Zelt und Schlafsack verschwinden im Keller, die Festivalsaison neigt sich dem Ende zu. Glücklicherweise gibt es da noch das Berlin Festival, das den Übergang zur Konzertsaison markiert. Nachdem 2011 aus den organisatorischen Fehlern des katastrophalen Vorjahres gelernt wurde, durfte man gespannt sein, was die Besucher in diesem Jahr erwartet. Fest stand im voraus schon eins: Das Line-up gehört wohl zum dicksten, was bisher aufgefahren wurde. Dann muss ja nur noch das Drumherum stimmen.
Bevor es am Freitag allerdings losgehen kann, heißt es Geduld bewahren: Die Gästelisten sind lediglich online einsehbar und das Internet im Pressezelt ist ausgefallen. Nerv. Während wir uns also schon außerhalb des Geländes die Beine in den Bauch stehen, wünschen wir uns die gute alte Zettel-und-Stift-Zeit zurück. Nach einer Stunde ist dann zum Glück alles wieder im Lot. Der erste Act, das BRANDT BRAUER FRICK ENSEMBLE, ist uns aber durch die Lappen gegangen. Viel Zeit, um sich das Gelände anzusehen, bleibt uns auch nicht – von der Hauptbühne begrüßt uns bereits der hippieske Folk von OF MONSTERS AND MEN. Die ersten Seifenblasen steigen gen Himmel während sich die Stimmen von Nanna Bryndís Hilmarsdóttir und Ragnar Þórhallsson in die Gehörgänge des Publikums schmeicheln. Ein solider Auftritt der Isländer – beinahe schon ein bisschen zu virtuos.
Nach dem Gig bleibt ein wenig Zeit, um das Gelände zu erkunden. Der obligatorische Autoscooter und so manche Stände, bei denen man das Fragen bekommt, was sowas auf einem Festival zu suchen hat, sind auch wieder am Start. Erstaunlich ist die zu diesem Zeitpunkt noch sehr geringe Hipster-Dichte – vielmehr erinnern uns die Menschen an Messebesucher. Sind Bandshirts eigentlich gar nicht mehr en vogue? Naja, auf zu MICHAEL KIWANUKA. Dieser versucht an diesem tristen Freitag ein wenig die Sonne zu beschwören. Sein kraftvoller Soul kam zwar gut an, allerdings ist sein Slot nicht unbedingt der optimalste. Viele Leute sind noch nicht ganz in Festivallaune, und der Großteil der Besucher ist noch am reden, warten und umgucken. Dennoch ist es erfrischend zu sehen, wie er mit seiner Band auf der Bühne um die Wette jamt.
Eigentlich haben wir uns auch auf KATE NASH gefreut. Der Sound auf der Zippo Encore Stage ist aber mit keinem anderen Attribut als “grausam” zu bezeichnen. Ob das nun am Auftritt selbst oder an der Technik lag, konnten wir auch nicht ergründen. Zum Glück gibt es aber gute Alternativen: Der bunte und abwechslungsreiche Synthie-Pop von LITTLE DRAGON bringt die Besucher so langsam aber sicher auf Betriebstemperatur. Das Gelände füllt sich zusehends und vor dem Wellenbrecher wird es langsam voll. Richtig gelesen – das Berlin Festival hat jetzt auch einen Wellenbrecher vor der Mainstage. Na, solange es der Sicherheit dient…
Die Sonne steht schon tief und die Massen bewegen sich gespannt zur Zippo Encore Stage, um GRIMES zu sehen. Ebenfalls in diesem Jahr mit ihrem Debütalbum groß rausgekommen, weiß sie auch live mit vertrackten Beats und hypnotisch-lasziven Gestus zu begeistern. Begleitet wird sie dabei von einem scheinbar mechanischen Percussionisten und einem Tanzensemble. Die Tänzer mit ihren Glowsticks sind zwar lustig anzusehen, aber dann doch irgendwie überflüssig. Alles in allem jedoch ein sehr unterhaltsames Set, dass vom Publikum entsprechend frenetisch gefeiert wird.
Danach dann der Moment auf den viele Festivalbesucher gewartet haben. Nach einer gefühlten Ewigkeit beehren uns SIGUR RÓS mal wieder in Deutschland. Wer sie kennt, weiß, was einen da gleich auf der Hauptbühne erwartet. Sphärische Soundteppiche werden hier zusammengewebt, die nicht selten in fulminante Crescendi ausufern. Der einsetzende Sprühregen intensiviert dieses epische Erlebnis nur noch mehr. Dass nur wenige Songs vom neuen Album “Valtari” gespielt werden, stört dabei gar nicht. Die Isländer können bereits auf genug Langspieler mit intensiven Songs zurückblicken. Einziger Wermutstropfen an diesem beinahe perfekten Gig sind die gelegentlichen Aussetzer an der Videowand sowie der Sound: Die letzen Beats von der Hangar 5-Bühe wollen wir dann doch nicht im Hintergrund hören, während Jónsi auf der Mainstage seine Gitarre bearbeitet.
