Chrs Keating über visuelle Konzeptionen, den Zusammenhang von Text und Musik und das Boxen.

Auf ihren bisherigen beiden Alben boten Yeasayer eine Stilvielfalt, die etliche Zitate und Querverweise auf die vergangenen Jahrzehnte Musikgeschichte bietet. Während in der Bandbeschreibung ihrer MySpace-Seite ENYA with BOUNCE steht, bezeichnen sie selbst ihre Musik als Middle-Eastern-Psych-Pop-Snap-Gospel und zeichnen damit allen Schubladendenkern ein dezentes Fragezeichen ins Gesicht. Höchste Zeit zu klären, was hinter der Musik von Yeasayer tatsächlich steckt. Wir trafen Sänger Chris Keating in einem schummrigen Nebenzimmer der Berliner Maria am Ufer. Was er über fremde Sichtweisen, Genreschubladen und seine Inspirationsquellen zu sagen hat, erfahrt ihr im motor.de-Interview.

motor.de: In diesem Jahr tretet ihr bereits das zweite Mal in Berlin auf. Mögt ihr es hier?

Chris Keating: Ich liebe es hier. Ich habe sogar mal sehr lange überlegt, hier herzuziehen, habe auch viele Freunde hier, die aus den Staaten hergezogen sind. Logistisch ist das aber ziemlich schwierig, da wir alle in New York ansässig sind.

motor.de: Steht euer aktuelles Album “Odd Blood” unter einem bestimmten Thema? Für mich scheint es viel um Liebe und deren Konsequenzen zu gehen.

Chris Keating: Ja, wir haben in der Tat versucht, so etwas wie Liebeslieder zu schreiben, entschieden uns aber für einen besonderen Weg: Wir wollten die Songs stets von einem fremden (“Alien“)-Standpunkt heraus schreiben. Ich finde, es ist eine recht interessante Idee, die Lieder so zu verfremden, dass es zwar um Liebe geht, aber alles ein bisschen anders wirkt.

motor.de: Worin zeichnen sich diese Standpunkte denn aus?

Chris Keating: Schon musikalisch gesehen besteht unser Sound aus einer Verknüpfung von verschiedenen Klangbildern aus unterschiedlichen Zeitepochen aus allen Ecken der Welt. Das alles wird zu einer Art neuen, kulturellen Machwerk rekombiniert. Also habe ich mich gefragt, wie so etwas für jemanden klingen würde, der das alles nicht kennt. Das meinte ich damit: Etwas Ungewohntes eben.

motor.de: Wenn du so von Fremdem sprichst, muss ich an Bommel denken, den Star eures Videoclips zu “Madder Red”. In den Youtube-Kommentaren gibt es einige Diskussionen über die Bedeutung des Clips. Kannst du Aufklärung geben? Was war eure Intention für den Clipdreh?

Chris Keating: Der Regisseur des Videos ist der Schwede Andreas Nilsson. Er war einmal in Schottland auf einer Schaf-Farm. Dort sah er die Geburt eines Babyschafs, welches jedoch einarmig, einbeinig und völlig deformiert zur Welt gekommen ist. Das hat bei ihm einen ziemlich krassen Eindruck hinterlassen und ihm die Idee gegeben, dieses Video zu drehen. Unsere früheren Clps waren ziemlich psychedelisch und abgehoben. Dieses Mal wollten wir ein bodenständiges Grundthema haben. Diese ganzen bekannten Strukturen und Charaktere wie eben jemand, der sein Tier liebt, wollen wir auf den Kopf stellen – weshalb dieses Haustier bei uns auch diese bizarre, deformierte Kreatur ist. Wie eben das schon angesprochene Thema Liebe, wollten wir auch dieses Thema von einer fremden Perspektive aus betrachten.

Yeasayer – “Madder Red”

 

motor.de: Euer Sound auf “Odd Blood” klingt viel digitaler als auf eurem ersten Album “All Hour Cymbals”. Liegt das am Ausstieg eures Drummer Luke Fasano im letzten Jahr?

