Zum Abschluss der 2009er Tour berichtet Xavier Naidoo zwischen Kindesmissbrauch und Homophobie vor allem von 9/11 und der Pflicht der jetzigen Generation.

Deutschlands Soul-Star Nummer 1 kehrt Oktober 2009 gewohnt Message beladen zurück. Mit gleich dreißig Titeln auf drei CDs verbreitet der Sohn Mannheims auf seinem vierten Longplayer die hoffnungsvolle Botschaft “Alles kann besser werden.” Eine Tour, oder besser Doppeltour, die ihn einen Abend solo, den anderen mit den Söhnen Mannheims auf den Bühnen stehen lässt, schließt sich an. Letzte Woche gibt der bibelfeste Pop-Sänger sein letztes Konzert in Leipzig. motor.de trifft ihn kurz vor der Show, um über Politk, Medien und die Musiklandschaft zu philosophieren.

motor.de: Die Tour endet heute – Dein Kurzfazit?

Naidoo: Super. Es war anders als sonst, weil wir zwei Konzerte hintereinander gespielt haben (einmal solo, das ander mit den Söhnen Mannheims – Anm. d. Red.). Man war also länger an einem Ort, das ist klar von Vorteil. Außerdem hatten wir Pausen dazwischen, was gut für die Familienväter war und natürlich auch für die Stimme. Einziger Wermutstropfen – jeder war mal krank, aber wir haben es überlebt – jetzt sind alle gesund in Leipzig zur letzten Show angekommen und wir können nochmal zwei Tage Party machen.

motor.de: In der heutigen Lokalpresse, war von Deiner Enttäuschung über die große Koalition die Rede, was Du auch in einem Song thematisierst. Wird jetzt mit dem Regierungswechsel alles besser?

Naidoo: Nein, das hat auch nicht konkret mit der Koalition zu tun, sondern eher mit der Art und Weise, wie in Deutschland und eigentlich auf der ganzen Welt regiert wird. Ich fühle mich einer Generation zugehörig, die diese Täuschung endlich entlarvt hat und sich damit nicht mehr abfinden will. Es ist mein demokratisches Recht, meine Meinung zu äußern und das mache ich jetzt auch. Es gibt viel zu viele Dinge, zu denen in den letzten zehn Jahren geschwiegen wurde. Ich finde es erschreckend, wie lange ich selbst geschwiegen habe. Ehrlich gesagt finde ich es zum Kotzen, wie viele Dinge verschwiegen oder verheimlicht oder einfach hingenommen werden. Das ist für mich unerklärlich.

motor.de: Glaubst du überhaupt noch an die Demokratie?

Naidoo: Sagen wir mal so: Ich mache mir keine Hoffnungen. Ich hoffe eher auf die Menschen und nicht auf die Systeme, die sie umgeben. Je mehr man sich auf etwas verlässt, umso mehr kann man enttäuscht werden. In erster Linie muss man an sich selbst glauben. Und vielleicht ist es eben zu groß gefasst, immer ganz Deutschland in alles einzubeziehen. Das ist ein 80 Millionen Volk – ich fände es viel besser, wenn man eine regionale Demokratie hätte. Wie soll man denn ein Land wie Deutschland aus einer Stadt heraus regieren, oder sogar ganz Europa? Das ist doch vermessen. Ich weiß viel besser, was in meiner Region Sache ist, als da oben im Norden am Meer. Mir wäre es viel lieber, wenn die Leute sich regional engagieren und informieren würden. Welche Betriebe stehen da an der Kippe, wo kann ich anstatt japanischer oder chinesischer Produkte einheimische Sachen kaufen? Aber da wird denke ich viel passieren in den nächsten Jahren. Ich für meinen Teil kann mit meiner Musik dazu anregen, sich Gedanken zu machen und einfach meine Meinung sagen.

motor.de: Also fängt es bei jedem Einzelnen im eigenen Umfeld an?