THE KILLERS sind dann wohl der Grund, wieso der Wellenbrecher vor der Hauptbühne aufgebaut wurde. Anscheinend zu Recht. Direkt nach dem Sigur Rós-Konzert schwärmen die Menschen nach vorne, um sich einen guten Platz für Brandon Flowers und Co. zu sichern. Wir lassen es uns derweil nicht nehmen, die britischen Techno-Urgesteine von ORBITAL anzuschauen. Bei der hochkarätigen Konkurrenz ist der Gig zwar eher mau besucht; dafür werden wir mit technoiden und unbedingt tanzbaren Beats belohnt. Dazu gab es eine Laser- und Lichtshow, die sich gewaschen hat.
Während kurz vor Mitternacht auf der großen Videoleinwand die ersten Resümees des Tages via Twitter erscheinen, stärken wir uns noch mit einer Calzone und nehmen den Shuttlebus zum Club X-Berg, wo das Programm fortgesetzt wird. Allerdings gestaltet sich dieses Vorhaben schwieriger als gedacht. Die Warteschlange für den Transport scheint endlos zu sein und die Busse lassen auf sich warten. Kurz vor ein Uhr kommen wir dann endlich los vom Flughafengelände. Das hat im letzten Jahr besser geklappt. Von METRONOMY, die in der Arena spielen, bekommen wir deshalb nur die letzten beiden Songs mit. Sehr schade!
Wenigstens kann man sich kurz darauf bei DUMME JUNGS im Arena Club richtig verausgaben. Die beiden machen wirklich keine Gefangenen: Mit ihrem genial-stumpfen Elektro/Techno-Set bringen sie jeden zum schwitzen, der sich auf der Tanzfläche befindet. Tanzfläche? Naja – eher Schlachtfeld. Und das im kleinen Arena-Club, nicht schlecht. Ausgepowert von diesem Exzess schauen wir uns danach noch BRANDT BRAUER FRICK im Glashaus an, wenn das schon mit dem Ensemble nicht geklappt hat. Zu dritt erzeugen sie Dank Live-Schlagzeug immer noch einen mächtigen Bums. Der repetitive und minimale Sound der Berliner geht ungemein ins Bein. Nach dem Gig ist für uns jedoch Zeit die Segel zu streichen.
Nachdem das Wetter sich gestern grau in grau präsentierte, sieht es heute Nachmittag zum Glück etwas freundlicher aus. Das Publikum ist schon zeitig zahlreich zu CRO erschienen. Der Raop-Hype der Stunde heizt das Publikum mit seinen Beats ein, die wie geschaffen sind für den sonnigen Nachmittag. Das muss man nicht mögen, kann man aber. Die Kids vor der Bühne lieben es. Unterstützt wird Cro von einer Backing-Band – schön, dass der Trend bei Hip Hop wohl wirklich zu Live-Darbietungen hin geht.
JAMIE N COMMONS war die Überraschung des Festivals. Auf einem unscheinbaren Slot der Zippo Encore-Stage platziert, bietet er mit seiner Band heute etwas, was gestern schon den ganzen Tag über ein wenig vermisst wurde: Rock’n’Roll! Mit starkem Blues-Einschlag und einer Stimme, die Ihresgleichen sucht, überzeugt er restlos. Und das mit gerade mal einer einzigen veröffentlichten EP im Repertoire. Da darf man wirklich auf’s Debütalbum gespannt sein.
Eine weitere spannende Newcomerband gibt es direkt im Anschluss auf der Hauptbühne zu bestaunen: DJANGO DJANGO aus Großbritanien. Beinahe alle Songs von ihrem grandiosen selbstbetitelten Debütalbum geben sie heute zum Besten. Letztenendes hätte ruhig noch ein wenig mehr Biss hinter ihrer Performance stecken können – schließlich sind die Songs auf der Platte wahnwitzige psychedelisch-verspielte Ohrwürmer. Aber hey, immerhin war das ihr erster Auftritt in Deutschland. Unbedingt auf dem Radar behalten!
Heute Nachmittag geht es wirklich Schlag auf Schlag mit den spannenden Bands: Ursprünglich über ein Fleet Foxes-Cover bekannt geworden, spielten sich FIRST AID KIT schnell ins Herz der Meute. Ein zauberhaftes Debüt folgte, doch erst ihr in diesem Jahr erschienenes Zweitwerk ging ab wie eine Rakete. Auch live überzeugten die Schwestern restlos mit einem Sweetness-Faktor, der durch die Decke geht. Ganz nebenbei transformierten sie auch noch “When I Grow Up” von Fever Ray in eine Folk-Version. Wow!
Danach steht Kontrastprogramm auf dem Plan. KRAFTKLUB aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt geben sich auf der Hauptbühne die Ehre. Die Massen haben genug Zeit gehabt, sich warm zu trinken und stellen ihr Können im jubeln, pogen und springen unter Beweis. Selbst die Songs von der ersten, weniger bekannten EP “Adonis Maximus” werden aus voller Kehle mitgesungen. Kraftklub wissen mittlerweile einfach, wie man den Rock unter die Leute bringt. Felix steht dennoch immer wieder die Freude ins Gesicht geschrieben – besonders wenn er tausende Leute auf dem Berlin-Festival dazu bringt, “Ich will nicht nach Berlin” zu grölen.
