George Lewis Jr. ist ein hoffnungsloser Romantiker – könnte man meinen. Dabei steckt in seinem neuen Album “Confess” noch viel mehr als nur 80er-Schnulz. Was, das verriet er uns im Interview.
(Foto: Tina Tyrell)
Als Hype-Opfer würde sich George Lewis Jr. nicht bezeichnen. Der gebürtige Kerl aus der Dominikanischen Republik macht zwar keinen labilen Eindruck, doch die Aufmerksamkeitswelle die Ende 2010 auf ihn hereinbrach, war dennoch keine kleine. Ob hipper Blog, etabliertes Magazin oder popkulturelles Feuilleton – sein Projekt Twin Shadow war damals mit seinem Debütalbum “Forget” in beinahe aller Munde. Vergleiche mit den Großen der Szene – unter anderem wurde Morrissey in den komparativistischen Topf geworfen – ließen nicht lange auf sich warten.
Seine Synthie-orientierte Schlafzimmermusik griff tief in die Trickkiste. Zwischen New Wave und 80er-Casio-Spielereien platzierte sich die von Grizzly Bear-Chris Taylor produzierte Platte in einen nostalgischen Zwischenraum, der sich nicht bedingungslos ‘Pop’ auf die Fahnen schrieb. Mit seinem zweiten Album “Confess” folgt ein eindeutiges Statement: die Geschichte im Kopf, die Zukunft im Auge. Im motor.de-Interview auf dem Hurricane Festival 2012 gibt sich Lewis Jr. locker, lässig und trotz des großen Hungers, der ihn plagt, angenehm entspannt. Und das, obwohl er mit seiner vierköpfigen Band den frühesten Slot am Sonntag bespielen musste. Um halb eins stehen gerade einmal dreißig interessierte Zuhörer vor der Bühne. Der Grund: es regnet. Und während des Auftritts wird es immer ungemütlicher. Trotzdem gibt sich Twin Shadow dankbar für die Ausdauer des Publikums – einfach ein cooler Typ. Beim Gespräch im Catering-Bereich lacht er viel, die Erleichterung über die Fertigstellung seiner neuen LP quillt ihm dabei aus jeder Pore.
Twin Shadow – “Castles In The Snow”
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motor.de: Das ist heute aber ein beschissenes Wetter. Das hast du doch vom Southside mitgebracht, gestern war es wundervoll hier.
George Lewis Jr.: Ja, das machen wir immer so (lacht). Aber im Ernst, ich kann mich kaum daran erinnern, dass wir sonst bei solch schlechtem Wetter spielen mussten. (Überlegt) Stimmt nicht, in Polen hatten wir mal ein schlimmes Festival, da war nur Matsch, überall.
motor.de: Wir haben nicht allzu viel Zeit, deswegen Kaltstart: Was bedeutet für dich der Schritt vom Debüt “Forget” zum neuen Album “Confess”?
George Lewis Jr.: Wir waren in den letzten Monaten viel unterwegs, und die Songs waren irgendwie die ganze Zeit in mir. Ich hatte ein wirklich kleines Zeitfenster, um die Platte zu machen, lediglich acht Wochen.
motor.de: Weil das Label Druck gemacht hat?
George Lewis Jr.: Nein, ich habe mir selbst eine Deadline gegeben, weil ich mit der Band in diesem Jahr wieder auf Tour gehen wollte. Wir haben das Jahr schon relativ frühzeitig geplant, weißt du. Auch wenn wir bereits seit anderthalb Jahren auf Tour sind, ist es eine große Erleichterung für mich, dass “Confess” nun endlich fertig ist.
motor.de: Hast du in dieser Zeit etwas lernen können, das sich vielleicht auch auf “Confess” widerspiegelt?
George Lewis Jr.: Bei “Forget” war ich ein kompletter Neuling im Studio. Ich war noch nie in einem Produktionsstudio und habe an den Details meiner Songs gearbeitet. In den letzten zwei Jahren habe ich gerade in diesem Bereich eine Menge gelernt, meine Skills als Produzent sind definitiv stark gestiegen.
motor.de: Hattest du eine konkrete Idee, die du für das neue Album umsetzen wolltest?
George Lewis Jr.: Naja, man hat immer eine konkrete Idee im Kopf, aber sobald du dich an die Umsetzung machst, kommt nur Scheiße dabei raus (lacht).
motor.de: Bist du so der reflektierte Typ im Studio, der alles immer wieder in Frage stellt?
George Lewis Jr.: Gehen wir davon aus, dass es zwei Typen gibt: die eine Sorte, die weiß, was für Ideen umgsetzt werden sollen und die andere Sorte, die keinen Plan hat und sich eher im Studio vom Vibe treiben lässt. Ich denke, ich sitze genau zwischen den Stühlen.
motor.de: Und, wie stehst du nach ein wenig Abstand selbst zum neuen Album?
