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Das zweite Album der Hamburger Band Kettcar ist geschafft. Die hungernde Fan-Meute stürzt sich auf “Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen” und reibt sich verwundert die Augen ob so viel mehr persönlicher Veräußerung und einfacher, aber sehr kluger Eingeständnisse. Eines davon lautet “Mach immer was dein Herz dir sagt”, und da ist man schon mal bereit, einen Augenblick, der durch eine scheinbare Belanglosigkeit fast verloren war, festzuhalten und neu zu definieren.
Auch die Zitierfähigkeit der Songs des neuen Albums wird den einen oder anderen wieder sicher durch unsichere Stunden bringen. Nur die ganz großen Allgemeinplätze, die noch auf der ersten Platte die Botschaft für die Massen waren, sind jetzt eben einer persönlicheren und fast intimen Schreibe gewichen: “Alles was in der letzten Zeit passiert ist, hat für eine gewisse Ausgeglichenheit in meinem Leben gesorgt. Dadurch haben sich Songs geändert und ich habe jetzt das erste Liebeslied geschrieben. Ich habe ganze sieben Platten gebraucht, um ein Liebeslied zu schreiben. Nun brauche ich vielleicht weitere sieben Platten, um… ach nein, eigentlich ist alles gesagt, ich brauche nie wieder ein Liebeslied zu schreiben.”
Marcus Wiebusch scheint ganz klein in diesem Moment, obswohl er eigentlich der größte Mensch ist, der mir je begegnet ist. Also längenmäßig jetzt. Wenn man aber um die Ehrlichkeit weiß, die Kettcar schon auf dem ersten Album “Du Und Wieviel Von Deinen Freunden” in Tonnen vor das staunende, bewundernde und manchmal auch weinende Volk ausschütteten, dann darf man in diesem Zusammenhang auch von menschlicher Größe reden. Diese ist nicht immer leicht zu erreichen und Marcus Wiebusch hat auch keine Angst vor dem großen Pathos. Weil es nämlich bei Kettcar nie so erbärmlich langweilt wie bei manch anderen deutschen Bands. Da schwemmen sich solche Textzeilen wie “Das Gute an schlechten Zeiten/Pferde satteln, weiterreiten” oder “Auf deinen Shirts stehen die Dinge, die du gerne wärst nicht die du bist/Was im Grunde völlig in Ordnung ist/Nur wir können alle lesen/Und du bist nie ein Drecksstück gewesen/” in das Gewebe und man wird sie so schnell nicht wieder los.
Solche Zeilen auf ihre phonetische Harmonisierung hin zu überprüfen, fällt oft schwer, sagt Marcus: “Bei manchen Songs schraube ich wie ein Geistesgestörter rum, weil es komisch klingt. Der Rhythmus muss geändert werden, die Syntax, dann reimt es sich nicht mehr und ich muss den Inhalt runterknüppeln, das ist eben Arbeit, stumpfe Arbeit. Bei anderen Songs wie ‘Stockhausen’ zum Beispiel setze ich mich hin und schreib ihn runter. Ich wollte nämlich mal einen Song machen, der einfach Quatsch ist.”
Marcus lacht und fügt hinzu: “Trotzdem arbeitet er auf zwei Ebenen, es geht einmal im Refrain um diese Geschichte über Stockhausen, Bill Gates und mich; in den Strophen geht es um sowas wie Abgrenzung oder Ausdruck und Differenz zu Anderen aufbauen, mit T-Shirts oder auch nicht. Ich wollte einen Song schreiben, der endlich dieses Bedeutungsschwangere um Kettcar herausnimmt. Mich nervt das manchmal ganz schön, dass die Leute immer unsere Texte so sezieren. Vielleicht wird es auf dem nächsten Album noch drei solcher Songs geben.”
Das wäre so super, denn gerade dieser Song ist außerordentlich zum Faust in die Luft strecken. Alle anderen Songs auf “Von Spatzen Und Tauben, Dächern Und Händen” (man kann diesen Titel nicht oft genug erwähnen) gehen dahin, wo man keinen Heilsbringer erwartet, sondern eine Band, die einfach nur spielen will. Wie schön das doch ist.
Text: Rebekka Bongart
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