Naidoo: Ich finde, der Spruch „Think global – act local“ trifft es genau auf den Punkt. Wir werden nächstes Jahr sicher vor großen Problemen stehen. In einer Rezession kennt man Leute, die arbeitslos sind – in einer Depression ist man selbst arbeitslos. Ich glaube, wir müssen uns wappnen für das, was da kommt. Wir haben viel zu lange vertraut, geglaubt und kooperiert. Und jetzt müssen wir dafür bezahlen. Andere Generationen hatten andere Fehler, wir haben es einfach zu lange schleifen lassen. Uns von Krawatten- und Anzugträgern täuschen lassen, die im Enddefekt von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.Weder von Kriegsführung, noch von Frieden, noch vom Haushalt. Es ist für den Arsch, diese Leute weiter in der Regierung zu lassen. Da macht man sich selbst was vor.

motor.de: Und du denkst, dass sich da in unserer Generation noch was ändern kann?

Naidoo: Nur unsere Generation kann das noch ändern. Wir dürfen den Staffelstab nicht weitergeben. Wir dürfen die Ohrfeige nicht weitergeben, wie das der Geselle immer an den Lehrling weiter gab. Das kann man auch von Jesus lernen. Eine einzustecken und sie nicht weiterzugeben. Das ist jetzt unser Ding. Wir müssen mit den vielen Schulden klarkommen, wir können diesen ganzen Wahnsinn nicht wieder der nächsten Generation überlassen. Wir haben die Möglichkeit, die Dinge zu ändern, sind in einer Zeit geboren, in der uns viele Einblicke gegeben wurden. Viel mehr als in den Generationen vor uns. Daraus müssen wir auch was machen.
Eine Schlüsselfrage ist für mich, was am 11. September 2001 passiert ist. Das ist für mich am allermeisten zum Kotzen, dass darüber niemand berichtet. Die Amerikaner haben die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg seziert, niemand konnte verstehen, wie es möglich war, dass keiner was von den Konzentrationslagern mitbekommen hat. Aber jetzt kann man ganz gut nachvollziehen, wie so was kommt. Wenn heute jemand was sagt, sind das Verschwörungstheorien. Man hat Angst was zu sagen und wenn, wirst du als wahnsinnig dargestellt. Keiner traut sich, die ganzen Kriege werden jetzt einfach hingenommen. Wenn das wirklich alles gefaked war, dann ist das für mich ein Anschlag auf den Islam.
Was sagen unsere Politiker dazu, glauben sie diese Geschichte vom 9.11., wie sie uns von Amerika aufgetischt wird? Haben die eine Ahnung? Dieses schöne deutsche Wort beschreibt das sehr gut – Ahnung. Das kann ganz viel bedeuten. Wenn sie nämlich keine Ahnung haben, dann sind sie da nicht richtig. Und wenn sie eine haben, äußern sie sie nicht, was genauso zum Kotzen ist. Wir werden noch viele Politiker ihren Stuhl verlassen sehen. Die denken, unsere Generation wäre apolitisch, aber das Gegenteil ist der Fall.
Die CIA hat Osama Bin Laden noch nie wirklich angeklagt. Man hat keine Beweise dafür. Und ich habe da ein Problem mit der deutschen Medienlandschaft. Kann man das so totschweigen? In welchem Film leben wir denn? Haben die Amerikaner so viel Macht, dass sogar in Deutschland, wo es so viele Freidenker gibt, die Augen davor verschlossen werden? Wo man doch nach dieser Vergangenheit gesagt hat, dass man so etwas nie wieder hinnehmen wird? Und jetzt?! Das war ein Anschlag auf den Islam und es ist allen egal. Man denkt sich nur „Der hat einen Vollbart, das könnte schon ein Terrorist sein.“ Ich bin mir sicher, dass man sich verkalkuliert hat.


motor.de: Wo du gerade von unserer und der letzten Generation sprichst – dürfen Deutsche eigentlich wieder stolz auf sich sein?