FRANZ FERDINAND haben direkt im Anschluss zu Kraftklub ein leichtes, das bereits warmgetanzte Publikum für sich zu gewinnen. Viel kann man auch nicht falsch machen, die Briten sind ein Garant für gute Laune und Tanzbarkeit. Wir schauen uns derweil IAMAMIWHOAMI auf der Hangar 5-Bühne an. Auch hier haben wir es mit einem Hype zu tun, der jedoch völlig gerechtfertigt ist. Jonna Lee hat mittlerweile ihre Identität ein wenig mehr gelüftet (mehr dazu bald im motor.de-Interview) und säuselt ihre Songs auf der Bühne im gewagten Dress. Das ist spannend, mysteriös und geht vor allen Dingen gut ins Ohr.
Damit ist der zweite Festivaltag nun auch schon fast wieder vorbei – wäre da nicht PAUL KALKBRENNER. Was soll man sagen? Es ist halt Paul Kalkbrenner. Ein wenig verlassen steht er da hinter seinem riesigen DJ-Pult und spielt seine Songs routiniert ab. Das Publikum frisst ihm aus den Händen. Kein Wunder: Heimspiel. Auch wir lassen es uns nicht nehmen, zum letzten Live-Act auf dem Flughafengelände noch einmal das Tanzbein zu schwingen.
Da wir nicht noch einmal Ewigkeiten für den Shuttle anstehen wollen, machen wir uns auf dem Weg zur Silent Disco, die in diesem Jahr die größte Silent Disco der Welt werden sollte. Ob dieses Vorhaben geklappt hat bei 20 Euro Kopfhörer-Pfand? Mühsam kratzen wir unser Geld zusammen, holen uns die Kopfhörer und ab geht der Spaß. Die Wahl stand zwischen zwei verschiedenen Kanälen und gespielt wurde alles, was Spaß bereitete – von Spice Girls über Sido bis hin zu Queen. Die DJs haben sich geradezu einen Wettkampf geliefert, wer den beliebteren Song spielt. Sehr lustig anzusehen, und besonders anzuhören – wenn man die Kopfhörer mitten auf der Tanzfläche mal abnimmt.
Die Silent Disco ist so spaßig, dass wir glatt die Zeit vergessen – sollten nicht Modeselektor im Club X-Berg spielen? Mist, es fahren ja gar keine Shuttlebusse mehr! Was solls, ab in die U-Bahn und noch ein letztes mal im Club X-Berg abraven. Dort angekommen, schauten wir erst einmal bei TOTALLY ENORMOUS EXTINCT DINOSAURS in der Arena vorbei. Irgendwie passt er aber so gar nicht in diese riesige Location. Auch das Publikum steht größtenteils nur herum und wippt ein bisschen. Dann doch mal lieber zu SLAGSMÅLSKLUBBEN. Hier ist wirklich von der ersten Sekunde Action angesagt. Die Jungs nehmen das Glashaus mit ihrem brachialen nintendo-artigen Elektro total auseinander und das Publikum feiert, als ob es keinen Morgen gäbe. Putz bröckelt von der Decke, Stagediver fliegen durch den Raum und die Musiker haben ein fettes Grinsen im Gesicht. Zum Schluss dürfen nochmal alle auf der Bühne mit der Band gemeinsam feiern. Besser kann ein Festivalabschluss kaum sein.
Fazit:
Wieder einmal glänzte das Berlin Festival durch seine Mannigfaltigkeit – nicht nur in Sachen Acts, sondern gleichzeitig durch nette Gimmicks wie das Art Village. Auch die Berlin Music Week Stage, die eine Bühne für Newcomer bot, war ein guter Ersatz für die Mobile Disko der letzten Jahre. Nur hätten die Spielzeiten der Acts ruhig ein bisschen länger sein können. Das Flughafengelände wurde also generell ganz sinnvoll genutzt; einige “Stände” wirkten dennoch befremdlich. Dinge wie “Zippo” oder “Alfa Romeo” mögen dem Veranstalter zwar Einnahmen bringen – aber muss man das dann auch noch auf dem Lageplan erwähnen?
Durch das starke Line-up haben sich ziemlich viele Leute auf dem Gelände versammelt. Am Flughafen hat man das weniger gemerkt – am Club X-Berg hingegen schon. Vielleicht wäre es gut, zuschauermäßig wieder einen Gang zurückzuschalten? Nebenbei sollten die Techniker wirklich etwas am Sound machen. Zu oft hörte man Beschwerden wie “zu leise” oder “matschiger Sound”. Die Hauptbühne gefiel uns in diesem Jahr ansonsten wirklich gut – nicht nur vom Design her, auch von den Bands selbst, die sie bespielen durften. Nur schade, dass sie nicht mehr überdacht ist. Wenn neben den erwähnten Soundproblemen noch hier und da organisatorische Probleme (Shuttlebus-Wartezeiten, Anzahl der Toiletten) ausgemerzt werden könnten, wäre das Berlin Festival 2013 definitiv wieder eine Reise wert.
Text und Fotos: Danilo Rößger
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