Eigentlich sollte sich im motor.de-Interview mit Young Man alles um deren Debüt “Vol. 1” drehen, doch Colin Caulfield überraschte uns mit mutigen Statements zum Copyright und erklärte die Vorzüge illegaler Downloads.

(Foto: Verstärker)

Er gehöre der Generation von Musiknerds an, die jede Band übers World Wide Web entdeckt habe, bekräftigt Colin Caulfield am Ende des Gespräch noch einmal und vergewissert sich kurz, dass nichts vom dem, was im Vorfeld geäußert wurde, schräg oder irgendwie abgedroschen rüberkam. Immerhin haben wir es im Zuge des Young Man-Debüts “Vol. 1” mit einer blutjungen Band zu tun, deren Chef gerade alt genug ist, um ein Studium beginnen zu dürfen und prinzipiell vorsichtig bei Interviews sein sollte: Andererseits ist die erfrischende Art, das Unverbrauchte und die leichte Naivität zwischen seinen Aussagen eine willkommene Abwechslung zum sonstigen Promotion-Einmaleins. Thematisieren wir vor dem anschließenden Gespräch aber kurz die Hintergründe, die zum Interviewtermin mit Caulfield führten.

Young Man als taufrisch zu bezeichnen, wäre nämlich nicht ganz korrekt: Zwar handelt es sich beim Album “Vol. 1” um das erste richtige Release seines Projekts Young Man, zuvor schoss der Multiinstrumentalist allerdings zwei Platten in Eigenregie über den Online-Äther und konnte die Blogosphäre von seinen Qualitäten flächendeckend überzeugen – trotz missratender Tour standen bald ein paar Labels auf der Matte: “Einige Konzerte gingen deswegen in die Hose, weil es sich bei Young Man anfänglich nicht um eine Band, sondern um mein Einmannprojekt handelte und ich im Studio alles selber aufnahm. Was Live natürlich nicht 1 zu 1 umzusetzen ging und als die Tour immer näher rückte, funktionierte es kurzfristig nur schwer die passenden Musiker heranzuholen — wir mussten uns halt finden.” Einer dieser Auftritte fand in Berlin statt und der eineinhalb-stündige Gig im Levee Club erinnerte an ein zusammengewürfeltes Versatzstück, das im Kopfe von Caulfield sicher Sinn ergab — auf der Bühne aber kaum funktionierte.

“Du warst da?”, schaut er leicht schockiert, “meine Güte, wir hatten 20 zahlende Gäste und es war mir im Anschluss peinlich, was da ablief. Willst du hier und jetzt dein Geld zurück?” Kopfschüttelnd beruhigt man den schmächtigen Frontmann und setzt sogleich ein Interview fort, das dann doch eine ganz andere Richtung einschlägt.

Young Man – “Fate”


Mehr Videos von Young Man findet ihr auf tape.tv

motor.de: Erst einmal Glückwunsch zum gelungenen Albumdebüt – viel Hoffnung hatte man nach eurem Einstand ja nicht, dass sich das so gut entwickeln würde.

Colin Caulfield: Dankeschön, ich beziehungsweise wir (sagt dies mit Nachdruck) sind wirklich stolz auf das Ergebnis. Obwohl mir nachgesagt wird ein ziemlicher Kontrollfreak zu sein, habe ich dieses Mal eine sehr demokratische Stimmung im Studio vernommen und würde behaupten, “Vol. 1” ist die erste Platte, die wir als richtige Band eingespielt haben.

motor.de: Also stimmt die Info, dass Young Man zu Beginn nur dein Projekt war und niemand sonst involviert wurde?

Colin Caulfield: Definitiv und ich brauchte auch eine Tour um einzusehen, dass es nicht unbedingt das Sinnvollste ist im Studio alles alleine zu machen und dann von Musikern zu erwarten, dass sie es Live genauso umsetzen, wie du es zuvor alleine aufgenommen hast. Auf diese Weise fing das bei mir mit der Musik aber an: Alleine nach der Schule ein paar Songs spielen und Instrumente lernen – das war eine vollkommen natürliche Sache.

motor.de: Lass uns über die Gegenwart sprechen: John McEntire von Tortoise hat “Vol. 1” produziert und hörbaren Einfluss auf das Ergebnis genommen – würdest du dem so zustimmen?

Colin Caulfield: Broken Social Scene und Stereolab gehören zu meinen Lieblingsacts und wenn jemand Young Man als Prog-Pop-Indie-Akustik-Group bezeichnet, wäre ich nicht sauer. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Tortoise beziehungsweise Johns zweite Band – The Sea And Cake – auch und deswegen passte es ganz gut zusammen: Er ist ein echter Soundnerd und ich ebenso, aber am Ende wissen wir beide, wann es gut ist und die eigene Laune auch mal ausgereizt sein kann.

motor.de: Der Checker-Blog Stereogum meinte jüngst, ihr solltet am besten sofort mit Here We Go Magic auf Tour gehen – das würde super zusammenpassen. Besteht Interesse eurerseits?