Chris Keating: Um ehrlich zu sein, haben wir für das erste Album auch viel mit Elektronik gearbeitet, sind nur anders damit umgegangen. Ich finde, dass man den progressivsten und interessantesten Sound mittels elektronischer Musik erreichen kann. “All Hour Cymbals” wurde sogar ohne unseren Drummer aufgenommen. Erst nach den Aufnahmen kam er zu uns und wir tourten mit ihm, bis er danach die Band wieder verließ.

motor.de: Gibt es einen speziellen Grund, wieso eure Lyrics nicht in euren Booklets abgedruckt sind?

Chris Keating: Ich finde, dass unsere Texte nur in der Verbindung mit der Musik wirken. Wenn sie also nur niedergeschrieben sind, wird dieses Band zerrissen, was das Ganze in die Poesie-Schublade schiebt. Ich möchte nicht, dass jemand nur die Lyrics liest ohne die dazugehörige Musik zu hören. Ich mag die Idee, dass der Leser seinen eigenen Sinn darin findet.

motor.de: Ihr scheint euch ungern zu wiederholen und konstant weiterzuentwickeln. Woran arbeitet ihr zur Zeit?

Chris Keating: Wir sitzen gerade schon an neuem Material. Aber das ist eher ein aufeinander aufbauender Prozess. Die Kunst, die man kreiert, ist immer eine Art Erzeugnis aus dem, was man konsumiert. Sei es ein Lied, das man hört oder ein Bild, das man betrachtet. Am Ende steht bei uns dann ein Album als Reflektion all dieser Sachen. Zur Zeit befasse ich mich viel mit Ambient-Musik, auch deutsche Sachen. Außerdem höre ich gerade viel Horrorfilm-Soundtracks der 70er oder auch Opern. Mal sehn, was daraus dann entsteht.

motor.de: Ist es also immer noch so, das ihr eurer Musik cinematische Qualitäten geben möchtet, wie ihr es in einem Interview vor geraumer Zeit gesagt habt? Wie würde ein Film mit einem Yeasayer-Soundtrack aussehen?

Chris Keating: Oh, ich weiss nicht. Filmsoundtracks inspiereren mich generell wirklich sehr. Unsere Clips sind ja auch schon kleine Filmchen mit den dazugehörigen Soundtracks. Ich mag es, auf einer ganzen Geschichte aufzubauen, die aus speziellen Charakteren, Orten und Ideen besteht. Wir überlegen zur Zeit auch, Videoszenen in unsere Live-Shows einzubauen. Das wird dann davon abhängen, wie das nächste Album klingt.

motor.de: Habt ihr jemals daran gedacht, ein visuelles Gesamtkunstwerk wie etwa Animal Collective‘s “Oddsac” zu erstellen?

Chris Keating: Ja, das wäre großartig! Das ist aber ein heikles Thema: Es sollte unabhängig von der Band für sich allein stehen. Und das ist nicht oft der Fall. Es braucht auch einiges an Zeit; für jeden in der Band wäre so etwas sicher schwer zu bewerkstelligen.

Animal Collective – Trailer zu “Oddsac”

motor.de: Eure Musik klingt wirklich ziemlich einzigartig. Fühlt ihr euch als Art Pioniere irgendeiner bestimmten musikalischen Bewegung?

Chris Keating: Nein, nicht wirklich. Aber es gibt auf jeden Fall eine Veränderung zwischen der Generationen. Die derzeitigen Musiker sind beeinflusst von einer riesigen Bandbreite von Musik. Das ist total cool und ich denke auch ein Produkt des Internets und technischen Innovationen wie Computern oder dem Ipod. Es fühlt sich an, als ob mittlerweile sehr viele Leute einen enorm breit gefächerten Musikgeschmack haben. Und deshalb werden auch Einflüsse weitergegeben, was dann zu einzigartigen Sachen führt. Es gibt nicht mehr so etwas wie: “Ich steh nur auf Blues” oder “Du bist ein typischer Metal-Hörer”. Musik ist mittlerweile nicht mehr genrefixiert, es geht viel mehr um die Konsistenz, den Inhalt und die Ideen, die dahinter stehen.

motor.de: Könnt ihr euch vorstellen, politische Songs zu schreiben? “Ambling Alp” reißt das Thema ja ein wenig an. Oder was ist an eurer Geschichte über den italienischen Boxer Primo Carnera dran?

