dann mal andersrum: Gab bzw. gibt es Verhandlungen mit der GEMA, um die Standardtarife, die kürzlich mit der Bitkom vereinbart worden sind, irgendwie anzupassen.

Axel Bringéus: Leider kann ich mich dazu nicht äußern.

motor.de: Die GEMA hat doch solche Verhandlungen schon bestätigt.

Axel Bringéus: Wir können uns nicht äußern, tut mir leid.

motor.de: Das Free-Angebot ist in Deutschland schon eine Art Konkurrenz-Killer. Da könnte man böswillig sagen, der Größte kommt zuletzt und haut mit seiner Macht die anderen, kleineren weg.

Axel Bringéus: Spotify ist 2006 in Schweden entstanden, das ist das Heimatland von Piraterie und illegalen Downloads, “Pirate Bay” kommt aus Schweden, die Piratenpartei ist in Schweden entstanden. Als wir da starteten ging es der Musikindustrie wirklich sehr schlecht. Nicht nur in Schweden hat man ja über eine “verlorene Generation” gesprochen, über Jugendliche, die den Respekt vor dem Urheberrecht verloren hatten, die nicht mehr für Musik zahlten oder es nie gemacht haben. So ein Jugendlicher wird nicht plötzlich aufwachen und sagen: Dieses Jahr zahle ich 120 Euro für Musik. Wir wollten immer eine bessere, legale Alternative zur Piraterie bereitstellen. Als Nutzer ist man dann sehr schnell drin im Prozess, man fängt an Playlisten anzulegen und vergisst irgendwann sogar, dass man ja auch noch MP3s hat. Und der Killervorteil vom Premium-Abo ist ja, dass man die Musik mit sich tragen kann. Immer. Wenn man sich also eine Weile mit dem Produkt engagiert hat, sehen wir halt auch, dass viele auf Premium umsteigen und zahlen. Dieses “Freemium”-Modell funktioniert also tatsächlich.

motor.de: Hat dieses Free-Angebot länger Bestand, als die nächsten ein, zwei “Einsteiger”-Monate?

Axel Bringéus: Auf jeden Fall für die nächsten sechs Monate. Danach kann es sein, dass es da zu Begrenzungen kommt.

motor.de: Stimmt es, dass inzwischen jeder zehnte Schwede ein zahlender Spotify-Kunde ist?

Axel Bringéus: Ja, jeder dritte Schwede nutzt Spotify, einer von zehn zahlt auch dafür.

motor.de: Gibt es noch Plattenläden in Schweden?

Axel Bringéus: Es gibt nicht mehr besonders viele. Aber die hat es auch früher nicht mehr gegeben. Wie gesagt, Schweden ist das Heimatland der illegalen Downloads.

motor.de: Legen Sie Wert auf regionale Schwerpunkte, wenn Spotify in einem neuen Land startet?

Axel Bringéus: Uns ist es immer wichtig, dass wir mit einem so großen, kompletten Katalog wie möglich starten. In Deutschland ist es uns dann natürlich auch wichtig, dass möglichst alle deutschen Künstler vertreten sind. Wir starten auch nicht, bevor der Katalog so komplett wie möglich ist.

motor.de: Gibt es da im Einzelfall auch mal Verhandlungen mit Künstlern, um die dabei zu haben. Also die ganz Großen, die sich sonst verweigern?

Axel Bringéus: Den Katalog aufzustocken, ist ein natürlicher Prozess. Es gibt aber tatsächlich ein paar große Künstler in der Welt, die Streaming oder digitale Distribution nicht wollen und davor muss man auch Respekt haben. Streaming ist ein neues Modell, da gibt es Erklärungsbedarf. Wir bemühen uns natürlich, der Industrie und den Künstlern zu zeigen, dass es wirklich ein Zukunftsmodell ist, an dem man sehr viel Geld verdienen kann.

motor.de: Es wird immer mal gemutmaßt, dass Majors bessere Konditionen bei Spotify erhalten, als Independent-Labels. Ist da was dran?