Colin Caulfield:
Ich würde mich riesig freuen, sie supporten zu dürfen, auf jeden Fall! (freut sich plötzlich) Deren neues Album ist sagenhaft – ich habe es mir vor ein paar Wochen runtergeladen, bin zu unserem Manager und meinte: “Besorg uns einen Gig mit denen!”

motor.de: Vor ein paar Wochen? Das Album “A Different Ship” ist noch gar nicht veröffentlicht [Zeitpunkt des Interviews war drei Wochen vor dem offiziellen Erscheinungstermin, A.d.R.]. 

Colin Caulfield: Die gleiche Frage bekam ich im Zuge meiner Anfrage auch gestellt und muss ehrlich sagen: Musik illegal runterzuladen, stellt für mich kein Verbrechen dar. Weckt eine Band mein Interesse, schaue ich im Netz, was es dort von ihr gibt. So machen das doch viele in meiner Generation und mich hier hinzusetzen und Gegenteiliges zu behaupten, gliche purer Heuchelei. Aus meiner Sicht verhält sich das Ganze so: Die Leute, die Musik illegal aus dem Netz laden, sind nicht zwangsläufig Verbrecher. Sie nutzen virtuelle Wege um neue Musik zu entdecken und ich sehe bislang auch einen positiven Effekt: Immer wieder treffe ich bei Konzerten auf Leute, die sich unsere Musik illegal aus dem Netz ziehen und deswegen zu den Auftritten kommen – weil sie die nicht herunterladen können.

Young Man – “Vol. 1” (Albumstream)
 


motor.de: Heißt im Umkehrschluss, ein Musiker sollte sich das gesamte Geld zur finanziellen Daseinsberichtigung auf der Bühne erspielen?


Colin Caulfield:
Natürlich tut es mir für unser Label leid, dass da jemand mit einem großen Interesse an unserer Musik steht, aber sie bislang keinen Cent von ihm gesehen haben. Andererseits registrieren wir auch, wie gut das Vinyl auf Konzerten läuft und wie oft da nachbestellt werden muss. Das wäre vor zehn Jahren nicht passiert!

motor.de: Deine Ehrlichkeit ehrt dich, aber glaubst du tatsächlich, dass der Vinylabsatz langfristig die illegalen Kopien ausgleichen wird?

Colin Caulfield: Soll ich jedem auf die Tastatur hauen, der nach einem kostenfreien Download unserer neuen Platte sucht? Das wird schwer gehen und deswegen mache ich mir keine großen Hoffnungen allein von den Verkäufen von “Vol. 1” leben zu können — wenn diese Leute auf den Konzerten aber vor mir stehen und es zugeben, dann wirken sie nicht wie Verbrecher, verstehst du?

motor.de: Um es ein wenig auf den Punkt zu bringen: Was wäre denn deine Lösung für das Dilemma?

Colin Caulfield: Gerade im Live-Segment kann seit Jahren ein Boom verzeichnet werden: In den Neunzigern haben die Konzerte ein Drittel dessen gekostet, was man heute berappen muss, um seine Band zu sehen.

motor.de: Es gibt ja unzählige Elektro-Labels, die Konzert-Agentur, Management und Promotion-Firma für den Künstler zugleich sind — ist dies aus deiner Sicht sinnvoll?

Colin Caulfield: Was im Kleinen funktioniert, würde auch im großen Stil klappen. Auf diese Weise arbeiten die Leute im Hintergrund an all den Facetten deiner Karriere und verdienen dabei zu gleichen Teilen mit. Andererseits kann dich das massiv in deiner Entfaltung beeinflussen und du musst dir im Vorfeld genau überlegen, mit wem solche Sachen gehen, mit wem nicht – ein interessanter Gedanke ist es trotzdem!

motor.de: Was rät du also denen, die sich durch kostenlose Nutzung ihrer Songs in künstlerischer Hinsicht beschnitten fühlen?

Colin Caulfield: Nicht immer nur auf die Absätze der Tonträgen zu schauen, sondern auch einen Blick dafür zu haben, was sich nebenher für Entwicklungen abzeichnen: Vor zwanzig Jahren wäre eine Tour für uns zum jetzigen Zeitpunkt finanziell schwierig gewesen, wir hätten mit Albumverkäufe eine Menge Auslagen wieder reinholen müssen — weil: Wenn Springsteen für 30 Dollar spielt, kannst du als kompletter Neuling kaum ein Viertel davon ansetzen. Nun funktioniert es halt umgekehrt, wir holen uns auf der Bühne das Geld fürs nächste Album — wenn du so willst.

motor.de: Gut zu wissen und wird es folgerichtig auch “Vol. 2” heißen?

Colin Caulfield: (lacht) Ob wir das fortsetzen? Da muss ich meine Band erst einmal fragen!

Interview: Marcus Willfroth