Weg vom Status eines Newcomers und angekommen in der Mitte der Musiklandschaft, holen Yeasayer mit “Fragrant World” zum großen Rundumschlag aus – im motor.de-Interview geben sie die ganze Story preis. Durchzogen von Licht, Schatten und Phil Collins irgendwie.
(Foto: Guy Aroch)
Vom Internethype zur gefeierten Band und zurück. Als Yeasayer 2007 mit “All Hour Cymbals” durch die Blogosphere geisterten, kannten zwar alle Hipster ihre Songs, wer sie allerdings sind, das blieb im Verborgenen. Der Eklektizismus des hauseigenen Songwritings sorgte zu allererst für Furore und bei der damals noch vierköpfigen Band für Glückgefühle: “Man mag es kaum glauben, aber bei den ersten Konzerten wussten die Leute nicht, ob wir Support oder Headliner sind – kaum jemand kannte unser Aussehen und nicht wenige haben Yeasayer darum beneidet. Der Fokus lag allein auf der Musik und das ist ein totaler Vorteil, wenn du mich fragst”, erinnert sich Frontmann Chris Keating und weiß zugleich, dass sich dieses Versteckspiel spätestens mit dem letzten Album “Odd Blood” änderte – vor zwei Jahren veröffentlicht, hievte die Band das Teil von jetzt auf gleich in die gedruckten Magazine der Welt und aus dem digitalen Hype wurde eine reale Band – eine zum Anfassen.
Zumindest geben sich Yeasayer zum Interviewtermin sehr bürgernah: Während Keating vor dem Diktiergerät hockt, unterbricht er immer wieder den Redefluss, stellt Gegenfragen, will wissen, was man selbst so treibt und spricht gerne über alles, was nicht mit seiner Band zu tun hat – “und ihr habt noch Glück”, versichert er umgehend, “wir sind hier noch am Anfang der ganzen Journalistengespräche. Ladet uns in zwei Wochen noch mal ein: Da fehlt jede Motivation immer wieder dieselben Geschichten zu erzählen.” Blöd halt, wenn man ein neues Album am Start hat und es auch noch so eines wie “Fragrant World” ist: Durchzogen von dunklen Stories, hat sich auch der Sound ins Kellergeschoss begeben und ist längst nicht mehr so verspielt wie es “Odd Blood” war. Tanzbar ohne Frage, ist der unelitäre Genre-Mix irgendwo zwischen Elektronikpop, psychedelischem Rock und sanfter Nonchalance angesiedelt.
Im motor.de-Interview versuchten wir uns auf die Fakten zu konzentrieren und befragten Chris Keating nach seiner Vorstellung von einer perfekten Welt, Ronald Reagan als alternativloser Präsidentschaftskandidat und warum Phil Collins im Kreise der Band oftmals Erwähnung findet.
Yeasayer – “Henrietta”
motor.de: Habt ihr heute schon Zeitung gelesen?
Chris Keating: Ähm, ja, wieso?
motor.de: Weil man den Eindruck bekommt, Yeasayer entwickelt sich mit den Jahren zu einer politischen Band.
Chris Keating: Bekommt man den?
motor.de: Auf “Fragrant World” sind mindestens die Hälfte aller Songs mit Botschaften bepackt: Der Opener thematisiert das respektlose Spiel mit dem Geld, “Henrietta” die Rassentrennung in Amerika Mitte letzten Jahrhunderts und ein Track heißt sogar “Reagan’s Skeleton”.
Chris Keating: (überlegt lange) So gesehen sind wir eine politische Band. Allerdings geht es uns nicht nur um die Moral der Geschichte, sondern um die Story selbst, die wir erzählen. Soll heißen: Yeasayer legen viel Wert darauf, dass nicht nur die Songs rein musikalisch stimmen, sie müssen auch etwas zu sagen haben und wenn dies nicht der Fall ist, gibt es meiner Meinung nach keinen Grund ein Album zu veröffentlichen.
motor.de: Immerhin seid ihr abseits der eigenen Songs große Phil Collins-Fans und seine Message ist nun wirklich nicht vielschichtig.