Chris Keating: Die Idee gab mir Joe Louis. Das war ein schwarzer, amerikanischer Boxer aus den 40ern. Er wurde selbst in einem zu der Zeit sehr rassistischen Amerika zu einem großen Held. Louis bekämpfte nicht nur den italienischen Hünen Primo Carnera sondern auch den “Nazi-Champion” Max Schmeling. Später wurden Louis und Schmelig Freunde. Das ist eine ziemlich interessante Geschichte. Der politische Verweis ist dabei nicht notwendigerweise entstanden. Er trägt aber ebenso zum Song bei wie die bloße Idee zweier Menschen, die gegeneinander kämpfen. Mein Großvater war außerdem auch ein Boxer, deshalb fand ich die ganze Thematik auch recht spannend.

motor.de: Es gibt ja nicht viele Songs über das Boxen.

Chris Keating: Ja, aber einige gute sind schon dabei! Zum Beispiel “Hurricane”, der großartige Bob Dylan-Song. Der amerikanische Songwriter Paul Wililams schrieb auch einen sehr coolen Song über das Boxen. Auch das hat mich inspiriert. (überlegt) Auch Bill Fay hat einen Song mit dem Namen “The Cosmic Boxer” geschrieben. Der ist echt verrückt. Ich hab keine Ahnung, worum es in dem Lied geht, aber es es ist echt einer meiner Lieblingssongs! (lacht)

motor.de: Via Twitter liefert ihr euren Fans sehr viele Informationen. Spielt diese Art der Verbindung mit euren Fans eine wichtige Rolle für euch?

Chris Keating: Ja, das ist sehr wichtig! Twitter ist wie eine Art Revolution. Du brauchst keine riesigen Medienzentralen oder Magazine mehr. Mittlerweile gibt es viele kleinere Websites, die nur von einigen wenigen Personen geführt werden. Durch den direkteren Kontakt kannst du viel besser kommunizieren, du kannst Musik teilen… das ist cool und zerrüttelt das ganze Corporate Music System, was seit vielleicht 50 Jahren besteht und eh ziemlicher Bullshit ist. Ich brauche doch keine Werbefirma, um zu werben. Nun ist das alles viel einfacher, ich schreibe: Wir geben ne Show, kommt her! Für sowas braucht man auch keine Plattenfirma.

motor.de: Würdet ihr euch also auch nicht als “Rockstars” bezeichnen?

Chris Keating: Nein, ich bin kein Fan dieser ganzen Idee. Was man damit asoziiert, sind ja meistens faule, genusssüchtige und besoffene Leute wie Axl Rose …so ein Primadonna-Scheiß. Ich finde nicht, dass das wirklich cool ist. Ich mag es auf jeden Fall, für die Leute zu spielen. Aber diese Idee von Groupies und Drogen, das ist nicht meins.

motor.de: Gibt es so etwas wie ein spezielles Ziel, eine Richtung für Yeasayer?

Chris Keating: Für so viele Leute wie möglich zu spielen ist so ein Ziel – dafür wollen wir aber keine Kompromisse eingehen. Wir wollen nicht, dass Leute uns sagen, unser Video müsse so und so aussehen oder unsere Musik müsse so und so klingen. Wir versuchen uns einfach weiter zu entwickeln und dabei eben das auszudrücken und zu reproduzieren, was ich mein gesamtes Leben über genossen habe.

Interview: Danilo Rößger