Naidoo: Ich kann mit dem Wort ‘Stolz’ nichts anfangen, das kann man getrost sterben lassen. Ich mache sehr viel an Worten fest. Auf meinem Album habe ich z.B. auch das Wort ‘Kindesmissbrauch’ zum Thema gemacht. Dieses Wort ist unverschämt. Wenn man ein Kind missbraucht, kann man es also auch korrekt gebrauchen? Ich habe mit gewissen Worten Probleme. Stolz brauche ich wirklich nicht. Deutschland ist im Bezug auf das Wir-Gefühl etwas skeptisch, und somit haben sich auch viele von der Sprache entfernt. Langsam wird diese wieder entdeckt und man kann gewisse Dinge über sich auch nur durch die Sprache entdecken. In der Sprache sind Schätze verborgen, die man mit dem, was man sieht und fühlt abgleichen muss. Inzwischen wird wieder viel mehr deutsche Musik akzeptiert und gehört, es wird langsam natürlicher.

motor.de: Was hältst Du von folgender These: “Früher war Xavier eher ein Unterhaltungsmusiker, inzwischen ist die Musik das Medium für seine Message.”

Naidoo: Ja, diese Entwicklung gab es. Ich war mir immer bewusst, dass man wachsen muss. Man kann die Leute am Anfang auch noch nicht mit Meinungen und Interpretationen überfordern. Ich hatte aber immer den Plan, dass ich mich immer weiter spezialisieren werde und inzwischen nenne ich auch die Namen von den Leuten, die für diese beschissene Situation verantwortlich sind. Das werde ich auch weiter ausbauen.



motor.de: Als Gastdozent an der Popakademie in Mannheim schulst du Studenten im Songwriting – ist das nicht absurd, wo doch in Zukunft, wenn nicht schon jetzt, als Berufsmusiker kaum noch Geld verdient werden kann?

Naidoo: Man muss mit den Gegebenheiten und Anforderungen wachsen. Wenn man nicht mehr nur durch Platten Geld verdienen kann, muss man eben live spielen. Heute ist es noch so, dass viele nur Songs schreiben oder nur performen. Und die werden früher oder später aufhören müssen. Es wird eine härtere Auslese geben, und die, die nicht live spielen und gleichzeitig ihre eigenen Songs schreiben können, werden nicht überleben. Diejenigen, die viel Hilfe für das Songschreiben und die Produktion brauchen, werden sich das nicht mehr leisten können. Aber ich glaube, dass es trotzdem ehrliche, gefühlvolle und handgemachte Musik geben wird. Wahrscheinlich wird sich auch das ein oder andere Gesetz noch ändern.

motor.de: Was hältst du in dem Zusammenhang von einer Kulturflatrate im Internet?

Naidoo: Wenn man das umsetzen kann. Da hätte ich aber wieder Angst, dass noch ein Gremium geschaffen wird, und davon gibt es schon genug…

motor.de: …und letztendlich gewinnt wieder nur Bohlen…

Naidoo: Langsam mache ich Bohlen seinen Platz streitig – ich schreibe auch sehr viele Songs!

motor.de: Das heißt man sieht dich bald bei „Deutschland sucht den Superstar“?

Naidoo: Nein, das nicht. Aber ich finde diese Idee sehr reizvoll. Natürlich nicht für das zeug, aber für Black Music. Mir wäre außerdem wichtiger, dass Künstler gesucht werden, die ihre eigene Musik schreiben. Ohne ein großes Produzententeam dahinter. Es gibt genügend Leute, die selbst schreiben und super Sachen machen.

motor.de: Stichwort Black Music: Momentan ist wieder die Debatte um ein Auftrittsverbot für Reggae Künstler mit homophoben Texten ein Thema. Was hältst Du von den aktuellen Ereignissen im Rahmen der jüngsten Sizzla-Tour?

Naidoo: Ich bin mit Schwulen groß geworden! Mein Onkel ist schwul, ich habe schon als kleines Kind Männer gesehen, die sich küssen. Das ist bei den Jamaicanern einfach anders. Wenn Du ihnen mit dem Thema kommst, sind sie wie Elefanten vor einer Maus. Sie scheinen nicht in der Lage, das zu überwinden. Ich rege mich immer über diese Christen auf, die sich darüber ereifern, dass Schwule nicht heiraten dürfen – die sollen sich mal um den ganzen anderen Schwachsinn kümmern, der so in der Welt passiert, das wäre viel wichtiger.

Interview: Kai-Uwe Weser