Chris Keating: (lacht) Sehe ich komplett anders. Das Publikum, dass er erreicht ist größer und wenn er einen Track wie “Another Day In Paradise” aufnimmt, gibt es zwei Möglichkeiten: Es entweder so hochtrabend auszudrücken, dass nur einige das verstehen oder den Inhalt herunter zu brechen, damit der Song im Nachmittagsradio laufen kann und auf diese Weise jeden erreicht.
motor.de: Dann wollt ihr das nicht: Ins Nachmittagsprogramm?
Chris Keating: Aus einem Stück wie “Henrietta” einen Collins-Track zu abstrahieren, wird schwer. Aber darum geht es nicht, sondern um die Musik, die uns vor Augen schwebt und “Fragrant World” ist ein weiterer Schritt dorthin, wo wir hin wollen.
motor.de: Für viele seid ihr eine tanzbare Indie-Elektroband und doch sind eure Texte alles andere als leicht verdaulich. Fühlt man sich da manchmal missverstanden?
Chris Keating: Ganz und gar nicht. In der Popmusik dürfe solche Schnitte zwischen Melodie und inhaltlicher Ebene durchaus passieren und nicht umsonst laufen Joy Division in jedem Indieladen – die singen ebenso vom Ende der Welt. Machten das aber auf eine Weise, zu der du tanzen kannst.
motor.de: Wer ist diese “Henrietta” im gleichnamigen Song eigentlich?
Chris Keating: Für mich das zentralste Stück auf dem Album: Sie war in den fünfziger Jahren eine Krebspatientin aus Baltimore. Und verstarb an einer medizinischen Sensation, die gegen ihren Willen geschah. In Amerika wurden Schwarze damals nur in bestimmten Krankenhäusern behandelt und als man ihr Gewebematerial entnahm, entdeckten die behandelnden Ärzte Zellen, die sich immer wieder teilten und ein Eigenleben führten.
motor.de: Fast könnte man glauben, es ginge um ihren Ruhm. Der Song beschreibt aber eher die dunkle Seite der Geschichte.
Chris Keating: Genau. Auch ihre Familie hatte am Ende nichts von allem, keine Entschädigung oder Beileidsbekundung. (Überlegt) Das sind halt Sachen, die man aufgreift und bei denen ich das Gefühl habe, dass sie ganz gute Stories ergeben können – natürlich ist es eine Herausforderung, die Themen an die Musik anzupassen.
motor.de: Demgegenüber kommt der Republikaner Ronald Reagan sehr gut weg – er scheint fast alternativlos.
Chris Keating: Es war in den Achtzigern wie verhext: Heute wären wir alle froh über einen Präsidenten wie Jimmy Carter, damals wählten sie ihn ab. Reagan war der exakte Gegenentwurf zu ihm: Braungebrannt, ein guter Schauspieler im wahrsten Sinne des Wortes und äußerst willensstark. Meine Eltern – alles andere als republikanische Stammwähler – sahen in ihm und seinem Kompagnon Bush Senior durchsetzungsfähige Typen. Die Fassade spielte eine große Rolle – was mit ihm jedoch politisch kam, war alles andere als aufbauend.
motor.de: Warum aber neben all den flotten Songs auf “Fragrant World” diese Untergangsstimmung?
Chris Keating: Es ist keine wirklich Apokalypse und mir persönlich gefiel ein gewisser Gegensatz bei Bands schon immer – du hörst zuerst der Musik zu und dann, nur einen Moment später, bemerkst du, was der Sänger da von sich gibt und wie sehr dies einen Anreiz darstellt, es sich weiter anzuhören. (denkt nach) Die Stimmung sollte dieses Mal dunkel bedrohend sein.
motor.de: Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die es mit einem ähnlichen Sound wie ihr versucht, haben Yeasayer das Publikum für sich gewinnen können.
Chris Keating: Als ich mit der Musik angefangen habe, waren die Genres ziemlich sauber voneinander getrennt: Sonic Youth haben Gitarren benutzt und DJs das Mischpult im Studio angeschmissen. Allerdings gab es vor zehn, fünfzehn Jahren bereits Künstler, die diese Kategorien durchbrechen wollten, ähnlich wie wir.
motor.de: Und jetzt habt ihr einfach die Politik oben drauf gepackt?
Chris Keating: Ich lese halt Zeitung, da kann das schon mal passieren (lacht).
Marcus Willfroth
Yeasayer – Live 2012:
16.09. Berlin – Astra
23.09. Köln – Bahnhof Ehrenfeld
(Foto: Anna Palmer)
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