George Lewis Jr.: Ich liebe die Platte. Ich wollte die Musik einen Zacken aggressiver gestalten, nicht in einer konfrontativen Art und Weise, aber doch direkter. Und auf der anderen Seite wollte ich den Sound ein wenig spärlicher halten. Dieser Spagat war gar nicht so einfach, aber mit der Vereinfachung der Lyrics zusammen, ergibt das doch ein sehr gutes Bild, oder? (lacht)
Twin Shadow – “Five Seconds”
motor.de: Ja, dem Eindruck würde ich mich schon anschließen. Aber es wundert mich trotzdem, dass du noch gar nicht über den Autounfall gesprochen hast, dabei scheint er doch ein zentrales Thema zu sein. Das Video zu “Five Seconds” kokettiert ja ebenfalls mit dieser Erfahrung.
George Lewis Jr.: Mein Manager wollte damals einen Text von mir. Er sagte, ich soll etwas über das Album schreiben, obwohl wir noch gar nicht richtig angefangen hatten (lacht). Zu dieser Zeit habe ich viel über den Unfall mit einem Freund von mir auf meinem ersten Motorrad nachgedacht. Das war vor sechs Jahren, da war ich 20 oder 21 Jahre jung. Nach dem Unfall habe ich erstmal weniger geschrieben, erst als ich mir ein neues Bike, eine Triumph, gekauft habe, find ich allmählich wieder rein. Ich bin oft in Los Angeles herumgedüst, es ist ein wundervoller Ort zum Motorradfahren, gerade weil das Wetter einfach immer stimmt.
motor.de: Also hat der Unfall sowohl inspirativ als auch blockierend gewirkt, denn erst später konntest du wieder schreiben, oder?
George Lewis Jr.: Als ich eines Tages mit dem Bike fuhr, traf es mich wie ein Schlag. Mir fiel der Unfall wieder ein, und auch, dass ich vorher Songs viel direkter und kämpferischer geschrieben hatte. Darüber musste ich viel nachdenken, klar war ich auch glücklich darüber, dass niemandem etwas passiert ist. Es ist alles sehr emotional für mich, weniger für das neue Album, auch wenn es natürlich Verbindungen gibt.
motor.de: Klar, wenn man den Unfall in deinen Lyrics finden möchte, findet man ihn auch. Aber viel präsenter sind auf “Confess” doch die Emotionen.
George Lewis Jr.: Vollkommen richtig (lacht).
motor.de: Bist du ein Romantiker?
George Lewis Jr.: Ich denke, jeder ist romantisch (schmunzelnd).
motor.de: Ich kenne Kerle, die das definitiv nicht sind.
George Lewis Jr.: (lacht) Stimmt, wir sind ja in Deutschland (lacht).
motor.de: Wie bitte?
George Lewis Jr.: Nein, war nur Spaß. Im Ernst, ich glaube jeder hat eine weiche Seite, auch die Draufgänger und Poser. Wahre Schönheit existiert, das steht für mich fest. Ich denke meine Job in dieser Welt ist es, diese Botschaft in die Welt zu tragen.
motor.de: Interessant ist die Paradoxie des Sounds und der Lyrics von “Confess”. Ich kann das Album mit meiner Freundin hören. Ich kann das Album aber auch hören, wenn wir uns trennen würden. Es enthält Liebeslieder….
George Lewis Jr.: …aber auch die Hate-Songs (schmunzelt).
motor.de: Eben. Aber es ist öde, über Genres zu reden. Bei dir scheint es mir wirklich mehr um die Gefühle zu gehen. Was war für dich die interessanteste und emotionalste Zeit, die dich als Musiker beeinflusst hat.
George Lewis Jr.: Das ist wirklich schwierig zu sagen. Natürlich haben mich die 80er-Jahre geprägt. Und die Vergleiche, die zu meiner Musik gezogen werden, haben sicherlich auch ihre Berechtigung. Aber wie du schon gesagt hast, es geht mehr um Gefühle. Ich denke eigentlich nicht darüber nach, wenn ich ehrlich bin.
motor.de: Wann bildest du denn zusammen mit Blood Orange endlich eine Supergroup?
George Lewis Jr.: (lacht) Haha, das wäre ein Idee. Mit Devonté Hynes [Der Mann hinter Blood Orange; Anm. d. Red.] bin ich schon lange befreundet. Ich habe mit Solange Knowles gearbeitet, und ihr Album hat er ja produziert, sodass wir eigentlich schon indirekt etwas zusammen gemacht haben. Mal sehen, ich habe das aber auf dem Schirm (lacht).
Lest »hier unsere Rezension von “Confess”.
Interview, Foto & Text: Sebastian Weiß
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