Axel Bringéus: Auf die Verträge, die wir mit unseren Partnern haben, kann ich nicht eingehen.

motor.de: Es gibt auch immer wieder den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung, also dass Spotify von Majors bessere Konditionen eingeräumt würden als der Konkurrenz, weil diese Majors gleichzeitig ja Besitzer von Spotify wären.

Axel Bringéus: Die Majors haben einen ganz kleinen strategischen Anteil an Spotify, aber wir sind ganz klar ein unabhängiges Unternehmen.

motor.de: Es gibt gerade von Künstlerseite sehr viele Bedenken, weil die Ausschüttung von 0,00x Cent pro Stream keinesfalls ersetzen könnte, was an Einnahmen wegfällt, da die Leute Musik über Spotify hören würden, statt sie zu kaufen.

Axel Bringéus: Wir haben der Industrie seit dem Start über 200 Millionen Euro ausgeschüttet, das sind 60 bis 70 Prozent unserer Einnahmen. Aber das Streaming-Modell baut ganz klar auf Volumen, auf Masse. Man kann einen Song-Stream nicht mit einem Download vergleichen, das sind andere Einheiten, die anders konsumiert werden. Aber wenn wir in einem Land auf ein sehr großes Volumen kommen, dann kommen auch die großen Einnahmen. In Schweden sind wir schon die größte Einnahmequelle für die Musikindustrie überhaupt.

motor.de: Von den Einnahmequellen, die noch übrig sind.

Axel Bringéus: Wir schreiben die größten Schecks. Es gibt ein schönes Beispiel aus Schweden, der Künstler heißt Nomy. Wir hatten viele Anfragen, warum wir Nomy nicht im Katalog haben. Wir haben den dann gefunden, ihm erklärt, wie er auf die Plattform kommt und er hat es auf Spotify in die Topcharts in Schweden geschafft. Allmählich verdient er sein ganzes Einkommen über Spotify, hat seinen Job gekündigt und es ist für ihn eine tolle Plattform, um jetzt auch in andere Märkte zu kommen.

motor.de: Werden Spotify-Plays in irgendeiner Weise für die offiziellen deutschen Charts gewichtet? Also klopft Media Control mal an, wenn sie mitbekommen, dass Spotify in Deutschland startet?

Axel Bringéus: Also bei mir haben sie nicht angeklopft, nein.

motor.de: Man verbindet das Spotify-Angebot im Kopf sehr stark mit Popmusik.

Axel Bringéus: Im Katalog findet man wirklich alle Richtungen. Wir haben auch einen sehr, sehr starken Klassik-Katalog. Wir haben uns auch mal angeschaut, wieviele Streams von den Top 100 kommen. Das sind tatsächlich nur sechs Prozent. Das heißt, die Nutzer hören wirklich auch den ganzen Longtail an. Und: Jedes Lied ist tatsächlich wenigstens einmal gespielt worden.

motor.de: Man redet immer automatisch über “die Jugendlichen”, die Spotify nutzen. Gibt es Erhebungen über die Altersstruktur der Spotify-User?

Axel Bringéus: Unsere stärkste Zielgruppe ist ganz klar die Gruppe von 18 bis 30. Aber wir sehen auch, dass wir in allen Altersgruppen Nutzer haben. Um nochmal Schweden aufzugreifen: Meine 75-jährige Großmutter ist begeisterte Spotify-Nutzerin. Sie benutzt das „Unlimited“ für 4,99, sie will halt keine Werbung, hat aber auch kein Smartphone. Es gibt auch die Geschichte von dem 90-jährigen, der mal an die Tür geklopft hat, weil er den Customer Support sprechen wollte, weil er ein Problem mit seinem Account hatte.

motor.de: Wird es in Zukunft auch andere Angebote als Musik per Spotify geben, so à la iTunes?

Axel Bringéus: Unser Fokus ist ganz klar Musik. Es könnte eventuell sein, dass unsere Partner, die Applikationen bauen, in anderen Bereichen etwas machen. In Schweden hat zum Beispiel das öffentliche Radio fast das ganze Archiv auf Spotify bereitgestellt. Unser Fokus bleibt aber Musik, da gibt es noch jede Menge zu tun.

Interview: Augsburg

(Bild und Fotos: Spotify)