Wahrscheinlich wirklich der Schlusspunkt einer erstaunlichen Konsens-Band: „The Best Of Madrugada“.

Irgendwann nach anderthalb Jahrzehnten war es dann vielleicht einfach zu viel: zu viele Besetzungswechsel, zu viele Tourexzesse, zu viel Drama. Denn auf Dramatik verstanden sich Madrugada bis zur letzten Konsequenz: Gitarrist Robert Burås wurde eines Tages mit seiner Fender im Arm tot aufgefunden. Das Ende der Band ließ noch ein bisschen auf sich warten, 2008 kam es und die verbliebenen Mitglieder verstreuten sich buchstäblich in alle Winde. Wer heute einen kleinen Nachhall der Faszination dieser eigentlich gar nicht ungewöhnlichen Band nachfühlen will, kann Sänger Sivert Høyem jetzt wieder in den ganz kleinen Clubs erleben, in intimer Atmosphäre, was zwar gut zu seinen Songs passt aber letztendlich nur ein beschönigender Ausdruck dafür ist, dass er eben nicht mehr der Frontmann einer Band ist, die eine Zeitlang als eine der besten Livebands des Kontinents galten.

Madrugada – “The Kids Are On High Street” live

Vielleicht muss man Madrugada wirklich live gesehen haben, um den Respekt zu verstehen, den man ihnen heute noch entgegenbringt, sogar von Leuten, die es mit dem Stadionrock eigentlich nicht so halten. Im Kern waren sie ja einfach nur eine Rockband klassischen Zuschnitts, musikalisch immer ein wenig großspurig, immer ordentlich Gitarren-gniedelnd, mit einem harten Job am Schlagzeug, bei dem immer Hochleistung verlangt ist, damit die Sache auch genügend Dampf unterm Kessel hat, und den exzessiv ausgedehnten Schlussakkorden, die man bei anderen Bands so grauenhaft finden kann. Schon der Name Madrugada, der spanische Begriff für die „blaue Stunde“ vor dem Sonnenaufgang, wenn sich die Nacht langsam in Zwielicht verwandelt, hatte ein gewisses Potenzial für Schmäh.

Aber Madrugada gehörten Zeit ihres Bestehens zu den Bands, die die Grenze zwischen Leuten ein Stück weit aufzulösen vermochten; jenen, die „Gänsehaut“-Musik abscheulich finden, denen Pathos prinzipiell Unbehagen verursacht – und denen, die gern in ausgedehnter Melancholie schwelgen, schlimmstenfalls mit ausgebreiteten Armen vor der Bühne tanzen und normalerweise eher nicht am musikalischen Fortschritt interessiert sind. Auch, wem die permanente Theatralik eigentlich suspekt war, die großgestige Stadiontauglichkeit, der immerzu offensiv beschworene Frontmann-Faktor, der gezähmte Düsterrock-Zuschnitt, konnte diese Band doch mögen. Weil man die Tauglichkeit jedes einzelnen Songs hören konnte, deren Eindringlichkeit eben kein Kalkül war und die trotzdem abgeklärt genug präsentiert wurden, um in der Band-Gesamtheit nicht als weinerliche Trottel zu gelten. (Was man Teilen des durchaus gemischten Publikums oftmals allerdings nicht zugestehen mochte.)

Drei Jahre nach dem Auseinandergehen wird nun ein lange fälliges „Best Of“ nachgeschoben. (Ein Livealbum gibt es ja schon seit fünf Jahren. Dessen Titel „Live At Tralfamadore“ benannte sich übrigens nach einem fiktiven Ort, war eine Reverenz an Kurt Vonneguts Roman „Schlachthof 5“ – auch wieder eine dieser kleinen Dramatisierungen, die das Schaffen der Norweger prägten.) Immerhin 24 Songs umfasst die Werkschau aus den fünf Studioalben, die natürlich auch aufzeigt, dass Madrugada gern traditionalistisch agierten, dass Tom Petty und REM musikalisch wesensverwandt waren, dass die Kings Of Leon selbst in guten Zeiten nie heranreichten, und dass die beste Grundlage für eine gute Band seit jeher gutes Songwriting, eine Idee von Wirkmächtigkeit und ein ungewöhnlich charismatischer Frontmann sind. Was immerhin deutlich mehr ist, als die meisten anderen zu bieten haben.

Augsburg

VÖ: 21.1.2011

Label: Virgin / EMI

Tracklist:
CD1
01. The Kids Are On High Street
02. 7 Seconds
03. Look Away Lucifer
04. Belladonna (2010 Digital Remaster)
05. Blood Shot Adult Commitment
06. Higher (2010 Digital Remaster)
07. Beautyproof (2010 Digital Remaster)
08. Black Mambo
09. Salt (2010 Digital Remaster)
10. Stories From The Streets
11. I Don’t Fit
12. Majesty (Live)
13. You Better Leave (Live)
14. All This Wanting To Be Free
CD2
01. What’s On Your Mind?
02. Hold On To You
03. Strange Colour Blue (2010 Digital Remaster)
04. Vocal (2010 Digital Remaster)
05. Hands Up – I Love You
06. Majesty
07. This Old House (2010 Digital Remaster)
08. Lift Me (Duet w/Ane Brun)
09. Honey Bee
10. Electric (2010 Digital Remaster)
11. Quite Emotional (Live) (2010 Digital Remaster)
12. Step Into This Room And Dance For Me
13. A Deadend Mind
14. Sail Away