Eigentlich ist es keine neue Erkenntnis, aber man kann sie gar nicht oft genug wiederholen: Das Kino ist nicht nur ein Ort, an dem sich fleischgewordene Comichelden, Zeichentrickwesen mit putzigen Kulleraugen und Alexandra Maria Lara austoben dürfen. Nein, auf der Leinwand ist durchaus auch Platz für Menschen wie du und ich, deren Lebensentwürfe anderes vorsehen als Action und Abenteuer oder den possierlichen Plot einer romantischen Komödie.

Nehmen wir doch zum Beispiel Linda Litzke (Frances McDormand), deren Leben sich eigentlich nur um den Job im Fitnessstudio, lahme Dates mit Online-Bekanntschaften und vor allem die Schönheitsoperationen dreht, nach denen sie sich schon so lange sehnt. Irgendwann in „Burn After Reading“, der neuen Komödie der Coen-Brüder, kreuzen ein sexsüchtiger George Clooney, ein gerade gefeuerter CIA-Agent und dessen eiskalte Frau ihren Weg. Für den Zuschauer ist das alles irgendwie sehr beruhigend. Nicht nur, weil Verlass darauf ist, dass Leute wie Brad Pitt, Tilda Swinton und Co. wirklich immer Spaß machen. Sondern vor allem, weil es einfach mal nett ist, auf der Leinwand Leute zu sehen, die sich eine ganze Ecke idiotischer verhalten als man selbst.

Auch Salma ist keine Kinoheldin, die in eine Comicverfilmung passen würde. Bei der Dame handelt es sich um eine palästinensische Witwe, der das Leben nichts zu bieten hat außer ihren Zitronenbäumen. Ausgerechnet die stören dann aber den neuen Nachbarn, bei dem es sich um niemand Geringeren als den israelischen Verteidigungsminister handelt. Aus diesem Konflikt hätte vielleicht Reißerisches über den Nahostkonflikt entstehen können. Doch „Lemon Tree“ bleibt lieber ganz nah am plötzlich nicht mehr ganz so alltäglichen Alltag von Salma, was klug ist, denn die wird von der ganz wunderbaren Hiam Abbass gespielt.

Weniger um Vitamin C als um Speed und Ecstasy geht es im Leben von DJ Ickarus. Der zieht in „Berlin Calling“ von Party zu Party, bis er irgendwann in der Psychiatrie landet. Dort ist statt Tanzen dann Bewegungstherapie mit Medizinbällen angesagt, während draußen die Karriere den Bach runtergeht. Schauspielneuling Paul Kalkbrenner spielt diesen verpeilten Elektrokünstler nicht nur, sondern hat natürlich auch dessen Musik geschrieben, was an dieser Techno-Variante von „Einer flog über das Kuckucksnest“ definitiv das Beste ist.

Persönliche Tragödien spielen sich auch in „10 Sekunden“ ab, wo allerdings niemandem nach Feiern im Glanz der Discokugel ist. Der fatale Flugzeug-Zusammenstoß am Bodensee 2002 ist hier das übergeordnete Thema, aber eigentlich geht es eher um das Leben jener Menschen, die von diesem Unglück irgendwie betroffen sind. So haben dann Marie Bäumer, Hannah Herzssprung, Sebastian Blomberg und eine ganze Reihe anderer toller Schauspieler letztlich doch vor allem ganz private Probleme wie Ehekrisen, Albträume und Depression.

Wesentlich beschwingter präsentieren sich da die Senioren in Young At Heart, obwohl auch sie sich natürlich mit manchem Zipperlein plagen. Aber in dieser Dokumentation sieht man eben, wie erfrischend und belebend es sein kann, wenn man die Musik zu seinem Lebensmittelpunkt macht – und anders als Ickarus auf alle Drogen außer Lebertran verzichtet. Diese rüstigen Rentner, die sich mit ihrem Chor an Songs von den Ramones und den Talking Heads wagen, haben – und machen – einfach richtig Spaß!

Leider kann man das in dieser Woche nicht von allen neuen Filmen behaupten. „Der Love Guru“ ist ein solches Negativbeispiel, auch wenn Justin Timberlake mit Porno-Schnurrbart und ausgestopften knappem Schlüpfer ein echter Hingucker ist. Im Zentrum des Films steht allerdings Mike Myers als nicht ganz echter indischer Guru, der sich nach Amerika aufmacht. Wie schon bei „Austin Powers“ dreht sich für Myers alles um anzügliche Schenkelklopfer, doch sein Guru Pitka ist bestenfalls ein lahmer Abklatsch des Spions in geheimer Missionarsstellung.

Bleibt am Ende noch ein Rat an Til Schweiger, dessen Lebensinhalt – und Selbstverständnis – seit langem darin besteht, Deutschlands (plötzlich wieder) größter Filmstar zu sein. Das ist auch schön und gut, zumindest bis sich „Keinohrhasen“ als Eintagsfliege entpuppt hat. Was aber hilfreich sein könnte, um die Rolle als erfolgsverwöhnter Alleskönner voll zu erfüllen: keine Filme mehr mit Uwe Boll drehen. Denn der deutsche Wahl-Amerikaner macht mit seiner Computerspiel-Verfilmung „Far Cry“, in der eher Mutanten als Durchschnittsmenschen von nebenan anzutreffen sind, seinem Ruf als vielleicht schlechtester Regisseur der Welt mal wieder alle Ehre.

Patrick Heidmann