Wir träumen: Früher war alles besser. Da hat man sich noch die Gitarre geschnappt, eine Bühne gesucht, und zack, war man berühmt. Ganz so einfach ist es vielleicht nicht, aber die Zeiten haben sich definitiv geändert: Die neuen Künstler von heute müssen mehr machen als "nur" Musik. Clemens Kluck und Sönke Strauch von Yesterday Shop scheinen das verstanden zu haben. Wir haben uns mit den Beiden in Berlin getroffen, um uns den Entwurf für zeitgemäßen Indie-Gitarren-Pop im Sinne Yesterday Shops ein wenig genauer erklären zu lassen.
Als sie sich in die Sessel fallen lassen, haben Sönke und Clemens gerade einen ziemlich ausführlichen Soundcheck für ihr Konzert in Berlin hinter sich. Ein paar Tage zuvor waren sie noch in Toronto, haben da aber keinen Urlaub gemacht, sondern sich um die Band gekümmert, auf der Canadian Music Week, einer Art Festival mit angeschlossenem Musikkongress. Wer sich jetzt eine Band vorstellt, die sich in ein viel zu enges Hostel-Zimmer quetscht, denkt allerdings total 1990, denn heute gibt es ja Couchsurfing:
Sönke: Wir hatten da Glück. Eigentlich wollten wir erst zu Freunden in Toronto, aber die konnten uns nicht alle beherbergen. Daher haben wir dann was für uns fünf Jungs gesucht, und dachten, probieren wir mal Couch-Surfing. Da hat uns dann ein nettes Mädel angeschrieben, die wohnte in einem 25 Stockwerke hohen Gebäude oben mit Penthouse…
Clemens: Sah aus wie der Allianz-Tower, nur dass da halt jedes Gebäude so aussieht.
Sönke: Ein wenig Vorort-Shanghai-mäßig sah das da aus. Und wir hatten dann das Glück, im 21. Stock wohnen zu dürfen. Und im Erdgeschoss gab’s auch nen Pool. Das war … schön!
Schön. Ja, vermutlich schon. Stellen wir uns vor, wie Yesterday Shop auf dem Dach des Allianz-Towers über einer Vorort-Shanghai-Kulisse trohnen, die aber eigentlich in Toronto ist. Und das ist dann auch noch Couchsurfing. Aber nun genug geträumt, schließlich geht es ja um Musik:
2012 haben Yesterday Shop ihr gleichnamiges Debüt-Album veröffentlicht, auf dem sie mit drei Gitarren und nicht zu wenig Hall durchaus adrette Soundwände bauten. In diesem Jahr kommt der Nachfolger Parodos. Wie man beispielsweise bei Wikipedia in Erfahrung bringen kann, ist der Parodos der Einzug des Chores in der Griechischen Tragödie. Klingt ja erstmal nach Hochkultur. Aber das wird doch schon was zu bedeuten haben, oder?
Clemens: Das war eigentlich eher Zufall. Ich habe Texte geschrieben, die sich einzelne Biographien anschauen, und dann Sachen, aus denen man nicht mehr herauskommt. […] Mir ist dann irgendwann aufgefallen, dass das auf die Griechische Tragödie übertragbar ist, wo ja auch von Anfang an klar ist, dass die Hauptcharaktere in die Katastrophe schlittern, und keine Chance haben sich da irgendwie heraus zu fädeln. Aber das klingt ja sehr negativ. Daher versuchen unsere Texte auch, einen positiven Ausweg zu zeigen. Und der positive Ausweg in der Griechischen Tragödie ist ja eigentlich der Chor, denn der Chor zeigt ja, dass es etwas gibt, was außerhalb des Ganzen steht und auf das Ganze drauf schaut. […] Jede noch so große Katastrophe bietet immer auch eine Hintertür, durch die man noch entweichen kann.
Die Band wäre also der Chor, der den verzweifelten Menschen von heute den Ausweg aus den Katastrophen ihres Lebens zeigen möchte. Klingt nach viel Bedeutung und so, als würden die Jungs das auch wirklich Ernst nehmen, was sie da tun. In diese Richtung geht auch das, was auf Parodos passiert:
Sönke: Wir hatten früher extreme Soundwände mit drei Gitarren. Wenn das jetzt aber nur noch eine Gitarre ist und ein Klavier, dann ist das wesentlich direkter. Es gehört da durchaus mehr Selbstvertrauen dazu, da sind wir schon stolz drauf. Also nicht mehr, einer versteckt sich hinter dem anderen, und wenn man sich verspielt, dann ist es auch egal. Jetzt muss es halt klappen.
Ja, es muss klappen, und scheinbar ist das auch der Fall. Parodos ist streckenweise sicher ein eher opulentes Album, aber es bleibt hängen, wirkt dabei weniger verspielt als der Vorgänger. "Direkter" ist weniger der Sound, als vielmehr der geradlinige Weg hin zum Klimax der Songs, die sich fast immer in ungeahnte Höhen empor schwingen, ohne es dabei zu übertreiben. Dazu passend ist Clemens' Stimme, die ab und an übrigens sehr an jene von Coldplay's Christ Martin erinnert, die Zuckerglasur, die aus den Zutaten erst ein köstliches Törtchen zaubert. Was hier passiert, ist technisch perfekter "alternativer" Pop, der aber immer genug Kanten behält, um interessant zu bleiben. Und eine dieser Kanten ist das Musikvideo zu Trees & Games, das sicher einen Preis für die widerlichste Inszenierung von Pommes Frittes gewinnen könnte:
Clemens: Wir haben eine halbe Stunde vor der Szene noch eine Pause gemacht. Und ich hab in der Pause schon ‘ne Currywurst mit Pommes gegessen. Und man dreht das halt so zehn Mal. Mir war wirklich schlecht, ich hatte keine Lust mehr auf Pommes, und musste mir das dann auch noch auf eine ekelhafte Art und Weise in den Mund schieben… Das war auf jeden Fall nicht die schönste Erfahrung meines Lebens.
Der Mann geht an’s Limit. Überhaupt scheinen Yesterday Shop gerade dadurch zu funktionieren, dass sie erst dann richtig los legen, wenn andere einknicken würden. Die Suche nach einem Label wird frustrierend? Na, dann wird halt eins gegründet, nämlich Trickser:
Clemens: Wir haben das gemacht, als wir unser erster Album fertig hatten. Als wir dann mit verschiedenen Leuten von Labels gesprochen hatten, haben wir gemerkt, dass eigentlich nirgendwo so richtig der Funke übergesprungen ist. Es gab keine Konstellation hinter der wir wirklich gestanden hätten, und eben das war uns wirklich wichtig. Irgendwann kamen wir dann auf die Idee: Warum machen wir das eigentlich nicht selber? […] Dann haben uns alle gesagt: ‚Seid ihr bescheuert? Ein Label? Macht ne Booking-Agentur auf, oder ein Verlag, aber doch kein Label!‘ Gerade das war dann das reizvolle für uns. […] Gerade für ein kleines Liebhaber-Label ist sicher noch ein Publikum da, und daher haben wir das gemacht. Und bisher war das die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Wir sind unabhängig in all unseren Entscheidungen. Aber wir tragen, wenn wir etwas verbocken, finanziell auch selbst die Konsequenzen.
Sönke: Man strengt sich eigentlich doppelt an.
Sich doppelt anstrengen, voll dahinter stehen, gute Musik machen und dabei noch andere Bands managen. Früher war vielleicht einiges einfacher. Aber heute gibt es Yesterday Shop.
(Foto: Jenny Schaefer / Text: Carsten Brück)
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